Kommentar zum Stolperstein-VerbotSieg für Charlotte Knobloch

Die Stolpersteine sind in Zukunft in München verboten.
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Berlin – Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, hat gewonnen: Der Münchner Stadtrat bleibt bei seinem Verbot der Stolpersteine. Das sind jene kleinen Pflastersteine, die vor Hauseingängen eingelassen werden und auf einer kleinen Messingplatte die Juden beim Namen nennen, die von hier in den Holocaust verschleppt wurden. Es gibt inzwischen europaweit knapp 50.000 solcher Stolpersteine. Allein in Berlin gab es bis Juli 2014 5900 davon.
Charlotte Knobloch gehört zu den vehementen Gegnern dieser Art der Erinnerung. Ihre Meinung nach werden so die Ermordeten noch einmal mit Füßen getreten. Sie möchte mit Tafeln an den Hauswänden oder aber Stelen vor den Häusern der Toten gedenken. Tafeln an Hauswänden bedürfen der Genehmigung des Hausbesitzers. Stelen vor den Häusern werden leicht zu Verkehrshindernissen. Die Trottoirs sind meist städtischer Besitz, hier einen Stolperstein anzubringen bedarf nur der Genehmigung der Stadt. Der Stolperstein ist eingelassen in den Boden und stört darum die Passanten nicht. Das sind die praktischen Argumente, die für Stolpersteine sprechen.
Passant erinnert sich an das Geschehene
Das stärkste Argument für die Stolpersteine ist aber das, was Frau Knobloch als Gegenargument anführt. Der Passant tritt zwar nicht die Toten mit Füßen, aber er wird daran erinnert, dass genau das hier geschah. Er wird daran erinnert nicht nur durch die Aufschrift der Messingplatte, sondern durch seinen eigenen Körper. Er tritt jetzt die Gedenkplatte mit Füßen. Dieses Gefühl hat auch, wer sich darüber nicht im Klaren ist. Dieses Gefühl sorgt dafür, dass ihm deutlicher wird, was passierte. Viel deutlicher jedenfalls, als wenn er es nur lesen würde. Der Stolperstein lässt den Passanten stolpern über das, was damals geschah und über das, was er gerade tut. Sein Körper, könnte man sagen, denkt mit. Genau das ist der Vorteil der Stolpersteine.
Dazu gehört auch, dass der Passant, der es genauer wissen möchte, sich bücken muss. Er muss sich verneigen vor dem, das er mit Füßen getreten hat. Das ist eine heilsame Erfahrung. Man liest zum Beispiel vor dem Hochhaus am Steglitzer Damm 8 „Hier wohnte Richard Baumann“, erfährt, dass er 1885 geboren, am 2.März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort im März 1943 ermordet wurde. Daneben liegt das Täfelchen, das an die Ermordung seiner Frau erinnert. Sie war bereits am 15.2. deportiert worden. Noch während der Passant sich aus seiner bückenden Stellung erhebt, überlegt er, was Richard Baumann wohl in den etwas mehr als 14 Tagen, die er nach der Deportation seiner Frau allein in der Wohnung verbrachte, getan haben mochte. Was dachte er? Wurde er nicht wahnsinnig vor Hilflosigkeit? Diese Gedanken wird der Passant nicht so schnell wieder los. München, die einstige „Hauptstadt der Bewegung“, mag nicht verstehen, dass auch die Erinnerung der Bewegung bedarf.