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Kollaps im KuhstallTrumps Politik hat verheerende Folgen für Farmer

Lesezeit 8 Minuten
Milchfarmer Hans Breitenmoser steht mit seiner Hündin Fern auf seiner Farm in Merrill, Wisconsin.

Milchfarmer Hans Breitenmoser steht mit seiner Hündin Fern auf seiner Farm in Merrill, Wisconsin.

Das ländliche Amerika hat Donald Trump zur Präsidentschaft verholfen. Doch ausgerechnet hier zeigt seine Politik verheerende Folgen.

Am Morgen ist das Thermometer endlich über Null geklettert. Ein paar Schneefelder säumen noch den Hügel im Norden des Bundesstaats Wisconsin, auf dessen Rücken ein weißes Farmhaus neben einem gewaltigen blauen Silo in der Frühlingssonne strahlt. Hier lebt Hans Breitenmoser seit seiner Geburt. „Meine Eltern waren abenteuerlustig und kamen über den Atlantik“, sagt der 55-Jährige schmunzelnd: „Ich bin in meinem Leben nur einmal von der anderen Straßenseite hierüber gezogen.“

Der Milchfarmer Hans Breitenmoser aus Merrill, Wisconsin, sorgt sich unter Trumps Präsidentschaft um die Zukunft seiner Farm.

Der Milchfarmer Hans Breitenmoser aus Merrill, Wisconsin, sorgt sich unter Trumps Präsidentschaft um die Zukunft seiner Farm.

Äußerlich mag sich für den Sohn von Schweizer Auswanderern in den letzten Jahrzehnten nicht viel geändert haben. Die Winter hier oben in der Region der Großen Seen sind immer noch lang und eisig. Die kaum hundert Meter entfernte kleine Kirche an der Joe Snow Road, auf deren Friedhof Breitenmosers Vater beerdigt ist, steht noch. Doch im Dach des hölzernen Gotteshauses klafft ein großes Loch. Und die historischen Fotos im Büro des Bauern machen die Veränderungen seines Berufes überdeutlich: „Als meine Eltern hier 1968 mit 25 Kühen angefangen haben, gab es in der Nachbarschaft 13 Milchfarmen“, erzählt Breitenmoser: „Heute sind es noch drei, und auf meinem Hof stehen 460 Kühe.“

Donald Trumps Politik trifft Landwirtschaft ins Mark

Der Mann mit den kräftigen Händen und einem kurzgeschorenen Bart hat den Wandel gut bewältigt. Selbst nach einem verheerenden Feuer vor zehn Jahren, das seinen Kuhstall vernichtete, dachte er nicht ans Aufgeben. Doch nun hadert der Vater von fünf Kindern mit seinem Job. Seine älteste Tochter möchte den Betrieb nicht übernehmen, ihre Geschwister sind noch zu jung für eine Entscheidung. Die Verkaufspreise für Rinder sind gerade hoch. „Es gibt Tage, an denen ich mich frage: Warum mache ich das? Vielleicht sollte ich meine Chips einlösen“, gesteht er.

Ein Mitarbeiter von Milchfarmer Hans Breitenmoser läuft durch den Stall. Breitenmoser beschäftigt auf seiner Farm Mexikaner, die nun Angst davor haben, abgeschoben zu werden.

Ein Mitarbeiter von Milchfarmer Hans Breitenmoser läuft durch den Stall. Breitenmoser beschäftigt auf seiner Farm Mexikaner, die nun Angst davor haben, abgeschoben zu werden.

Der Grund für den Frust des Farmers residiert 1500 Kilometer südöstlich im Weißen Haus. „Beim letzten Mal vor vier Jahren haben wir den Verrückten überlebt“, bricht es aus Breitenmoser heraus: „Aber dieses Mal fühlt es sich an, als wenn die Räder vom Wagen abfallen.“ Tatsächlich trifft Donald Trumps Chaos-Politik die amerikanische Landwirtschaft mehrfach ins Mark: Erst stoppte der Präsident die Subventionen für Landschaftspflege und Umweltschutz. Dann ließ er die Entwicklungsorganisation USAID zerschlagen, die viele Farm-Produkte aufkaufte und in alle Welt schickte. Nebenbei hat der Präsident einen beispiellosen Handelskrieg entfacht, der Ausfuhren erschwert und Einfuhren verteuert. Über allem aber schwebt das Damoklesschwert der Massenabschiebung von irregulären Migranten, ohne die viele Farmen nicht überleben können.

Farmer beschäftigt zwölf Mexikaner - ein landesweites Phänomen

Auch Breitenmoser beschäftigt zwölf Mexikaner. „Ich muss meine Worte sehr vorsichtig wählen“, sagt er und beginnt mit einem kleinen historischen Exkurs. Die Milchindustrie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in den USA dramatisch gewandelt. Überproduktion und Konkurrenzdruck haben viele Betriebe vom Markt gefegt. Wer überleben will, muss wachsen - so wie es Breitenmoser getan hat. Doch hunderte Kühe, die dreimal am Tag gemolken werden, können unmöglich von einer Familie alleine betreut werden. Verzweifelt suchte Breitenmoser zunächst nach amerikanischem Personal. Niemand wollte den mäßig bezahlten, körperlich anstrengenden Job machen.

Eines Tages dann stand ein Lateinamerikaner vor der Tür, der eine Beschäftigung suchte. Er zog Freunde und Bekannte nach. Von jedem hat sich der Farmer die Aufenthaltsgenehmigung und den Sozialversicherungsausweis zeigen lassen. „Ich bin nicht die Polizei“, sagt er, „ich muss diese Dokumente anerkennen. Nach meinem besten Wissen sind die Leute alle legal hier.“ Seit vielen Jahren schuften bei ihm im Stall, auf dem Acker und an der Melkanlage wie bei seinen Nachbarn ausländische Arbeitskräfte für einen Stundenlohn zwischen 13 und 30 Dollar.

So ist das überall in Amerika. Auf Baustellen, in der Pflege und auf Farmen sieht man nur wenige Einheimische. Landesweit stammt jede fünfte Arbeitskraft aus dem Ausland. Doch Millionen von migrantischen Arbeitern sind illegal ins Land gekommen oder besitzen aus einem anderen Grund keinen gültigen Aufenthaltstitel. Jahrzehntelang haben die Politiker in Washington darüber großzügig hinweggesehen, da sie die Mehrheiten für eine echte Einwanderungsreform nicht zustande bekamen. So werden die meist aus Lateinamerika stammenden Migranten gerne als billige und verlässliche Arbeitskräfte genutzt, die Steuern und Sozialabgaben zahlen, in vielen Bundesstaaten aber keinen Führerschein erwerben dürfen und überall rechtlich schutzlos sind.

Nach Trumps Amtsantritt: 12 Millionen Menschen ohne Papiere leben in Angst

Mitten in diese Grauzone ist Trump mit seiner Kampagne gegen Migranten gestoßen, die er als „Kriminelle“ und „Vergewaltiger“ diffamiert und rassistisch bezichtigt, „das amerikanische Blut“ zu vergiften. „Am ersten Tag werde ich das größte Deportationsprogramm in der amerikanischen Geschichte starten“, brüstete er sich im Wahlkampf. In den Städten hat es spektakuläre Razzien gegeben. Mangels Personals sind die tatsächlichen Abschiebezahlen bislang zwar noch nicht gestiegen. Aber das dürfte sich angesichts des gewaltigen Drucks des Präsidenten bald ändern. Seit Trumps Amtsantritt müssen zwölf Millionen Menschen ohne Papiere in ständiger Angst leben.

Ein Mitarbeiter von Milchfarmer Hans Breitenmoser verlässt den Stall. Trumps Abschiebepolitik trifft landwirtschaftliche Betriebe besonders, denn viele Farmen beschäftigen Einwanderer.

Ein Mitarbeiter von Milchfarmer Hans Breitenmoser verlässt den Stall. Trumps Abschiebepolitik trifft landwirtschaftliche Betriebe besonders, denn viele Farmen beschäftigen Einwanderer.

Langsam macht sich Unruhe auch unter den Farmern breit. Laut Schätzungen der Universität von Michigan besitzen 40 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft keine offizielle Arbeitserlaubnis. Ihre „Dokumente“ sind oft gefälscht. Viele unterstützen mit ihrem Verdienst die Familien in Lateinamerika, bevor sie nach einigen Jahren wieder in ihre Heimat zurückgehen.

Trump Zoll- und Abschiebepolitik trifft Milchfarmer besonders

Trumps Abschiebedrohung trifft nun vor allem die Milchfarmer, die praktisch keine legale Möglichkeit haben, Arbeitskräfte im Ausland anzuwerben. Ein Saisonarbeiter-Visum, das viele Getreide- oder Obstbauern nutzen, ist auf wenige Monate befristet. „Dieses Visum passt nicht zu unserem ganzjährigen Bedarf“, erklärt die National Milk Producers Federation und warnt: „Milchfarmer können auf ihr derzeitiges Personal nicht ohne massive Einbrüche der ländlichen Wirtschaft verzichten.“

Bislang findet man trotzdem nur wenige Bauern, die öffentlich aufbegehren. Das ländliche Amerika ist konservativ. In Lincoln County rund um Merrill haben fast zwei Drittel für Trump gestimmt. „Wer vorprescht, trägt eine Zielscheibe auf seinem Rücken“, sagt Breitenmoser, der überzeugte Anhänger der Demokraten ist. Deshalb hat auch er gezögert: „Einerseits hat man eine moralische Verpflichtung, dagegen aufzustehen, wenn seine Nachbarn bezichtigt werden, Mörder und Vergewaltiger zu sein - und tatsächlich sind sie das absolute Gegenteil“, sagt er. Aber: „Wenn man es zu laut macht, bringt man sich und seine Arbeiter in Gefahr.“

Unter republikanischen Farmern herrscht ein Kartell des Schweigens. Auch in privaten Gesprächen distanzieren sich nur wenige von Trump. Die meisten geben sie sich unwissend oder überzeugt, dass der Präsident mit seinen Attacken schon nicht die hart arbeitenden Menschen auf ihren Höfen meint. „Keine dieser Farmen kommt ohne Migranten aus“, empört sich Breitenmoser: „Wie kann man jemanden wählen, der seine Angestellten rauswerfen will und allen Arschlöchern in diesem Land eine Lizenz erteilt, deren Kinder in der Schule zu mobben? Das ist zynisch.“

Ob die Nibelungentreue der Farmer hält, könnte für den Ausgang der Midterm-Wahlen in anderthalb Jahren entscheidend sein. Mit der abrupten Einstellung der zugesagten Landschaftsschutz-Subventionen und dem aberwitzigen Handelskrieg mit Kanada hat der Präsident seinen ländlichen Stammwählern zwei weitere schwere Brocken auf die Füße geworfen.  „Wenn sich Zölle und Vergeltungszölle weiter hochschaukeln, haben wir ein echtes Problem“, sagt Breitenmoser: „Die Kanadier haben genügend Kühe. Die brauchen unsere Milchprodukte nicht.“ Ein großer Teil der Milch von ihm und seinen Nachbarn wird zu Käse verarbeitet. Fällt der Export weg, dürfte der Milchpreis weiter in den Keller stürzen. Langfristige Investitionsentscheidungen sind unter solchen Umständen kaum möglich.

Einwanderer üben entscheidende Berufe aus

Bei einem Rundgang über seinen Hof macht Breitenmoser vor einem Gatter halt, hinter dem eine Holstein-Kuh kalbt. „Ich kann meine Farm nicht einfach an- und ausschalten“, sagt er: „Es vergehen zwei Jahre, bis das Kalb selbst tragen kann. Und dann dauert es weitere anderthalb Jahre, bis ich meine Kosten gedeckt habe.“ Ob er sich Sorgen macht, dass Trump mit seinen angekündigten Massendeportationen Ernst macht? „Natürlich“, antwortet er: „Ich bin besorgter denn je.“

Doch nicht nur die wirtschaftliche Existenz des Farmers ist bedroht: „Kühe müssen gefüttert und gemolken werden. Wenn es keine Arbeiter mehr gibt, werden sich überall im Land verendete Rinder stapeln“, entwirft er zum Abschied ein düsteres Szenario: „Die schaffen es nicht einmal mehr als Hackfleisch auf einen McDonald's Hamburger. Wer sollte sie schlachten? In den Fleischfabriken arbeiten nur Ausländer.“

Das ist nicht übertrieben. Eine Dreiviertelstunde dauert es mit dem Auto von Breitenmosers Farm bis zur fleischverarbeitenden Fabrik in Abbottsford. Der Ort im Niemandsland von Wisconsin hat gerade mal 2200 Einwohner. Doch fast 40 Prozent von ihnen kommen aus Lateinamerika. Reden möchte hier niemand. Aber bei einem Bummel über die First Street, die mit ihren mexikanischen Restaurants und Geschäften wie ein Ort jenseits der Südgrenze wirkt, bekommt man einen bedrückenden Eindruck von der angespannten Nervosität und existenziellen Angst der Migranten vor einer Nacht-und-Nebel-Abschiebung zurück in die Hoffnungslosigkeit mit der einzigen Perspektive einer erneuten, höchst gefährlichen und sehr teuren illegalen Überquerung des Rio Grande.

„Was machen Sie da?“, stürmt ein Mann aus der Taqueria del Sol auf den deutschen Besucher zu, der gerade ein harmloses Handy-Foto von der bunten Straßenfront geschossen hat. „Warum machen Sie ein Foto?“, hakt er aufgebracht in holprigem Englisch mit spanischem Akzent nach: „Was soll das?“ Es dauert eine Weile, bis er sich beruhigt. „Sie wissen: Es passiert soviel“, lenkt er schließlich ein: „Es geht um Sicherheit.“

Kurz schüttelt er noch die Hand. Dann eilt er im Laufschritt zu dem Lokal zurück. Er reißt die vermeintlich schützende Tür auf und ist in Windeseile verschwunden.