Kamala Harris zeigt sich in ihrer Rede auf dem Parteitag mit Optimismus und einem Schuss Ironie. Sie setzt bewusst auch auf Wechselwähler.
„Amerika, wir gehen nicht zurück“Kamala Harris spricht auf Parteitag von „neuem Weg“ – Trump hetzt im Hintergrund
Vierzig Minuten lang hat Kamala Harris in der riesigen United Arena gesprochen. Sie hat ihren Lebensweg beschrieben und ihre politischen Ziele umrissen. Doch ganz am Ende kommt sie noch einmal auf ihre Mutter zurück. Die nämlich habe ihr eine wichtige Mahnung mit auf den Weg gegeben: „Lass Dir niemals von jemandem sagen, wer Du bist. Du musst zeigen, wer Du bist!“
Sich selber erklären, ihre Motivation und ihr Denken erläutern – genau das ist es, was die demokratische Präsidentschaftsbewerberin an diesem Abend unternimmt. In den vergangenen Wochen hat sie einen kometenhaften Aufstieg erlebt, von der glücklosen Vizepräsidentin zur umjubelten Pop-Ikone und Hoffnungsträgerin der amerikanischen Demokraten. Sie hat in atemberaubender Geschwindigkeit ihre Partei hinter sich vereint und eine perfekt inszenierte Convention hinter sich gebracht. Aber viele Amerikaner wissen noch nicht, wofür die 59-Jährige steht.
Kamala Harris: „Zynismus und Verbitterung hinter sich lassen“
Am Ende einer flammenden Rede, die die 20.000 Zuhörer in der Halle zu wahren Begeisterungstürmen hinreißt, sind die Konturen klarer. Zumindest ein bisschen. Wer ein konkretes Regierungsprogramm erwartet hat, wird enttäuscht sein. Aber das ist auch nicht der Sinn eines solchen Auftritts bei einer amerikanischen Convention. Es geht um das große Bild, die mitreißende Erzählung, die Mobilisierung der Wähler – und eine unvermeidliche Portion Pathos. Gemessen daran legt Harris einen ziemlich guten Auftritt hin.
„Bei dieser Wahl bietet sich unserer Nation eine wertvolle, flüchtige Chance, den Zynismus, die Verbitterung und die flüchtigen Kämpfe der Vergangenheit hinter sich zu lassen“, sagt die Präsidentschaftskandidatin und plädiert für einen „neuen Weg nach vorne – nicht als Mitglieder einer Partei oder Fraktion, sondern als Amerikaner“. An die Adresse der mehr als 20 Millionen Fernsehzuschauer berichtet verspricht Harris, eine „Präsidentin aller Amerikaner“ zu sein, die führt, aber auch zuhört, die realistisch sei und „dem gesunden Menschenverstand“ folgen wolle.
Kamala präsentiert sich in scharfem Kontrast zu Konkurrent Donald Trump
Das ist ein scharfer Kontrast zu ihrem Wettbewerber Donald Trump, der zuletzt zwar öfter das Wort „Einigkeit“ im Mund geführt, kurz darauf aber stets seine Kritiker bepöbelte und in letzter Zeit die Demokraten mit immer martialischeren Verwünschungen überzieht. Harris zielt ganz bewusst auf die Wechselwähler – das hat der ganze Parteitag gezeigt, bei dem fast einem Dutzend moderaten, Trump-kritischen Republikanern bis hin zu dem Ex-Abgeordneten Adam Kinzinger ungewöhnlich prominente Redezeiten eingeräumt wurden.
Entsprechend hart geht Harris denn auch Trump an. Aber sie macht dies nicht in der sehr grundsätzlichen Art von Joe Biden, sondern mit Optimismus und einem Schuss Ironie: „In vielerlei Hinsicht ist Donald Trump ein unseriöser Mann“, sagt sie, „aber die Konsequenzen, wenn er ins Weiße Haus zurückkehrt, sind enorm ernsthaft.“
Sie prangert die Pläne des Ex-Präsidenten zur Begnadigung der Putschisten des 6. Januar, zur Verfolgung von Journalisten und zum Einsatz des Militärs im Inneren an. Sie geißelt die Vorhaben zur Beschneidung von Kranken- und Rentenversicherung. Trump wolle das Land in die Vergangenheit zurückführen. Aber: „Amerika, wir gehen nicht zurück!“ kontert sie entschieden. „Wir gehen nicht zurück!“, skandiert die ganze Arena.
Regierungsprogramm: Harris bleibt vage, um wenig Angriffsfläche zu bieten
Zukunft statt Vergangenheit, Optimismus statt Hass und Bitterkeit – das sind erkennbar die Leitmotive der Harris-Kampagne. Die 59-Jährige führt ihre Überzeugungen auf ihre Lebensgeschichte zurück: Ihr Vater, ein aus Jamaika eingewanderter Ökonomieprofessor, habe ihr früh beigebracht, keine Angst zu haben. Von ihrer Mutter, einer Krebsforscherin aus Indien, die die Kinder nach der Trennung von ihrem Mann alleine großzog, habe sie als schwarzes Mädchen gelernt, keine Ungerechtigkeiten zu dulden. Die Begegnung mit einer Freundin, die von ihrem Vater sexuell misshandelt wurde, habe sie schließlich motiviert, den Beruf der Staatsanwältin zu ergreifen.
Viel mehr Einblick in ihr persönliches Denken aber gewährt Harris nicht. Und auch bei ihrem politischen Programm bleibt sie bewusst unbestimmt, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Für die Mittelschicht will sie kämpfen, für eine Wirtschaft, in der jeder eine Chance hat. Erste konkretere Vorschläge, die sie etwa für eine Wohnungsbauprämie und den Kampf gegen angeblichen Preiswucher vorgelegt hat, sind bei Experten auf ein eher skeptisches Echo gestoßen.
Grundzüge der Biden-Politik bleiben wohl erhalten
Ansonsten deutet vieles auf politische Kontinuität zu Amtsinhaber Biden hin: Harris verspricht, für ein nationales Abtreibungsrecht zu kämpfen, das Wahlrecht zu reformieren und das Asylrecht im Sinne eines überparteilichen Kompromissvorschlages zu verschärfen. Alles dies hatte auch Biden versucht, war aber bei sämtlichen Vorhaben an den Republikanern im Kongress gescheitert.
Auch die Grundzüge der Außenpolitik klingen ähnlich wie die der gegenwärtigen Regierung: „Als Präsidentin werde ich entschlossen an der Seite der Ukraine und unserer Verbündeten stehen“, verspricht Harris. Am ehesten könnte es eine Akzentverschiebung in der Haltung zu Israel geben. Zwar betont auch Harris entschieden das Recht des jüdischen Staates auf Selbstverteidigung. Doch ihr Zusatz, dass der Krieg in Gaza „verheerend“ sei, bekommt besonders starken Beifall.
Zwar hatte die Parteitagsregie palästinensisch-stämmigen Delegierten einen eigenen Auftritt verwehrt. Doch spürbar wächst bei den Demokraten die Verärgerung über den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der bislang alle Vorstöße für einen Waffenstillstand torpediert hat und den amtierenden Präsidenten Biden zunehmend machtlos aussehen lässt.
Donald Trump greift Harris mit Beiträgen an
Im Hintergrund des Parteitags wetterte der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump. Auf seiner Plattform Truth Social veröffentlichte Trump eine ganze Reihe von Beiträgen, in denen er Harris angriff und ihr vorwarf, nichts zu tun und zu jammern. „Sie hat dreieinhalb Jahre lang nichts anderes getan als zu reden, und genau das tut sie heute Abend, sie beschwert sich über alles, aber tut nichts!“, schrieb er über die Vizepräsidentin.
Harris solle aufhören, zu reden und nach Washington zurückkehren, um sich um die Probleme zu kümmern, über die sie sich beschwere, forderte Trump (78). Die Demokratin habe Amerika zu einer scheiternden Nation gemacht, beklagte er. (mit tis)