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Kabinett beschließt DefinitionAntisemitismus, ein Problem der gesamten Gesellschaft

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Die israelische Flagge mit dem Davidstern.

Berlin – Rund ein Viertel der Menschen in Deutschland sind sekundär antisemitisch. Das bedeutet, dass sie zum Beispiel der Meinung sind, dass die Juden die Deutschen daran hindern würden, wieder zur Normalität zurückzufinden.

Rund 40 Prozent der Menschen vertreten einen israelbezogenen Antisemitismus. Die zunehmende Einwanderung stellt die Gesellschaft zudem vor neue Herausforderungen, auch in der Bildung und Pädagogik.

„Der Konsens, dass Antisemitismus in unserer Gesellschaft nichts zu suchen hat, ist fragiler geworden“, sagte Andreas Eberhardt, Vorsitzender der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) in Berlin.

Tagungsreihe durch Bundesprogramm gefördert

Die Stiftung hat am Mittwoch das neue Buch „Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische Bildung in der Migrationsgesellschaft“ vorgestellt und es an Familienministerin Katarina Barley (SPD) überreicht.

Das Buch versammelt Beiträge der Tagungsreihe „Blickwinkel. Antisemitismuskritisches Forum für Bildung und Wissenschaft“, die seit dem Jahr 2017 auch durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ gefördert wird.

Saba Nur Cheema, Bildungsreferentin und Leiterin der Projekte der Bildungsstätte Anne Frank, betonte, dass Antisemitismus unabhängig von Alter, Herkunft, Religion oder Geschlecht begriffen werden müsse.

Bildungsarbeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Auch wenn das Existieren antisemitischer Einstellungen in islamisch geprägten Gesellschaften nicht geleugnet werden dürfe, gebe es bisher keine signifikante Korrelation zwischen Muslimsein und antisemitischen Haltungen, schreibt die Autorin im Buch in ihrem Beitrag „Antimuslimischer Rassismus und Islamischer Antisemitismus“.

Pädagogische Fachkräfte stünden bei antisemitischen Äußerungen vor Herausforderungen, insbesondere wenn diese von muslimischen Jugendlichen kämen, heißt es weiter. „Bildungsarbeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, macht Cheema klar.

Historikerin Yasemin Shooman erklärte, dass besonders Muslime sich mit der „Gefahr einer Stigmatisierung“ konfrontiert sehen. Es sei eine sehr bequeme Haltung, zu denken, dass die „Muslime den Antisemitismus ins Land schleppten“.

Antisemitismus sei nicht Problem von Muslimen

Das Buch will damit auf diese politisch aktuelle Problemkonstellation reagieren: Die Vermittlung antisemitischer Werte in der Migrationsgesellschaft. Es erörtert zudem die Gefahr der Projektion von Antisemitismus in Deutschland auf Minderheiten, also auch auf Migranten.

So bräuchten Pädagogen „ein reflektiertes Wissen über Erfahrungen von Rassismus und Stigmatisierung muslimischer Jugendlicher und gleichzeitig ein Bewusstsein für das Vorhandensein islamisierter antisemitischer Einstellungen“, schreiben die Herausgeber Meron Mendel und Astrid Messerschmidt.

Mendel, auch Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Hessen, warnt davor, Antisemitismus nur als ein Problem von Muslimen zu betrachten. Das sei ein Problem der gesamten Gesellschaft.

Neue Arbeitsdefinition für Justiz und Exekutive wichtig

Familienministerin Barley betonte, dass das Thema nicht aktueller sein könnte: Am Mittwochvormittag hatte das Bundeskabinett sich auf die von der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) verabschiedete Arbeitsdefinition von Antisemitismus geeinigt.

Sie lautet: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Die Arbeitsdefinition soll insbesondere in der Schul- und Erwachsenenbildung sowie bei der Ausbildung in den Bereichen der Justiz und Exekutive berücksichtigt werden und zudem bei der Einordnung helfen, ob eine Tat als antisemitisch einzustufen ist.

„Antisemitismus muss beim Namen genannt werden. Das beste Mittel gegen Hass und Intoleranz bleibt Bildung und Mitmenschlichkeit“, sagte Barley. Sie freue sich, dass es mit der Arbeitsdefinition nun eine gemeinsame Grundlage in der Arbeit gegen Antisemitismus gibt. Das sei auch ein gutes Signal für die vielen Verbände, die sich im Bereich der Antisemitismus-Prävention engagieren.