Asbest und PCB belastetLeverkusener Brücke droht vier Jahre längere Bauzeit
- Der Landesbetrieb Straßen NRW und der österreichische Baukonzern Porr AG sind weiter an einer Lösung des Streits um Stahlbauteile für den Neubau der Rheinbrücke Leverkusen interessiert.
- Doch fest steht bereits jetzt, dass sich das gesamte Bauprojekt mindestens um 18 Monate verzögern wird.
- „Das ist eine Katastrophe“, sagt der Leverkusener Oberbürgermeister Uwe Richrath (SPD) zu den Enthüllungen des „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Köln/Leverkusen – Die zehn Ingenieure des Tüv Rheinland, die im Auftrag des österreichischen Baukonzerns Porr AG im vergangenen Jahr in einem Stahlwerk der China Railway Shanhaiguan Brigde Group (CRSBG) im Großraum Schanghai die Produktion der Stahlbauteile für den ersten Teil der neuen Leverkusener Rheinbrücke überwachten, hatten über Monate mit erheblichen Problemen zu kämpfen.
Das geht aus Protokoll-Auszügen aus der Zeit von Juli bis November 2019 hervor, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegen und die die Ingenieure ihrem Auftraggeber Porr kontinuierlich übermittelten. Seitenweise listeten die Prüfer erhebliche Mängel auf. Sie kritisierten auch die mangelhafte Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen vor Ort.
Einhaltung der Qualität ist gefährdet
„CRSBG hat große Probleme, die geforderte Nahtgüte nach ZTV-ING umzusetzen, was aber von Porr weiter verlangt wird“, heißt es in den Protokollen. ZTV-ING ist die Abkürzung für „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien“ und der deutsche Standard für den Bau und die Erhaltung von Ingenieurbauwerken nach DIN-Norm 1076. Die ZTV sind ein wichtiger Bestandteil der Ausschreibung für den Brückenbau.
Der Tüv Rheinland bemängelte zum Beispiel, dass „im Bereich der Seilkonsolen noch sehr viele Schweißnähte reklamiert wurden“. Man habe die Inspektion deshalb abgebrochen. Ein offenbar neu eingesetzter Inspektor von CRSBG räumt laut Tüv-Protokoll gegenüber den Inspektoren aus Deutschland ein, „dass er keine ausreichende Erfahrung bezüglich der Bewertungskriterien hat, so dass die Strahlkontrolle von CRSBG nicht durchgeführt wird“.
Auch bei den eigenen Inspektionen stießen die Tüv-Prüfer auf Schwierigkeiten. So konnten sie den Austausch fehlerhafter Bolzen an sechs Trägern „wegen der riskanten Zugänglichkeit und Absturzgefahr“ nicht begleiten. CRSBG versuche häufig „durch Diskussionen die Normen-Anforderungen zum Schweißen und Beschichten aufzuweichen“, heißt es an anderer Stelle. Im August 2019 fassten die Prüfer ihre Erkenntnisse zusammen. Mehrmals habe man CRSBG „nun schon auf das Nachlassen des Umfanges und der Zuverlässigkeit und Genauigkeit“ der Qualitätskontrolle hingewiesen“, heißt es. „Die Einhaltung der hohen Qualitätsanforderungen ist immer mehr gefährdet.“ Auch bei der Zwischenlagerung der Bauteile hätten sich nach Beanstandungen „keine wesentlichen Verbesserungen gegeben“.
Die weiteren Kritikpunkte des Tüv Rheinland: Vereinbarte Meetings wurden nicht eingehalten. CRSBG sei mehrfach „belehrt und ermahnt“ worden, „die Arbeiter besser zu schulen“. Die Tüv-Prüfer kamen im Oktober 2019 zu einem klaren Ergebnis: „Die mangelhafte Fertigungsüberwachung beim Schweißen und das fehlende Engagement, sich intensiv um die Nahtrisse zu kümmern, wurde den Verantwortlichen deutlich mitgeteilt. Porr sollte dies auch noch schriftlich beanstanden“, heißt es im Tüv-Protokoll 158-0197 aus der zweiten Oktober-Woche 2019.
Straßen NRW setzt Frist bis 20. April
Sind die Tüv-Prüfer, die im Auftrag der Porr AG für die Qualitätskontrolle verantwortlich waren, zu „pingelig“ vorgegangen? Habe sich dadurch das Arbeitsklima mit den chinesischen Partnern verschlechtert? Das ist die Einschätzung von Porr-Anwalt Ralf Leinemann.
Beim Landesbetrieb Straßen NRW sieht man das völlig anders. Er verweigert die Annahme der 22 Bauteile, die bereits im Hafen von Rotterdam (18 Teile) und Niehl (vier Teile) liegen und droht mit der Kündigung der Verträge des 363 Millionen Euro teuren Bauprojekts. Der Tüv Rheinland erklärt nach der Berichterstattung im „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Samstag , man habe „auf Auffälligkeiten der Stahlbauteile hingewiesen“. Die Nachbesserung der Mängel sei möglich.
In einem Statement der Porr AG heißt es, die vom Tüv „festgestellten Mängel“ seien „noch im Werk beseitigt worden, so dass die Teile zum Transport nach Deutschland freigegeben wurden“. Bei einer Untersuchung der Teile in Rotterdam hätten sich „weitere Fehler an den Bauteilen gefunden“. Dabei handele es sich „um einzelne Poren in Schweißnähten und Schleifspuren an den Oberflächen, die bei Stahlarbeiten dieser Größenordnung zu erwarten sind und die routinemäßig behoben werden können. Porr möchte diese Arbeiten in Deutschland auf der Baustelle durchführen.“
Diese Fehler sind offenbar nur aufgefallen, weil der Landesbetrieb Straßen NRW die Bauteile im Hafen von Rotterdam über einen Zeitraum von zehn Wochen nachkontrolliert hat. Er kommt in seiner Beurteilung zu einem völlig anderen Ergebnis, will sich auf Nachbesserungen nicht einlassen.
Aus den Protokollen des Tüv Rheinland geht auch hervor, dass CRSBG die Stahlbauteile schon verschifft hatte, bevor die Dokumentation über deren Qualität von den Prüfern „gesichtet und gestempelt“ werden konnte. „Die Übergabe der Dokumentation für die in Arbeit befindlichen Teile der 6th Verschiffung wurde angefordert, wird aber wie bisher praktiziert erst nach der Verschiffung erwartet“, heißt es im Protokoll D-0641 von Mitte August 2019.
Neutrale Prüfung beantragt
Der Landesbetrieb Straßen NRW hat der Porr AG nach Angaben von Rechtsanwalt Ralf Leinemann, der den Baukonzern juristisch vertritt, eine Frist bis zum heutigen Montag gesetzt. Ansonsten werde die Vertragskündigung angedroht. „Bis dahin sollen wir erklären, dass alle Bauteile neu hergestellt werden“, sagt Leinemann. Ansonsten werde Straßen NRW den Vertrag kündigen. Der Baukonzern seinerseits habe am Samstag eine neutrale Überprüfung der Bauteile durch ein staatlich anerkanntes Prüflabor beantragt, da Straßen NRW bisher eine Begutachtung durch einen neutralen Dritten abgelehnt habe. „Das sieht der Vertrag vor.“ Porr sei nach wie vor an einer Verständigung gelegen. Bevor diese Resultate vorliegen, könne Straßen NRW den Vertrag „eigentlich nicht kündigen“.
Abbruch könnte 36 Monate dauern
Der Konflikt um den Abbruch der alten Brücke, die Asbest-Fundstellen aufweise und deren Außenbeschichtung PCB-haltig sei, könne aus Sicht von Porr auch gelöst werden. Straßen NRW habe erst auf Nachfrage des Baukonzerns Ende 2018 überhaupt den Auftrag erteilt, die alte Brücke auf Schadstoffe untersuchen zu lassen. „Porr hat das übernommen und einen Gutachter beauftragt. Die Belastung steht seit einem Jahr fest.“
Straßen NRW habe danach ein Abbruchkonzept erstellt, das die gesamte Bauzeit um 36 Monate verlängert hätte. „Wir haben durch die fehlende Kampfmittelsondierung, die Straßen NRW zu verantworten hat, schon ein Jahr verloren.“ Im Dezember 2019 habe der Baukonzern dem Landesbetrieb dann in einem Nachtrag vorgerechnet, dass eine um rund vier Jahre verlängerte Bauzeit Mehrkosten von 250 Millionen Euro verursachen werde und ein auf 18 Monate verkürztes Abbruchkonzept vorgelegt. Darauf sei der Landesbetrieb Straßen NRW nicht eingegangen.
Im April 2020 habe man den Nachtrag zurückgenommen, weil man „zu einer vernünftigen Gesamtlösung kommen wolle“. Dass die Brücke mit beiden Teilen gegenüber der ursprünglichen Planung zweieinhalb Jahre später fertig werde, lasse sich nicht mehr verhindern. „Der erste Brückenteil lässt sich aber im Sommer 2022 freigeben, wenn es zu keiner Kündigung kommt und Straßen NRW die eigenen Leistungen rechtzeitig schafft“, sagt Leinemann. Sonst könne man mindestens ein weiteres Jahr dranhängen.
Abgeordnete fordern Aufklärung
„Das ist eine Katastrophe“, sagt der Leverkusener Oberbürgermeister Uwe Richrath (SPD) zu den Enthüllungen des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Richrath sieht als Folgen für Leverkusen, dass weiterhin viel Schwerlastverkehr durchs Stadtgebiet rolle. Auch befürchte er Schaden für den Wirtschaftsstandort und die Investitionsfähigkeit seiner Unternehmen. Verärgert reagiert Richrath auf die erneut unterbliebene Information durch die übergeordneten Behörden. „Da sollen sich die Herren Verkehrsminister von Bund und Land einmal erklären“, so Richrath auf Anfrage. Er habe in dieser für Leverkusen wichtigen Angelegenheit bisher keinerlei Information erhalten. „Ich bin ja dialogbereit, aber dann müssen auch andere in den Dialog eintreten.“
Die SPD-Landtagsabgeordneten Susana dos Santos Herrmann aus Köln und Eva Lux aus Leverkusen kritisieren, dass das Verkehrsministerium bisher „nicht eine Berichtszeile“ an den Verkehrsausschuss des Landtags geschickt habe. Andreas Kossiski, Oberbürgermeister-Kandidat der Kölner SPD, fordert „eine schnellstmögliche Lösung der Probleme.“ Weitere Verzögerungen beim Neubau der Brücke seien „ein absolutes Debakel“. Arndt Klocke, Fraktionschef der Grünen im Landtag, sieht zahlreiche Ungereimtheiten: „Warum wurde die schwere Asbestverseuchung der bisherigen Brücke erst jetzt bekannt, obwohl Straßen NRW viele Jahre versucht hat, das Bauwerk zu sanieren? Was wusste das NRW-Verkehrsministerium davon, und warum wurde nicht interveniert?“