Gemeingefährliche Menschen wie Ibrahim A. dürfen den Behörden nicht durch die Finger gleiten. Über Migration ist auch zu reden – aber bitte mit Fokus auf die konkreten Missstände.
Kommentar zu BrokstedtDie Debatte über Konsequenzen muss ohne Schaum vor dem Mund geführt werden
Je mehr Details über den Täter von Brokstedt bekannt werden, desto mehr Fragen stellen sich, ob und wie eine solche Tat hätte verhindert werden können. An erster Stelle steht die Frage, wie sich die Gesellschaft vor gemeingefährlichen Menschen schützen kann - egal welcher Herkunft und unabhängig davon, ob sie schlicht kriminell oder psychisch krank sind.
Entlassung vom Täter war fahrlässig
Einen vollständigen Schutz vor amoklaufenden Personen, die mit einem Messer oder auch mit einem Auto als Waffe unterwegs sind, gibt es nie. Im Fall von Ibrahim A. geht es aber um einen Mann, der mehrfach durch Gewalt- und Sexualdelikte aufgefallen ist. Er war verurteilt, ist in Berufung gegangen, blieb in U-Haft, aus der er schließlich entlassen wurde, ohne dass es ein rechtskräftiges Urteil gab und ohne dass er die festgesetzte Strafe komplett abgesessen hat. Angesichts der Tat von Mittwoch erscheint das geradezu fahrlässig.
Die Justiz muss also dringend schneller und genauer werden - insbesondere bei Tätern, die wahllos auf Menschen losgehen. Das war bei Ibrahim A. ganz offensichtlich bei der Tat der Fall, für die er in Haft war. Einen derart gefährlichen Mann nach einem Jahr Gefängnis einfach in die Obdachlosigkeit zu entlassen, ist jedenfalls keine gute Idee.
Die zweite Frage: Warum ist einer wie der Täter von Brokstedt bisher nicht abgeschoben worden? Das ist nicht nachvollziehbar. Bei der Antwort auf diese Frage ist man leider wieder sehr schnell im Dickicht der deutschen Bürokratie, was Notwendigkeit und Vollzug angeht. Ibrahim A. hat trotz seiner Delikte einen Aufenthaltsstatus. Erschwerend kommt hinzu, dass es um einen staatenlosen Palästinenser geht.
Den Behörden sind aber nicht die Hände gebunden: Auch eine Abschiebung in die Palästinensischen Autonomiegebiete ist möglich, wie deutsche Gerichte bereits entschieden haben. Den Behörden fällt einmal mehr auf die Füße, dass sich Deutschland international nicht robust genug bei den Herkunftsländern für die Rücknahme von Straftätern einsetzt.
Die dritte Frage: Sollte der Fall Ibrahim A. Anlass sein, erneut eine Integrations- und Migrationsdebatte zu führen? Da kommt es sehr darauf an, wie die Probleme diskutiert werden. Schaut man am Tag nach der Tat in die Sozialen Medien, finden sich die üblichen Stereotypen derer, die rufen: „alle abschieben“ und jener, die meinen, die Herkunft spiele bei solchen Taten keine Rolle.
Beide Positionen führen nur dazu, dass jede Seite ihre Reizwörter und ihre steilen Thesen in die Welt pustet und die Sache selbst in dem lauten Getöse untergeht. Diese Art der Auseinandersetzung wird den Opfern und ihren Angehörigen nicht gerecht. Von dem, was nach einer solchen Tat gesagt und geschrieben wird, erwacht kein Mensch wieder zum Leben.
Wir brauchen eine saubere Trennung in der Debatte
Was man tun kann und tun muss, ist das Risiko zu minimieren, dass sich in einigen Monaten die gleichen Fragen wieder stellen, weil an einem anderen Ort in Deutschland eine ähnliche Tat geschehen ist. In der Debatte um Integration und Migration darf zudem nicht immer alles in einen Topf geworfen werden: Fachkräftezuwanderung, Kriegsflüchtlinge, Asylbewerber, Deutsche mit nicht-deutscher Herkunft.
Es braucht da wirklich eine saubere Trennung, um Stimmungsmache gegen die Millionen in Deutschland lebenden gut integrierten und sich gut integrierenden Migrantinnen und Migranten zu vermeiden. In Brokstedt geht es um einen Täter, der 2014 ins Land gekommen ist - zu einer Zeit, als die Zahlen der Asylsuchenden niedrig waren, die Verfahren ewig dauerten und die Schutzsuchenden sich selbst überlassen wurden. Manches ist inzwischen besser. Aber der Rechtsstaat ist - wie auch der Fall Ibrahim A. zeigt - nicht klar, nicht schnell, nicht konsequent genug.