AboAbonnieren

„Social Media ist wie Karneval“Medienexperte über das Missverständnis von CDU und SPD

Lesezeit 4 Minuten
marvin-meyer-571072-unsplash

Der Umgang und die Nutzung von Social Media lässt sich nicht per Handbuch lernen: Man muss dabei sein. (Symbolbild)

  1. Medienexperte Klemens Skibicki spricht im Interview über Politik in Zeiten der Digitalisierung.
  2. Vor allem im Internet sieht er bei den Parteien starke Defizite und ein hohes Maß an Inkompetenz und Ignoranz.
  3. Und: Die Parteien haben dem Experten zufolge noch immer nicht verstanden, was Social Media eigentlich ist.

Herr Skibicki, wieso haben die Grünen es bei der Europawahl geschafft, die jungen Leute abzuholen, aber CDU und SPD nicht?

Klemens Skibicki: Zum einen haben wir eine junge Generation, die weitgehend nur die große Koalition als Regierung und die Grünen in der Opposition für alternative Zukunftsvisionen kennt.

Zum anderen sind die Grünen näher an den Themen der Jüngeren dran. Diese sehen seit Jahren vorwiegend Politik für Ältere und kaum für ihre eigene Zukunft in einer ökologisch bedrohten und digital vernetzten Welt.

Alle Parteien sind im Internet und in sozialen Netzwerken vertreten, hatten Hashtags und Spruchkärtchen zur Wahl sowie Bilder mit Politikern im Kapuzenpulli. Was haben die Grünen dennoch anders gemacht?

Die Parteien haben meiner Meinung nach seit Jahren allesamt zu wenig begriffen, dass Social Media kein Sendekanal für eigene Botschaften ist. Eigentlich geht es dort darum, Beziehungen aufzubauen, Fürsprecher zu gewinnen und den Resonanzkasten zum Zuhören und Verstärken zu nutzen.

Skibicki

Klemens Skibicki (47) ist  Professor an der Cologne Business School. Einer seiner Schwerpunkte sind die gesellschaftlichen Auswirkungen  sozialer Medien. 

Durch Protagonisten wie etwa die schwedische Aktivistin Greta Thunberg oder Youtuber gab es für die Themen der Grünen glaubwürdigere und einflussreichere Verstärker. Es war schon immer besser, wenn andere positiv über dich und deine Themen reden als du selbst.

Die CDU hat öfter ihre Schwächen im Umgang mit dem Internet offenbart: Eine Reaktion auf das Video des Youtubers Rezo fiel der Partei sichtlich schwer. Hat es sich die Union auch deshalb mit jungen Wählern verscherzt?

Das Verscherzen hatte einen langen Anlauf, der im Umgang mit dem Rezo-Video mündete. Die CDU hat wie die SPD beim Streit über die Urheberrechtsreform ein hohes Maß an Inkompetenz, Arroganz und Nicht-Wertschätzung der Lebensrealität der jungen Generation gezeigt. Das alleine hätte schon zum Vergraulen gereicht. Beim Rezo-Video hatte die Partei niemanden, der in dieser medialen Lebenswelt auf Augenhöhe hätte reagieren können. Wer nie auf dem Schulhof war, kann dort nicht gut ankommen, wenn er zum ersten Mal auftaucht.

Wieso fällt es Parteien so schwer, mit einer gewissen Coolness zu reagieren und Themen so zu diskutieren, dass sich Jüngere angesprochen fühlen?

Parteien sind meist per se nicht cool. Sie funktionieren nach hierarchischen Aufstiegsregeln, nach Gremien, nach Seilschaften, nach kurzen Wahlkampfperioden und nicht nach spontanen, ungeordneten und dynamischen Effekten. Um cool zu reagieren, hätten sich die Parteien systematisch über Jahre Fürsprecher erarbeiten müssen. Da prallen gerade Welten aufeinander.

Jetzt hat CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer aufgrund des Rezo-Videos angeregt, Regeln für Meinungsäußerungen im Internet vor Wahlen einzuführen. Ein sinnvoller Vorschlag?

Ein Vorschlag, der die Hilflosigkeit der klassischen Parteien in der Medienwelt aufzeigt. Sie vergleicht Zeitungen mit Youtubern. Diese sind aber eigene Personen-Kanäle. Wenn, dann müsste man sie mit Kommentaren, also Meinungsäußerungen in Zeitungen, vergleichen, und die will sie ja wohl nicht ernsthaft einschränken. Anstatt alte Regeln auf eine neue Welt anzuwenden, müssen die Regeln der neuen Welt gelernt werden.

„Fridays for Future“-Märsche, die Unteilbar-Demo in Berlin, Proteste gegen Uploadfilter: Haben die großen Parteien diese Themen verschlafen?

Ja, sie haben den Resonanzkasten der sozialen Medien nicht genutzt. Dort hätten sie früh erkennen können, welche Themen die Menschen beschäftigen, anstatt die Leute mit ihren eigenen Partei-Themen „anzuschreien“.

Was müssen Parteien für Social Media dringend lernen?

Social Media ist kein Kanal und auch kein Sendemodus. Es ist das, worüber sich Menschen schon immer in Gesprächen ausgetauscht haben, nur mit einer Riesenwirkung.

Das könnte Sie auch interessieren:

Auch hier ist Empathie, Zuhören, Nähe aufbauen, sich mit guten Themen Zuhörer, Fürsprecher und Freunde zu erarbeiten, enorm wichtig. Das ist wie im Karneval. Den kann niemand per Gebrauchsanweisung lernen. Man muss mittendrin sein und mit Menschen Zeit verbringen.

Inwieweit verändern das Internet und Social Media die politischen Spielregeln?

Soziale Medien sind längst die Hauptkommunikationsart derjenigen, die damit aufgewachsen sind. Da die wohl kaum mit 30 Jahren ihre Smartphones mit Instagram, Youtube und Co abstellen, werden die sozialen Medien auch in der politischen Kommunikation zu einem Echtzeit-Resonanzkanal, der die klassischen Kanäle speist.

Sehen Sie Gefahren für die Demokratie, wenn künftig Bewegungen im Internet den Wahlkampf beeinflussen können?

Jede Umstellung birgt Gefahren, aber die Social-Media-Welt ist nicht besser oder schlechter. Sie ist anders und wird nicht mehr verschwinden. Diejenigen, die ihre Regeln zuerst perfekt beherrschen, werden sie dominieren. Wenn man das antidemokratischen Kräften überlässt, kann es demokratiegefährdend werden – aber nicht die neuen Medien selbst. Wir als Gesellschaft müssen die Möglichkeiten der jeweiligen Zeit begreifen.

Ist der Straßen-Wahlkampf mit Plakaten passé?

Was bringen Plakatwälder, die kein Gespräch führen können und nicht beachtet werden, weil Menschen sich auf ihren Smartphones mit individualisierten Kommunikationskanälen beschäftigen?