Interview

Kölner US-Experte zum Attentat
„Trump hat die Situation instinktiv erfasst. Er braucht kein Drehbuch, um sowas zu machen“

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Donald Trump zu Beginn der Wahlkampfveranstaltung in Butler. Kurze Zeit später kam es zum Attentat.

Donald Trump zu Beginn der Wahlkampfveranstaltung in Butler. Kurze Zeit später kam es zum Attentat.

Thomas Jäger, Experte für internationale Politik, über die Bedeutung des Attentats auf Donald Trump für den US-Wahlkampf.

Die Szenen sind in Teilen bizarr. Es fallen Schüsse. Ein blutender Donald Trump stoppt den Personenschutz, streckt die Faust in die Luft. Der Secret Service, der ohnehin verzögert zu reagieren scheint, macht das mit. Welchen Eindruck macht das auf Sie?

Thomas Jäger: Man hätte erwartet, dass Trump in voller Deckung gehalten und zum Wagen gebracht wird. Er selbst hat diese Phase genutzt. Trump ist ein Meister der politischen Kommunikation und des politischen Marketings. Er hat die Situation instinktiv erfasst. Er braucht kein Drehbuch, um sowas zu machen.

Die Jahrhundert-Fotos vom verwundeten Trump gehen bereits um die ganze Welt. Was bedeutet dieses Ereignis für den Wahlkampf und die Wahl?

Erstmal sieht es jetzt so aus, als stünden hier zwei ganz unterschiedliche Kandidaten zur Wahl: der kämpferische Trump, der selbst in so einer Situation die Faust reckt, und der tattrige Präsident Biden. Aber es geht darum, wer nun die Deutungshoheit gewinnt. Zwei Bewertungen zeichnen sich bereits ab. Die eine: Das Attentat ist das Ergebnis der „Hexenjagd“ auf Donald Trump. Demnach war so ein Ereignis zu erwarten, weil sich irgendjemand zwischen die Bevölkerung, die Trump vertritt, und ihn stellt. Auf der anderen Seite die Sicht, dass das Attentat Ergebnis der Zunahme politischer Gewalt in der amerikanischen Gesellschaft ist, an der Trump selbst großen Anteil hat, wie der Sturm auf das Kapitol gezeigt hat.

Politologe Thomas Jäger

Politologe Thomas Jäger

1981 missglückte ein Attentat auf den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan. Seine Zustimmungswerte schossen danach in die Höhe. Ist das auch hier zu erwarten?

Zur Zeit von Reagan erreichten Präsidenten generell eine weit höhere Zustimmung. Auch Demokraten drückten Sympathie für den Präsidenten aus, wenn er Republikaner war. Inzwischen ist das nicht mehr so. Joe Biden hat aktuell einen Beliebtheitswert von 36 Prozent. Das ist genau die Kernwählerschaft der Demokraten. Falls Trump Präsident wird, wird er auch wieder 36 Prozent Zustimmung haben, so wie es vorher war. Die Polarisierung der Gesellschaft führt dazu, dass es diese riesigen Ausschläge in dem Maß gar nicht mehr gibt.

Also werden vorherige Biden-Sympathisanten jetzt nicht die Seite wechseln?

Was Trump gelingen dürfte, ist, die Kritiker in der republikanischen Partei stärker auf seine Seite zu ziehen. Die demokratischen Wähler wird er auch jetzt nicht gewinnen. Die Frage ist: Wer setzt sich bei den unabhängigen Wählern durch? Das wissen wir noch nicht, weil es davon abhängt, welche Bewertung sich im Diskurs durchsetzt.

Wie geht es für Biden jetzt weiter?

Jetzt kommt es erstmal darauf an, was der Parteitag der Republikaner bringt. Der wird stattfinden und es war ohnehin zu erwarten, dass die Aufmerksamkeit, die Biden in den letzten Wochen erfahren hat, damit zurückgeht. Das dürfte ihm entgegenkommen. Der Rest hängt vom Parteitag ab. Zum Beispiel muss noch ein Vizepräsident gewählt werden. Die Demokraten werden das genau beobachten und bei ihrer Linie bleiben. Sie positionieren Biden zum einen als den rationalen, verlässlichen, vernünftigen Politiker gegen den unzuverlässigen, unkalkulierbaren Wirrkopf Trump. Inhaltlich werden sie versuchen, das Projekt 2025 in den Vordergrund zu stellen.

Wird die Debatte um einen möglichen Austritts Bidens aus dem Wahlkampf noch einmal an Bedeutung gewinnen?

Die ist bereits voll in Fahrt. Es hat sich bislang nur niemand aus der Deckung getraut. Die Demokraten haben jetzt noch bis August Zeit. Die Schwierigkeit für sie ist, zu überlegen, was kurzfristige Effekte sind, die sich aufgrund des Attentats und des am Montag beginnenden Parteitags der Republikaner einstellen. Und was hingegen stabile Wählerüberzeugungen sind, die dann auch am Wahltag ihren Ausdruck finden.

Man liest jetzt an vielen Stellen, die USA seien knapp einem Bürgerkrieg entgangen. Schätzen Sie das auch so ein?

Zwei Drittel der Amerikanerinnen und Amerikaner sagen, sie erwarten, dass politische Gewalt ausbricht, dass es also wieder zum Bürgerkrieg kommt. Nicht nur einem kulturellen Bürgerkrieg, sondern einem realen. Auch da wiederum hat Trump seinen Anteil dran. Wenn er sagt, er wollte das nächste Wahlergebnis anerkennen, wenn es ein gutes ist. Wenn er bei den Proud Boys sagt: „Stand back and stand by.“ Er spielt mit der Gewalt.