AboAbonnieren

Strategie fürs Weiße HausKamala Harris entschlüsselt – Was Logo, Farben, Gestik und Mode verraten

Lesezeit 10 Minuten
Die demokratische US-Präsidentschaftskandidatin und US-Vizepräsidentin Kamala Harris hebt die Arme, als sie während der Democratic National Convention in Chicago die Bühne betritt.

Die demokratische US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris bei der Democratic National Convention in Chicago.

Kamala Harris und ihr Team setzen im US-Wahlkampf auf klare Farben, nüchterne Schriften, sanfte Looks – und kecke Social-Media-Tricks.

Das war schon eine smarte Räuberpistole: Klammheimlich mietete ein PR-Stunt-Team ein Hotelzimmer an, installierte eine Laseranlage und wartete auf die Nacht – alles für diesen Moment: Pünktlich zum Auftakt des Parteitags der Demokraten leuchteten auf dem Trump Tower in Chicago politische Bosheiten wie „Trump-Vance – verdammt seltsam“. Urheber des Polit-Pranks: das Demokratische Nationale Komitee (DNC), die mächtige Parteiorganisation, die Kamala Harris gern zur 47. Präsidentin der USA machen möchte.

Das ist eine komplexe Aufgabe. Denn auch US-Wahlen gewinnt man nicht allein mit politischen Klingelstreichen. Sondern mit einem strategischen Gesamtpaket, das in sechs bis acht Swing States wankelmütige Wähler überzeugt. Die Details des Krönungsparteitags für Kamala Harris in Chicago verraten viel darüber, wie das „Rebranding“ der lange unterschätzten Vizepräsidentin gelingen soll.

Welche Instrumente benutzen die PR-Profis? Wie verhindern sie, dass Harris zu „bossy“, zu kühl und aristokratisch wirkt wie Hillary Clinton 2016? Auf welche Faktoren also (außer dem clever gewählten „Running Mate“ Tim Walz) setzt Kamala Harris‘ Maschinerie?

„Sie ist nicht Joe Biden, und sie ist nicht Donald Trump“

„Harris verfügt über zwei große Vorteile und einen Nachteil“, sagt Stephan Lamby, erfahrener Wahlkampfbeobachter und Polit-Dokumentarfilmer („Im Wahn – Trump und die Amerikanische Katastrophe“, „Ernstfall – Regieren am Limit“). „Ihre beiden Vorteile sind: Sie ist nicht Joe Biden, und sie ist nicht Donald Trump. Ihr größter Nachteil: Sie ist noch nicht ausreichend bekannt.“

Faktor 1: „Many Shades of Blue“: Die Farben

Unterstützer halten Schilder, bevor die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris auf dem internationalen Flughafen von Pittsburgh eintrifft.

Unterstützer von Kamala Harris halten blaue Schilder hoch, als die Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris am Flughafen von Pittsburgh eintrifft.

Blau, alles ist blau. Blau steht im Farbspektrum für Besonnenheit, Sicherheit und Zuverlässigkeit. Für die „Harris Walz“-Plakate, die Tausende enthusiasmierte Delegierte in die Höhe recken, nutzten die Designer verschiedene „Persian Blue“-Abstufungen mit Namen wie „Union Blue“ oder „Delaware Bay Blue“ (dessen präzise Farbmischung wie folgt aussieht: CMYK 50%, 31%, 2%, 0%).

Trumps PR-Team nutzt ebenfalls massig Blau, verquirlt die Hintergrunddeko seiner Auftritte aber stärker (und mit deutlich mehr Rot) zu einer pathetisch-patriotischen Politkitsch-Kulisse inklusive Fake-Säulen im griechischen Stil, während die Hightechbühne des Demokratenparteitags in Chicago wirkt wie eine zeitgemäße Poparena, auf der nach Harris direkt Beyoncé auftreten könnte.

2,3 Millionen Telefonanrufe in zwölf Tagen

Blau, überall Blau, das gilt auch in den 260 Außenstellen der Harris-Kampagne in den Swing States. Dort geht die eigentliche Arbeit über die Bühne. Denn im US-Wahlkampf geht es nicht darum, die Gegenseite zu überzeugen, sondern die eigenen Anhänger zu mobilisieren. „Das Ziel ist es, schwer erreichbare Wähler davon zu überzeugen, sich zwischen unserem Kandidaten und der Couch zu entscheiden“, sagt der Vizewahlkampfmanager Rob Flaherty. In den ersten zwölf Tagen von Harris‘ Wahlkampf erledigten ihre Freiwilligen Helfer 2,3 Millionen Telefonanrufe und besuchten 172.000 Haushalte. Der Elan dieser Helfer kann Wahlen entscheiden. Es ist eine einfache Formel: Je sympathischer ihnen die eigene Kandidatin ist, desto größer der Eifer.

Faktor 2: Minimalistisch, aber clever: Das „Harris Walz“-Logo

Nur die Worte „Harris“ und „Walz“ auf blauem Grund. Das ist das Kampagnenlogo 2024. Das Team wählte als Schriftart für „Harris“ eine leicht modifizierte Sans Plomb 98 („bleifrei“, einst entwickelt auf der Basis französischer Tankstellenschilder) sowie für das (leicht ausgewalzte) Wort „Walz“ eine Balto. Die Harris-Schrift nannte man keck in „Fearless“ (Angstfrei) um. Zwei Schriften? Die bewusst versandte Botschaft an das Unterbewusstsein der Wähler: Walz ist ein unabhängiger Geist.

Eine Verneigung vor einer historisch bedeutenden Frau

Das Logo ist mit voller Absicht unprätentiös, nüchtern, offensiv anders. Keine „Stars and Stripes“-Anklänge, keine dynamischen Rechtspfeile. Dahinter steht aber eine historische Referenz: Mit der kargen „Flat Design“-Optik zitiert das Team den Wahlkampf von Shirley Chisholm, 1968 die erste Afroamerikanerin, die in den US-Kongress gewählt wurde. 1972 bewarb sie sich um die Präsidentschaftskandidatur.

Ihr Logo damals: ähnlich schnörkellos, ähnlich klar in schmal gestellter Typografie. Ihr Slogan: „Unbought and unbossed“ (etwa: „Unkäuflich und niemandem untergeordnet“). „Wir wollten selbstbewusst eine Identität schaffen, die sich nicht unnötig protzig oder extravagant anfühlt wie bei Trump“, sagte Ben Ostrower von der verantwortlichen Agentur Wide Eye dem Designfachmagazin „Fast Company“.

Faktor 3: „Auntie“ regelt das: Das Kamala-Gefühl

„Kamala“. Immer nur „Kamala“. In nur 48 Stunden nach Bidens Kandidaturverzicht benannte das Wahlkampfteam seine Social-Media-Kanäle von „Biden HQ“ in „Kamala HQ“ um. Auch Barack und Michelle Obama meldeten ihre Unterstützung in einem Video mit dem Titel „The Obamas call Kamala“. Überall ist von „Kamala & Tim“ die Rede, das wirkt kumpelig, während der monolithisch wirkende Trump fast nirgendwo „Donald“ heißt. Mrs. Harris gibt es nicht.

Es ist keineswegs ein Holterdiepolter-Wahlkampf: Über Monate hat Harris loyales PR-Personal um sich versammelt, hat Delegierte auf ihre Seite gezogen und einen detaillierten Schlachtplan für den Fall der Fälle ausarbeiten lassen. Dieses Team tut nun sein Möglichstes, die 59-Jährige als „Auntie“ zu inszenieren – ein Kosewort, das mit dem deutschen „Tantchen“ wenig zu tun hat: „Aunties“ sind die Anpackerinnen, die Familienzusammenhalterinnen, die Problemlöserinnen der US-Gesellschaft. Auch in Harris‘ Biografie bei X steht „Auntie“ schon seit Jahren neben „Ehefrau“ und „Momala“. Das ist der Spitzname, den ihr die Kinder ihres Mannes Doug Emhoff verliehen.

Kein billiges Zurückkeifen

Mühelos gelingt es Harris bisher, Kontakt zur Normalbevölkerung zu halten. Als Ideal gilt in ihrem Strategieteam das Bild einer „fröhlichen Kriegerin“, die über republikanische „Weirdos“ eher die Augen rollt, statt billig zurück zu keifen. Das verfängt auch bei den Jüngeren, die Biden bisher nicht erreicht hat. „Meine Nichte, die Biden ‚Völkermord-Joe‘ nannte, rief mich an und sagte: ‚Tante, ich möchte etwas tun‘“, erzählt etwa LaTosha Brown, Mitbegründerin der Organisation Black Voters Matter, in einer „Time Magazine“-Titelgeschichte.

Hillary Clinton hingegen glaubte 2016, als „Girl Boss“ punkten zu können, als karrierebewusste Erfolgsfrau im weißen Hosenanzug, der historischen Traditionsfarbe der US-Suffragetten. Ihre elitär wirkende Leistungsbesessenheit freilich war ein sehr „weißer“ Ansatz, der zudem viele Frauen ausschloss, deren Berufskleidung eben nicht der Hosenanzug ist.

Faktor 4: Das Styling: Der Hosenanzug und das Anglerkäppi

Die demokratische US-Präsidentschaftskandidatin und US-Vizepräsidentin Kamala Harris trifft in Phoenix ein, um eine Rede im Sheraton Hotel zu halten.

Die demokratische US-Präsidentschaftskandidatin und US-Vizepräsidentin Kamala Harris trifft in Phoenix ein. (Archivbild)

Auch Kamala Harris trägt mit Vorliebe Hosenanzüge, allerdings in sandfarbenen oder blauen Tönen, das wirkt erdverbundener. Anders als Angela Merkel, die zum Blazer andersfarbige Hosen wählte, bevorzugt Harris zumeist monochrome Modelle. Das wirkt klarer und konsistenter.

US-Wahlkämpfe brauchen Symbole. Unvergessen der von Willie Nelson besungene „alte Schuh“, der in der bitterschwarzen Polit-Filmsatire „Wag The Dog“ als Symbol für einen zum Fake-Helden stilisierten, verschollenen US-Soldaten wird. Im Harris-Wahlkampf hat die (im Merchandisingshop nach 30 Minuten ausverkaufte) Camouflage-Anglerkappe von „Coach Walz“ das Zeug zum Kultobjekt. Die volksnahe Kappe ist quasi der „Old Shoe 2024″, ein taugliches Symbol der Nahbarkeit im Kontrast zu Trumps goldenen Wasserhähnen.

Faktor 5: Zuversicht in Tiefblau: Die Macht der Bilder

Das Titelbild des vielbeachteten „Time Magazine“-Porträts über Harris war eine ikonische Federzeichnung, auf der sie aussieht wie die fünfte Figur am Mount Rushmore. Ein Bild, das selbst Trump unbeholfene Bewunderung abnötigte: Sie sehe aus wie „die schönste Schauspielerin, die je gelebt hat“ schwärmte er im Gespräch mit dem ins digitale Nirwana abrutschenden Autobauer und Freizeitjournalisten Elon Musk – „wie Melania“. Die Parteitagsregie in Chicago achtet peinlich genau darauf, Harris auf der Bühne stets nicht nur mit Frontlicht, sondern auch mit einem Spotscheinwerfer von oben zu beleuchten, das betont die Gesichtskonturen und erzeugt einen „Halo“-Effekt um den Kopf, der die Strahlkraft erhöht.

Die Macht der Bilder schlägt die Macht der Worte

Denn die Macht der Bilder schlägt (oft) die Macht der Worte. Das gilt kaum jemals so sehr wie in einem US-Wahlkampf. „Jedes Bild zählt, ob inszeniert oder nicht“, sagt Lamby. Jeder Schritt, jede Sekunde folgt einer Choreographie. Und manchmal greift der Zufall ein. Von Trump wird es kein ikonischeres Bild mehr geben als jenes nach dem Attentat, auf dem er, Blut am Ohr, die Faust in den Himmel reckt. „Kein Wort, kein Satz reicht auch nur im Entferntesten an die Macht eines solchen Bildes heran“, sagt Lamby. „Dieses Bild unterstützt die Behauptung der Republikaner, dass es in diesem Wahlkampf um Leben und Tod geht.“ Ein vergleichbar ikonisches Motiv von Harris gibt es bisher nicht.

Faktor 6: Trumps Eigentor: Ein Lachen als Markenzeichen

Und dennoch wirkt Trump ohne Biden ziemlich alt. „Harris wird auffällig oft als junge, sportliche Person präsentiert, die gerne tanzt und vor allem viel lacht“, sagt Lamby. Trump selbst trug lästernd dazu bei, dass Harris‘ markant-offensive Lache zum wichtigen Unterscheidungsmerkmal wurde. Dass er sie sofort als „Laughing Kamala“ verspottete, verrät vor allem eines: seine Sorge. Prompt ergriff das Harris-Team die Gelegenheit beim Schopf – ganz nach dem Motto: „It‘s not a bug, it‘s a feature“ (Es ist kein Makel, es ist eine besondere Eigenschaft). Es sind kaum Bilder von Harris zu finden, auf denen sie nicht lacht oder lächelt.

Spagat zwischen fröhlich und streng

„Das Lachen kann aber auch ein Problem werden“, sagt Lamby. Denn am Ende werde auch Harris an der „Putin-Frage“ gemessen. Unterbewusst stellen sich Wähler die Frage, welcher Kandidat das Zeug haben wird, dem russischen Kriegstreiber die Stirn zu bieten. Wie hart ist Harris? Es ist ein Spagat, Harris sowohl als juvenil-frisch als auch als erfahren und streng zu präsentieren. Schließlich geht es am Ende um nicht weniger als die Zukunft der Demokratie in den USA. „Nur wenn dieser Spagat gelingt“, sagt Lamby, „wird die Frau Präsidentin“.

Genau aus diesem Grund betont man so hartnäckig ihre Vergangenheit als seriöse Staatsanwältin, die sich auskenne im Umgang mit Gaunern und Filous wie Trump. Es kann nicht schaden, eine Repräsentantin des Rechtsstaates gegen einen Demokratieverächter ins Rennen zu schicken.

Faktor 7: Die Hände zum Himmel: Gestik und Rhetorik

Vergessen ist der unglückliche Biden, der immer mit drei unbeholfenen Trippelschritten Agilität vortäuschen musste. Kamala Harris geht und steht kerzengerade, tanzt souverän und zeigt angenehm selten mit großer Geste und ausgestrecktem Zeigefinger ins Publikum (oder ins menschenleere Nichts, wie Donald Trump in einem vielbekicherten Clip). Munter wippt sie zu ihrem Trademark-Song, „Freedom“ von „Beyoncé“. „I break chains all by myself / Won‘t let my freedom rot in hell“, heißt es darin. „Ich durchtrenne meine Ketten ganz allein / lasse meine Freiheit nicht in der Hölle verrotten.“

„Kamala Harris wird die Merkel machen“

Auffällig oft hebt die 1,63 Meter große Harris die Hände zum Himmel, vergrößert sich optisch, zeigt symbolisch in die Zukunft. Dass sie die erste Frau im Amt sein könnte, spielt – ebenso wie ihre afrikanischen und indischen Wurzeln – in der Wahlkampfstrategie kaum eine Rolle. Ähnlich wie 2005 bei Angela Merkel, die – gleichfalls ohne Erfahrung in höchsten Ämtern, als unterschätzte, ostdeutsche Frau – ihre Herkunft nicht betonte, sondern im Gesamtpaket überzeugte. „Ich sage voraus: Kamala Harris wird die Merkel machen“, sagt Lamby. Das heißt: aus ihrer Herkunft und der Tatsache, dass sie eine Frau ist, kein großes Ding machen.

Faktor 8: „Kamala is brat“: Die Kokosnuss-Strategie

Es kann schnell peinlich wirken, wenn Politiker versuchen, Meme-Trends zu folgen. Harris‘ Social-Media-Team hingegen bespielt die Klaviatur des Digitalen bisher virtuos. Da wäre zunächst: das Kokosnuss-Meme, ausgelöst durch ein Video, in dem Harris ihre Mutter zitierte, die über die Gedankenlosigkeit der Jugend in Herkunftsfragen erregt („Was stimmt mit euch jungen Leuten nicht? Glaubt ihr, ihr seid einfach aus einer Kokosnusspalme gefallen?“).

Da wäre außerdem: das „Kamala is Brat“-Meme. In Anlehnung an das grünlich eingefärbte Cover des Erfolgsalbums „Brat“ (deutsch etwa: „Göre“) der britischen Sängerin Charli xcx – der Sommersoundtrack der „Generation Z“ – zeigte auch Harris sich in einem Tiktok-Video in ähnlich grün eingefärbten Bildern wie das Albumcover, zur Musik von Charli xcz. Und wurde von ihr mit dem Satz geadelt: „Kamala is brat.“ Ein Ehrentitel. Freilich einer, der einem noch lange nicht den Weg ins Weiße Haus ebnet.

In Florida fügt sich alles zusammen

Am Ende kommen gleich mehrere Faktoren der Harris/Walz-Kampagne in einer Werbetafel an der Interstate 95 in Palm Beach County in Florida zusammen. Dort steht auf einem „brat“-grünen Untergrund nur ein einziges Wort: Es ist jener Ausdruck, den Tim Walz für Trump und seinen irrlichternden Vizepräsidentschaftskandidaten J.D. Vance geprägt hat: „weird“ (schratig). Ein paar Meilen weiter nördlich führt ein Abzweig direkt zu Donald Trumps floridianischer Residenz Mar-a-Lago. Noch so ein politischer Streich. Das Momentum gehört ohne Zweifel „Auntie Kamala“. Die Frage ist bloß, ob „Auntie Kamala“ Wähler beeindrucken kann, die sich vor Putin fürchten. (rnd)