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Jürgen Todenhöfer mit „Inside IS“Der Terrorist aus dem Bergischen Land

Lesezeit 4 Minuten

Christian Emde (links) alias Abu Qatada vom IS; daneben Jürgen Todenhöfer

Köln – Freizeithemd, Jeans, Turnschuhe. Der Mann, der am Montagabend in Deutschlands größtem Premierenkino, der „Lichtburg“ in Essen, federnd auf die Bühne springt, wirkt wie ein Popstar oder eine Variation von Apple-Gründer Steve Jobs. Dabei ist Jürgen Todenhöfer 75 Jahre alt.

Freundlicher Beifall begleitet den früheren Top-Manager, der viele Jahre den Branchenriesen Burda leitete. Gut 1200 Zuschauer besuchen die Deutschland-Premiere seines Dokumentar-Films „Inside IS“ – der Film heißt wie der Buch-Bestseller und handelt von der Reise Todenhöfers mit seinem Sohn in das Reich des IS-Terrors.

Geduldig haben Hunderte Menschen in einer überlangen Schlange für Kinokarten angestanden und sich auch von einer Protest-Demo gegen den Publizisten nicht beeindrucken lassen.

Ein ganz eigenes Publikum

Wo immer Todenhöfer auftritt, bietet sich ein ähnliches Bild. Er füllt die Säle mit einem ganz eigenen Publikum. In der Mehrzahl sind es junge Muslime, Männer wie Frauen, zu denen der Autor spricht und sie klatschen Beifall zu Sätzen wie diesem: „Der IS hat mit dem Islam so viel zu tun wie eine Vergewaltigung mit Liebe.“

Beifall bekommt Todenhöfer auch für die Ankündigung, Buch- und Filmhonorare für Kinderprojekte in Syrien und im Gaza-Streifen zu spenden. Indes weiß, wer Todenhöfer kennt, dass ihm Materielles wenig wichtig ist. Sein Büro und seine Stiftung „Sternenstaub“ liegen in einem einfachen Stadtteil Münchens, und er legt zwar Wert auf Selbstdarstellung, gibt aber nichts auf Statussymbole.

Sein Publikum schätzt diesen Mann, der – nicht immer frei von Eitelkeit – die internationale Politik gegenüber der islamischen Welt kommentiert. Sein Geld spende er für Kriegsopfer, er sei das Aufräumkommando hinter den US-Präsidenten George W. Bush und Barack Obama. Wieder Beifall. Bush, sagt Todenhöfer, sei dumm. Obama aber sei intelligent und wisse, was er tue.

Die Kriege der US-Präsidenten nennt er ein Terrorzuchtprogramm. Das ist so polemisch formuliert, wie es richtig sein kann, wenn Bombardements, die wenigen tausend Terroristen gelten, über einer irakischen Großstadt niedergehen und vor allem zivile Opfer fordern. Nach den Terror-Anschlägen auf den Nachtclub Bataclan habe Frankreichs Präsident Hollande syrische Städte bombardieren lassen, sagt Todenhöfer. Getroffen worden seien unter anderem eine Ziegelfabrik und ein Hospital. Hollande sei ein „Präsidentchen“. Wieder Beifall.

Packend erzählt mit deutscher Komponente

Der Kinofilm „Inside IS“ ist packend erzählt und er hat eine deutsche Komponente: Abu Qatada. Eigentlich wuchs er als Christian Emde in Solingen auf, wo er sich als Besucher der Millatu-Ibrahim-Moschee zusehends radikalisierte. In „Inside IS“ schwadroniert Emde, in bergisch eingefärbtem Idiom, von Kopfabschneiden, den Vorzügen der Sklaverei und der Größe des Gottesstaates. Er ist so gefährlich, wie er über weite Strecken lächerlich wirkt. Ein dicklicher junger Mann, dem häufig die Worte ausgehen, der dann hilflos „und so weiter“ sagt und im nächsten Satz fragt, was die Besucher sehen wollen: Hand-Amputation oder Enthauptung. Beides könne er organisieren.

Todenhöfers Film zeigt diese Banalität des Bösen. Auch Gefahr und Brutalität lässt das Geschehen auf der Leinwand erkennen, wenn Kämpfer sich gleichsam aus dem Stand zu Drohungen gegenüber Europa aufschwingen. Dass sie Todenhöfer und seinem Sohn gleichfalls den Tod angedroht haben, ist der IS-Zensur zum Opfer gefallen, die etwa zehn Prozent der Aufnahmen gelöscht habe. Der Film endet mit einem Gespräch, das Todenhöfer in Paris mit einem liberalen muslimischen Gelehrten führt. Der Mann steht oben auf der IS-Todesliste und repräsentiert einen lebensnahen Islam.

Todenhöfers Promi-Status unter jungen Muslimen hat einen Grund. Er weiß, wie sie denken. Viele aus dem Publikum sind weit gereist, um ihm zuzuhören. Es sind moderne junge Menschen, denen der IS Angst macht und die sich in ihrem Glauben verkannt fühlen. Weil Todenhöfer ein differenziertes Bild vom Islam zeichnet, ist er für sie ein Hoffnungsträger. Hanin Ghossein, eine junge Holländerin, spricht Englisch mit US-Akzent. „Ich bin von beiden Seiten betroffen“, sagt sie. „Die IS-Terroristen bedrohen mich ebenso wie die anderen auch. Aber die anderen denken, dass mein Glaube etwas damit zu tun hat.“