AboAbonnieren

Kommentar

Kommentar zu Ostern
Wenn der Golfstrom des Glaubens abbricht

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Kreuzigungsszene mit Jesus-Darsteller Julian Lux bei der Karfreitagsprozession in Bensheim.

Kreuzigungsszene mit Jesus-Darsteller Julian Lux bei der Karfreitagsprozession in Bensheim.

Der christliche Glaube basiert auf der Weitergabe lebendiger Erfahrungen. Diese Dynamik der Bezeugung ist in Gefahr - mit unabsehbaren Konsequenzen.

Der Golfstrom, so haben wir es spätestens aus den Warnungen vor einer bevorstehenden Klimakatastrophe gelernt, ist Teil einer globalen Wärmepumpe. Er bringt Leben in unwirtliche Regionen. Käme er zum Erliegen, hätte das verheerende Folgen für die Natur und die Zivilisation. Dass die Christenheit überall auf der Welt in diesen Tagen Ostern feiert, ist einem Golfstrom des Glaubens zu verdanken. Von den Ursprüngen an werden in den Kirchen die Erfahrungen der ersten Anhängerinnen und Anhänger des Jesus von Nazareth weitergegeben. Ganz unglaubliche Erfahrungen: Einer, der tot war, soll zu neuem Leben gekommen sein.

Mag sein, dass diese Überzeugung bei den ersten Jüngern, wie der Kölner Theologe Hans-Joachim Höhn sagt, zunächst nicht viel mehr war als ein mutwilliges Postulat – also der „Mut zum Willen, die befreienden und Leben schenkenden Erfahrungen mit Jesus nach seinem Tod nicht einfach preiszugeben“.

Vom Christentum blieben nur noch Sammlerstücke für Kunstliebhaber und schöne, aber leere Gemäuer

Umso mehr muss danach eine Dynamik der Bezeugung eingesetzt haben, die das Postulat – Auferstehung von den Toten – über die Jahrhunderte hinweg als glaubwürdig erwiesen hat.Würde dieser Golfstrom der Überlieferung versiegen, würde der lebendige Glaube erstarren. Vom Christentum blieben nur noch historische Erinnerungen, Sammlerstücke für Kunstliebhaber und schöne, aber leere Gemäuer.

Ähnlich wie beim menschengemachten Klimawandel: Die Gefahr des Untergangs besteht. Denn der überlebensnotwendige Golfstrom des Glaubens speist sich aus dem, was gläubige Menschen voneinander hören und miteinander erleben. „Gib mir ein Lebenszeichen!“, rufen Rettungsteams auf der Suche nach Verschütteten oder Eingeschlossenen. Christliche Verkündigung ist nichts anderes als das: ein mitunter zaghaftes, trotziges oder verzweifeltes, aber immer zutiefst hoffnungsvolles Lebenszeichen.

Was, wenn das Handeln der Verkündiger ihre Botschaft zum Bluff macht, ihr Zeugnis zum Betrug?

Erwartet werden darf es besonders von den eigens beauftragten Verkündigern. Was aber, wenn deren Handeln ihre Botschaft zum Bluff macht, ihr Wort zur Phrase, ihr Zeugnis zum Betrug? Auch wenn manch einer es vielleicht nicht mehr hören kann und lieber auf Osterfrieden macht: Die Aufdeckung des sexuellen Missbrauch und seiner systematischen Vertuschung hat genau dazu geführt, zu einem Abbruch im Strom der Glaubensweitergabe – mit unabsehbaren Konsequenzen.

Die Bibel verwendet für die Vergewisserung des Glaubens in der Gemeinschaft das schöne Bild von einer „Wolke der Zeugen“ (Hebräerbrief). Wenn aber die „Brüder im Nebel“ verschwinden, verflüchtigen sich auch Ermutigung und Bestärkung durch die Kirche, ja sie verkehren sich in ihr Gegenteil.

Es braucht ein neues Ostern: eine Spurensuche nach den Lebenszeichen, die Jesus unter den Menschen gesetzt hat

Wer jetzt noch in ritualisiertem Mummenschanz Zuflucht sucht, in formelhafter Sprache und der Verteidigung erstarrter Dogmen, der komplettiert das Versagen. Es braucht stattdessen ein neues Ostern: eine Spurensuche nach den Lebenszeichen, die Jesus unter den Menschen seiner Zeit gesetzt hat. Sie müssen auch heute spürbar, wahrnehmbar, mitteilbar sein.

Jenseits von Weiheämtern und kirchlicher Autoritätsanmaßung kommen hier alle Christinnen und Christen ins Spiel, die ihre Erfahrungen an der biblischen Überlieferung messen und daraus Kraft für ihr Leben gewinnen. Sie halten den Golfstrom des Glaubens in Bewegung und lassen eine neue. lebendige „Wolke von Zeuginnen und Zeugen“ entstehen.