Letzte nächtliche Unruhen seien weniger gewaltintensiv gewesen. Nachrichten aus Marseille sprechen eine andere Sprache – und der Samstagnachmittag birgt nochmal besonderen Sprengstoff.
Macron sagt Deutschland-Besuch abMehr als 1300 Festnahmen nach erneuten Krawallen in Frankreich
Plünderungen, Brände, Gewalt: Erneut haben nächtliche Krawalle Frankreich in Atem gehalten. In der Nacht zum Samstag wurden einem vorläufigen Bericht des Innenministeriums zufolge 1311 Menschen festgenommen - deutlich mehr als in den Nächten zuvor. 406 Menschen wurden demnach allein in Paris festgenommen. 79 Polizisten seien verletzt worden. In der Nacht zuvor waren es deutlich mehr.
Angesichts der gewaltsamen Ausschreitungen in Frankreich hatten die Behörden für die Nacht zum Samstag Einschränkungen des öffentlichen Lebens und des Nahverkehrs verhängt und auf ein massives Polizeiaufgebot gesetzt: Rund 45 000 Polizistinnen und Polizisten sollten in der Nacht für Ordnung sorgen.
Wegen der anhaltenden Krawalle in Frankreich kommt Präsident Emmanuel Macron nicht wie geplant an diesem Sonntag zum Staatsbesuch nach Deutschland. Macron habe darum gebeten, den Besuch zu verschieben, teilte am Samstag das Bundespräsidialamt in Berlin mit.
Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin sagte am frühen Samstagmorgen, dass die Gewalt in dieser Nacht von „geringerer Intensität“ gewesen sei als zuvor. Doch trotz der massiven Polzeipräsenz mit gepanzerten Fahrzeugen und Hubschraubern kam es vielerorts zu Bränden und Plünderungen. 1350 Autos sind dem Innenministerium zufolge ausgebrannt. Insgesamt habe es 2560 Brandherde auf öffentlichen Straßen gegeben. Außerdem seien 31 Polizeiwachen angegriffen worden.
Lage im Süden: Rathäuser in mehreren Städten in Brand gesetzt
Während es im Großraum Paris ruhiger zuzugehen schien als in den Nächten zuvor, spitzte sich die Lage im Süden Frankreichs zu. In Marseille wurde Medienberichten zufolge eine Waffenkammer geplündert, und sieben Gewehre gestohlen.
Die Polizeigewerkschaft Alliance Police sprach im Fernsehsender franceinfo von einer „Nacht voller Chaos mit Szenen beispielloser Gewalt gegen die Polizei, Plünderungen, Mörserfeuer.“ In Lyon explodierte ein Postamt. Im ganzen Land wurden Rathäuser in Brand gesteckt.
Ab Samstagnachmittag richten sich die Blicke wieder auf Nanterre, dem Heimatort des erschossenen 17-Jährigen nahe Paris. Er soll dort beigesetzt werden. Medienberichten zufolge wünscht die Familie keine Journalisten bei der Beerdigung. Beobachter befürchten, dass die Beisetzung das Klima erneut aufheizen könnte.
Frankreich: Junger Mann stirbt bei Protesten nach Tod
Am Freitagabend kam es nach Angaben der französischen Polizei zu dem dramatischen Vorfall: Am Rande der Proteste ist ein junger Mann offenbar von einem Dach gestürzt und gestorben. Das berichtete die französische Nachrichtenagentur afp am Freitagabend mit Verweis auf die Polizei. Die Hintergründe sind noch unklar.
Die ersten Proteste entzündeten sich am Tod des 17-jährigen Nahel M.. Der Jugendliche war am Dienstag bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre von einem Polizisten erschossen worden.
Der Jugendliche war am Dienstag auf dem Fahrersitz eines Autos bei einer Verkehrskontrolle in Nanterre erschossen worden. In einem Video war zu sehen, wie der Polizist mit seiner Waffe auf den Fahrer zielt und aus nächster Nähe schießt, als das Auto plötzlich beschleunigt. Gegen den Polizisten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Totschlags eingeleitet.
In der Nacht zum Freitag hatten es die dritte Nacht in Folge in mehreren Städten Frankreichs gewaltsame Ausschreitungen gegeben. Dabei wurden Geschäfte geplündert, Gebäude verwüstet und Feuer gelegt. Nach Angaben der Behörden wurden 249 Sicherheitskräfte verletzt. 875 Menschen wurden festgenommen.
Gewalt in Paris: Warnungen für Reisende in Frankreich
Deutschland, Großbritannien und die USA haben Bürger mit Reiseplänen in Frankreich wegen der dortigen gewaltsamen Proteste zur Vorsicht aufgerufen.
Nach dem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen 17-Jährigen sei es zu „teils heftigen gewalttätigen Ausschreitungen“ gekommen, schreibt das Auswärtige Amt in seinen am Freitag aktualisierten Reise- und Sicherheitshinweisen. Reisende sollten sich über die Lage informieren und „weiträumig Orte gewalttätiger Ausschreitungen“ meiden. „Orte und Zeitpunkte von Ausschreitungen sind unvorhersehbar“, hieß es in den britischen Reisehinweisen.
Das Außenministerium in London riet den Bürgern, die Medien zu beobachten und forderte sie ebenfalls dazu auf, von Unruhen betroffene Gebiete zu meiden. Die USA erklärten, dass US-Bürger „Massenversammlungen und Gebieten mit beträchtlicher Polizeiaktivität“ aus dem Weg gehen sollten, „da diese gewaltsam werden und zu Zusammenstößen führen können“.
Krawalle in Paris: Notstand in Frankreich nicht ausgeschlossen
Angesichts der Krawalle hat Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne die Ausrufung des Notstands nicht ausgeschlossen. „Wir prüfen alle Hypothesen mit einem vorrangigen Ziel: die Rückkehr der republikanischen Ordnung im gesamten Gebiet“, sagte Borne am Freitag dem Fernsehsender BFMTV auf die Frage nach der Verhängung des Notstands.
Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf hat die französische Polizei angesichts der jüngsten Unruhen aufgerufen, sich mit Rassismus in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen. „Dies ist der Zeitpunkt für das Land, sich ernsthaft mit den tiefgreifenden Problemen von Rassismus und Diskriminierung in den Strafverfolgungsbehörden auseinanderzusetzen“, sagte eine Sprecherin am Freitag in Genf.
UN: Unverhältnismäßiges Vorgehen der französischen Polizei gegen Minderheiten
Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung habe im Dezember 2022 bereits festgestellt, dass Strafverfolgungsbehörden in Frankreich unverhältnismäßig oft gegen Angehörige afrikanischer oder arabischer Minderheiten vorgehen, sagte die Sprecherin des UN-Menschenrechtsbüros. „Wir betonen die Wichtigkeit friedlicher Demonstrationen“, sagte sie. Die Gewalt aufseiten der Demonstranten bereite aber Sorge.
Dennoch müsse die Polizei bei ihren Einsätzen gegen kriminelle Elemente unter den Demonstranten immer Grundsätze wie Rechtmäßigkeit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit berücksichtigen. (mab/afp/dpa)