Juso-Chef Kevin KühnertSchulz‘ junger Gegenspieler mit der Justus-Jonas-Stimme
Verloren, aber nur knapp: Juso-Chef Kevin Kühnert und seine Anhänger haben sich mit ihrer #NoGroKo-Position beim SPD-Bundesparteitag in Bonn nicht durchsetzen können. Das Ergebnis fiel mit 369 zu 279 Stimmen für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen aber knapp aus, und Kühnert hat gute Gründe, von einem Erfolg zu sprechen. Die Ablehnung habe sich im Vergleich zum Parteitag im Dezember verdoppelt, so der selbstbewusste Juso-Chef. „Ich finde, das ist ein ziemlich gutes, ermutigendes Zeichen.“
Als Erfolg kann Kühnert auch seinen Auftritt verbuchen: Seine Rede fällt zwar zurückhaltender und versöhnlicher aus, als viele erwartet haben. Aber zum Schluss setzt Kühnert kämpferisch und mitreißend Punkte – und zeigt damit, dass er in Sachen Rhetorik mit den Vertretern der Parteispitze vollauf mithalten kann. „Wenn wir 'ne Kneipe wären, könnten wir sagen, die Union schreibt seit Jahren bei uns an“, findet der 28-Jährige markige Worte. Die SPD sei in der Vergangenheit oft wie der Pressesprecher der Koalition aufgetreten. Großer Beifall ist der Dank vieler Delegierter, denen Kühnert aus der Seele spricht.
Dass der Juso-Chef zurzeit der wichtigste Gegenspieler von Parteichef Martin Schulz und den übrigen GroKo-Befürworten im Parteivorstand ist, beweist er auch am Tag nach dem Bundesparteitag. Klein beigeben steht nicht auf seiner Agenda: „Wir wollen die Mitglieder davon überzeugen, dass unser Weg der richtige ist - und ich glaube, dass wir das schaffen können“, sagt Kühnert. Man wolle den Widerstand weiter mobilisieren.
Kühnert behandelt Schulz wie ein Grundschulkind
Der Student der Politikwissenschaft ist ein Naturtalent, was den politischen Auftritt angeht. Das hat er bereits an seinem ersten Tag als Juso-Chef bewiesen, dem 24. November 2017. Das war der Freitag am Ende jener Woche, in der SPD-Chef Schulz und sein Parteivorstand nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen erst die große Koalition rasch und kategorisch ausgeschlossen hatten. Um einige Tage später – nach Druck aus der Fraktion und vom Bundespräsidenten – dann doch Gesprächsbereitschaft zu signalisieren.
In dieser Situation musste Schulz zum Juso-Bundeskongress in Saarbrücken reisen. Er mahnte die Jusos, es müsse darum gehen auszuloten, wie die SPD für die Menschen im Land etwas erreichen könne. Kühnert, gerade erst frisch zum Nachfolger der bisherigen Juso-Chefin Johanna Uekermann gewählt, schenkte dem erkälteten Schulz nach dessen Rede eine Tüte Kräuterbonbons. Dann lobte er: „Der Martin hat gerade etwas ganz Richtiges gesagt.“
Das bezog sich darauf, dass Schulz gerade sinngemäß erklärt hatte, Schuld an der verworrenen Lage in Deutschland seien die anderen Parteien, nur eben nicht die SPD. Und es war eben nett und keck zugleich, weil es ja auch ein bisschen so klang, als würde ein Grundschulpädagoge über eines der Kinder in seine Klasse sprechen.
„Groko ist ganz großer Mist“
Der 28-Jährige ist keiner, der ein übermäßiges Maß an Aggressivität walten lassen würde. Aber klar Stellung beziehen, das kann er gut. Und so wandte er sich noch mal direkt an den Parteivorsitzenden. „Du hast uns angesprochen als die Generation, die künftig in dieser Partei Verantwortung übernehmen wird.“ Das wollten die Jusos gern tun, sagte Kühnert. „Ich hätte aber auch gern, dass von dieser Partei dann noch etwas übrig ist, das wir miteinander gestalten können“, rief er laut ins Mikrofon. Und er mache sich ernsthaft Sorgen darüber, ob das wirklich der Fall sein werde. Die Jusos seien der festen Überzeugung: „Groko ist ganz großer Mist.“ Großer Jubel im Saal.
Ein gelungener Auftritt beim SPD-Parteitag im Dezember machte Kühnert endgültig zu einer festen Größe im Kampf gegen die große Koalition. Er ist in diesen Wochen der Entscheidung eine Identifikationsfigur für Gegner der großen Koalition in der SPD, weit über die Jusos hinaus. Eine beachtliche Leistung.
Denn eigentlich hat die Jugendorganisation in der SPD ja sonst eher die Funktion einer linken WG, über deren Lärm sich ältere und gesetztere Bewohner des sozialdemokratischen Hauses schon mal beschweren. Doch diesmal verleihen die Jusos und allen voran Kühnert eben einem Gefühl Ausdruck, das in der Partei sehr weit verbreitet ist: Es reicht! Bloß nicht vier weitere Jahre mit der Union!
Kühnert ist eloquent und klug
Kühnert steht als Gegenspieler von Schulz nicht für einen Generationenkonflikt in der SPD. Es geht um den Konflikt zwischen denen, die glauben, die SPD sei aus staatspolitischen Gründen in der Pflicht zu regieren und würde im Fall der Weigerung bei Neuwahlen noch tiefer stürzen. Und denen, die überzeugt sind, dass eine dritte große Koalition unter Merkel die SPD sogar das Überleben kosten könnte.
Die Rolle, die Kühnert nun in der Debatte über die große Koalition übernommen hat, kann er nur deshalb so erfolgreich ausfüllen, weil er klug und redegewandt ist, aber auch kein Grübler. Außerdem beweist er Humor: Dass seine Stimme frappierende Ähnlichkeit zu der von Justus Jonas von den „Drei ???“ hat, nimmt er selbstironisch in seinem Twitterprofil auf. Und dass Widerstand auch lustig geht, hat er mit dem von ihm kreierten Hashtag #kevinkuehnertkoenntekotzen gezeigt.
Welche Zukunft hat Kühnert in der SPD?
Immer vorausgesetzt, dass nicht die dramatischsten Befürchtungen zur Zukunft der SPD eintreffen: Wird Kevin Kühnert in 10, 15 oder 20 Jahren ein wichtiger Mann in der SPD sein? Er wäre jedenfalls nicht der erste Juso-Vorsitzende, der später Karriere macht. Die langjährige Juso-Chefin Andrea Nahles ist heute Fraktionschefin im Bundestag und kämpft für die große Koalition. Ein gewisser Gerhard Schröder wurde im Jahr 1998 sogar Bundeskanzler. Schröder hat Kühnert schon jetzt allerdings etwas voraus: So wichtig wie der aktuelle Juso-Chef in diesen Tagen war Schröder als Vorsitzender der Jugendorganisation nie.