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Justizreform„Mache mir große Sorgen“ – Volker Beck kritisiert israelische Regierung

Lesezeit 5 Minuten
Israelische Bürger demonstrieren in der nordisraelischen Stadt Karmiel gegen die Justizreform ihrer Regierung. Die Demonstrierenden schwenken israelische Flaggen. Auf einem hochgehaltenen Plakat steht: „Democracy or Revolution. Never gib up“ - Demokratie oder Revolution. Niemals aufgeben!

Israelische Bürger demonstrieren in der nordisraelischen Stadt Karmiel gegen die Justizreform ihrer Regierung.

Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), sieht in der geplanten Reform der rechtsgerichteten Regierung unter Netanjahu eine Gefahr für die Demokratie Israels.

Herr Beck, Sie waren für eine Woche zu Konferenzen und politischen Gesprächen in Israel. Wie haben Sie die Situation unter der neuen, rechtsgerichteten Regierung von Premier Benjamin Netanjahu erlebt?

Volker Beck: Ich kenne Netanjahu nun schon viele Jahre – von Ferne und aus der Nähe. So angefasst habe ich ihn noch nie wahrgenommen. Ich glaube, er weiß, dass die aktuelle Politik seiner Koalition weder den Sicherheitsinteressen Israels noch der Prosperität des Landes dient. Dass er die Koalition dennoch fortsetzt, hat andere Gründe.

Benjamin Netanjahu ist bekannt für seine robuste Rhetorik.
Volker Beck

Machterhalt und Selbstschutz angesichts einer Gesetzgebung, die ihn vor weiterer Strafverfolgung wegen Korruptionsvorwürfen schützt?

Genau. Netanjahu ist bekannt für eine durchaus robuste Rhetorik, aber auch für präzises und vorausschauendes Handeln und Zurückhaltung bei der Reaktion auf Provokationen, wenn er die Sicherheit Israels gefährdet sah.

Und Sie? Sehen auch Sie das Land gefährdet?

Ich mache mir große Sorgen. Zentraler Punkt ist die Justizreform, für die es durchaus einen nachvollziehbaren Grund gibt: Die Besetzung aller Richterstellen durch Vertreter der Anwaltschaft und der Richterschaft, die von der jetzigen Mehrheit als überwiegend säkular und links verortet wird, hat dazu geführt, dass große Gruppen der Gesellschaft sich nicht repräsentiert fühlen. Den Gerichten fehlt es an Diversität.

Leider nutzt die Koalition diesen Missstand für ein gefährliches Projekt: Künftig soll die einfache Mehrheit in der Knesset faktisch alle Richter benennen können. Mit der Unabhängigkeit der Justiz ist das unvereinbar. Wenn die Politik, die vom Obersten Gericht kontrolliert werden soll, selbst alle Kontrolleure bestimmt, ist das ein Anschlag auf die Gewaltenteilung.

Oder wenn das Parlament Gerichtsurteile überstimmen kann.

Politik braucht immer die Grenze des Rechts. Diese würde durch diese Pläne ausgehebelt, mit unabsehbaren politischen Folgen, auch für die Sicherheit israelischer Soldaten vor Strafverfolgung im Ausland.

Ich habe oft zu hören bekommen: Israel hat eine starke Demokratie. Da wird schon nichts passieren.
Volker Beck

Sieht man in der israelischen Politik nicht die Gefahren?

Nicht in dieser Schärfe. Ich habe oft zu hören bekommen: Israel hat eine starke Demokratie, da wird schon nichts passieren. Was mir Hoffnung macht, sind die Hunderttausende, die sich auf den Straßen in Jerusalem und Tel Aviv und im ganzen Land dem entgegenstellen. Auf deutsche Verhältnisse umgerechnet, wären das jedes Mal an die zwei Millionen Menschen. Das ist eine enorme Mobilisierung und spricht für die demokratische Imprägnierung der Gesellschaft in Israel. Diese Kräfte müssen wir stärken. Israel ist nicht Ungarn.

Ein zweites Problem ist die Siedlungspolitik der Regierung, die keinerlei Rücksichten mehr auf die Belange der palästinensischen Bevölkerung oder auch auf internationales Recht zu nehmen scheint.

Eine politische Rhetorik wie die von Hardlinern der rechtsextremen Koalitionspartei Ozma Jehudit mit dem Ruf nach „brennenden Dörfern“ als Vergeltung für Attentate, ist völlig unangemessen. Das hat Premier Netanjahu aber auch gesagt.

An unserem Bekenntnis zum Existenzrecht und zur Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson darf es keine Abstriche geben.
Volker Beck

Was sollte Deutschland tun?

Wir sollten im Dialog unsere Sorgen zum Ausdruck bringen. An unserem Bekenntnis zum Existenzrecht und zur Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson darf es keine Abstriche geben.

Gibt es dafür denn in der Bundesregierung die geringsten Anzeichen?

In den Medien wird es jedenfalls bereits diskutiert.

Und darüber hinaus?

Ich bin ganz bei Staatspräsident Jitzchak Herzog, der in einem Fünf-Punkt-Plan einen Stopp der Maßnahmen, bei denen mit knapper Mehrheit das Gefüge des Staates und der demokratischen Institutionen verändert würden, und einen Dialog gefordert hat. Wer hier mit dem Kopf durch die Wand gehen will, spaltet die Gesellschaft.

Leider haben Europa und Deutschland nicht viel zu bieten.
Volker Beck

Was ist mit außenpolitischem Druck?

Der Druck wird von innen kommen müssen. Wir sollten uns demonstrativ hinter Präsident Herzog stellen – und die Gesprächskanäle offenhalten. Alle Überlegungen, den Dialog mit der israelischen Regierung auszusetzen, halte ich für falsch. Wenn ich überlege, mit wem die Bundesregierung sonst redet, begreife ich nicht, dass man sich im Fall Israels überhaupt diese Frage stellt. Leider haben Europa und Deutschland nicht viel zu bieten.

Warum nicht?

Wir haben auch der Vorgängerregierung unter Jair Lapid und Naftali Bennett keine Erfolge gegönnt. Stattdessen hat das Auswärtige Amt reihenweise Pressemitteilungen zu Maßnahmen in den Siedlungsgebieten herausgegeben, bei denen man sich schon fragen musste, was man damit eigentlich bezwecken wollte – außer einer Selbstvergewisserung der eigenen, überlegenen Moral. Bewirkt hat es jedenfalls gar nichts.

Dass die Siedlungspolitik notorisch völkerrechtswidrig ist, sollte man aber schon feststellen dürfen, oder?

Ob dieses Urteil so pauschal gilt, darf man mit Fug und Recht hinterfragen: Was ist mit dem jüdischen Viertel in Jerusalems Altstadt? Mit dem Eigentum der 1929 vertriebenen Juden von Hebron oder mit der Stelle, an der Albert Einstein die Gründung der Hebrew-Universität 1923 verkündete? Alles völkerrechtswidrig besetzt? Unsere seit langem fehlende Differenzierung führt nur zu einem: Man hört uns einfach nicht mehr zu.

Was also?

Ich rate dazu, mit der Rechthaberei aufzuhören und mehr vom Ende her zu denken – gerade mit Blick auf die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten, die zu ihrem Recht auf Wohlstand und gedeihliche Entwicklung kommen muss. Neue israelische Siedlungen stehen dem entgegen.

Volker Beck, geb. 1960, ist seit 2022 Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Der Grünen-Politiker, der viele Jahre in Köln gelebt hat, gehörte von 1994 bis 2017 dem Bundestag an und war dort Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe. Beck ist Geschäftsführer des „Tikvah Institut“ und hat an einen Lehrauftrag für Religionspolitik am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (Ceres) der Universität Bochum. (jf)