Kommentar zu Antisemitismus auf dem SchulhofDas Bildungssystem muss aufwachen
Köln – Hinter sogenannter Israelkritik verbirgt sich viel zu oft Israelfeindschaft und ebenso häufig unverhohlener Antisemitismus – auch auf deutschen Schulhöfen und in Klassenzimmern. Es braucht nicht erst einen Konflikt wie den, der aktuell den Nahen Osten erschüttert, damit sich antijüdische Ressentiments und sogar Hass Bahn brechen. Das Wort Jude gilt bei vielen Schülerinnen und Schülern als Schimpfwort, und das ist leider kein flüchtiger Eindruck, sondern eine manifeste Erkenntnis.
Sprösslinge alteingesessener deutscher Familien beteiligen sich an diesem Krieg der Worte ebenso wie Jugendliche mit Migrationshintergrund. Sie sind zwar selbst häufig Opfer von Diskriminierung, zögern aber vielfach nicht, sich ihrerseits an der Herabwürdigung anderer zu beteiligen. Und das sind meistens Jüdinnen und Juden.
Probates Mittel
Das Bildungssystem ist dringend aufgerufen, hier gegenzusteuern. Schon lange sind Klassenfahrten zu den Stätten nationalsozialistischer Verbrechen ein probates Mittel, für Aufklärung und Nachdenken zu sorgen – der Schrecken der Vergangenheit wirkt auch auf die heutige junge Generation, doch sind solche Unterrichtsstunden in eigener Anschauung die Ausnahme in jeder Schulbiografie. Es ist der Alltag, der in den Blick genommen werden muss, die Verbalattacke in der Fünf-Minuten-Pause, die Entgleisung in der Geschichts- oder Religionsstunde. Vor allem müssen Lehrerinnen und Lehrer selbst lernen, wie sie auf den plötzlich aufflammenden Antisemitismus angemessen und schnell reagieren, deswegen gehört ein entsprechendes Training zwingend in ihre Ausbildung – solchermaßen geschult, könnten viele Lehrkräfte nicht allein auf Judenhass, sondern auf Diskriminierungen jeglicher Art besser antworten.
Grundsätzliche Antwort
Doch die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen benötigt noch eine sehr viel grundsätzlichere Antwort darauf, dass Heranwachsende anno 2021 bereit sind, das deutsche Menschheitsverbrechen zu relativieren, dass sie üble Stereotype bedienen und lieber dumpfen Gefühlen folgen als den Kopf anzustrengen. Denn Antisemitismus ist oft genau dies: eine faule, argumentativ niemals durchdrungene Verschwörungserzählung, deren Anhänger sich auf der Seite der Gerechtigkeit wähnen. Dass die Hamas das eigene Volk als Geisel hält, dass Terror kein Mittel der Auseinandersetzung ist, dringt nicht zu ihnen vor – es sind aber just solche Maßstäbe, die im Schulunterricht, in der politischen und historischen Bildung junger Menschen gerade gerückt werden müssen.
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Es reicht nicht, Schülerinnen und Schüler allein mit Fakten zu versorgen, so wichtig diese sind. Ein effektiver Botschafter gegen antisemitischen und sexistischen Gangsta-Rap ist beispielsweise der jüdische Rapper Ben Salomo, der den direkten Dialog in den Schulen sucht. Wir brauchen mehr Kommunikationskünstler wie ihn, vor allem aber brauchen wir einen demokratiefördernden Unterricht, der sie zu Wort kommen lässt.