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Kommentar

Landtagswahlen
Die Vernichtung politischer Gewissheiten in Thüringen und Sachsen

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
ARCHIV - 25.08.2024, Thüringen, Bad Frankenhausen: AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke bei seinem Wahlkampfauftritt auf dem Markt von Bad Frankenhausen. In Thüringen wird ein neuer Landtag gewählt. Höcke will neuer Ministerpräsident von Thüringen werden. (zu dpa: «Erfolg und Abschreckung - Höcke polarisiert») Foto: Heiko Rebsch/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Erstmals hat mit der AfD in Thüringen eine gesichert rechtsextreme Partei eine Landtagswahl gewonnen – hier ein Bild von Björn Höckes Wahlkampfauftritt auf dem Markt von Bad Frankenhausen.

Bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Die etablierten Parteien in Berlin sollten statt über die Feinde der Demokratie zu klagen, sich an ihre eigene Nase fassen.

Dieser Wahlsonntag hat gleich eine ganze Reihe alter bundesrepublikanischer Gewissheiten vernichtet: Wahlen werden in der Mitte gewonnen - gilt nicht mehr. Am Ende siegt eine demokratische Partei - gilt nicht mehr. Neu gegründete Parteien müssen erst eine Struktur aufbauen, bevor sie in ein Parlament gewählt werden - der Gegenbeweis ist erbracht. Am Ende wird man eine stabile Regierung bilden können - steht in Frage. Deutschland hat aus seiner Geschichte gelernt - Zweifel sind angebracht.

Dieser Wahlsonntag ist eine Zäsur. Erstmals hat mit der AfD in Thüringen eine gesichert rechtsextreme Partei mit einem Faschisten als Spitzenkandidaten eine Landtagswahl gewonnen. Die drei Parteien SPD, Grüne und FDP, die in Berlin die Bundesregierung bilden, sind pulverisiert. Mehr Demütigung als diese Wahlergebnisse geht nicht.

Landtagswahlen im Osten: Union fehlen Kraft, Ideen und Erneuerungsfähigkeiten

Man kann für dieses Desaster viele schlaue Erklärungen über die strukturelle, die emotionale und die ökonomische Verfasstheit der beiden ostdeutschen Bundesländer oder gar Ostdeutschlands insgesamt finden. Gut aber wäre es, wenn sich die Spitzenleute von SPD, Grünen und FDP mal an ihre eigene Nase fassen würden. Denn wer die Demokratie hochhalten will, muss auch gute demokratische Umgangsformen pflegen. Dazu gehört, sich an einen vereinbarten Kompromiss zu halten. Dazu gehört auch Respekt vor dem Koalitionspartner.

Prozentuales Abschneiden und Sitzverteilung der Parteien.  Hochrechnung: 21.30 Uhr (Photo by AFP)

Prozentuales Abschneiden und Sitzverteilung der Parteien. Hochrechnung: 21.30 Uhr

Prozentuales Abschneiden und Sitzverteilung der Parteien. Hochrechnung: 21.30 Uhr (Photo by Nadine EHRENBERG / AFP)

Prozentuales Abschneiden und Sitzverteilung der Parteien. Hochrechnung: 21.30 Uhr

Dazu zählt in Krisenzeiten vor allem ein hohes Maß an Pragmatismus für das Lösen der vielen Probleme. An allem fehlt es der Ampel-Regierung. Diese Selbstblockade in Kombination mit den scheinbar einfachen Antworten der Populisten von AfD und BSW auch auf jene Herausforderungen, die gar nicht in der Landespolitik gelöst werden können, haben die verheerenden Wahlergebnisse beschert. Eine konstruktive Politik für die Regionen vor Ort ist damit schwer möglich. Man wird die Frage von Krieg und Frieden, von Waffenlieferungen und Waffenstillstand nicht im Thüringer Landtag regeln können.

Der Union wiederum fehlen Kraft, Ideen und Erneuerungsfähigkeit, um die Unzufriedenen, Wütenden und politisch Heimatlosen an sich zu binden. Es ist ein Desaster, das die staatstragenden Parteien der alten Bundesrepublik haben kommen sehen. Sie hätten dem Tatkraft, Einigkeit und eine positive Erzählung entgegensetzen müssen. Sie saßen aber vor diesem Wahlsonntag wie das Kaninchen vor der Schlange - schicksalsergeben.

Landtagswahlen im Osten: Weit mehr als ein Denkzettel

Um diese beiden Landtagswahlen mit dem Begriff „Denkzettel“ zu versehen, hat sich zu viel verschoben. Nun möchte sicherlich nicht jeder, der sein Kreuz bei der AfD oder dem BSW gemacht hat, gleich die Demokratie abschaffen. Aber es ist inzwischen zu vielen Menschen gleichgültig geworden, wenn ihre Wahlentscheidung gegen „die da oben“ das demokratische System in den Ruin treibt. Diese Gleichgültigkeit ist verdammt gefährlich.

AfD und BSW sollen hier nicht in einen Topf geworfen werden. Beide Parteien - die AfD viel ausgeprägter - tragen allerdings autoritäre Züge. Das BSW von Sahra Wagenknecht wird nun Farbe bekennen müssen, wes Geistes Kind sie ist. Sind ihre Vertreterinnen und Vertreter in den Ländern bereit, Verantwortung zu übernehmen und Kompromisse umzusetzen, also sich wie Demokraten zu verhalten?

Oder steht der Name Wagenknecht weiter für Rhetorik-Wolken voller Illusionen, die die Chefin am liebsten in Talkshows vorträgt? In Thüringen und in Sachsen dürfte die Regierungsbildung kompliziert werden. So lange sie andauert, bleiben die Ministerpräsidenten geschäftsführend im Amt und müssen sich für notwendige politische Schritte wechselnde Mehrheiten suchen. Je zerrissener eine Gesellschaft ist, desto mehr muss sie sich an solche Regierungsformen gewöhnen.