Was wurde aus den Mitgliedern der Söldner-Truppe? Die Spurensuche führt nach Afrika – und zu Dutzenden neuer Privatarmeen.
Nach Prigoschins TodRusslands Privatarmeen – Was aus den Söldnern der Gruppe Wagner wurde
Selbst im Russland Wladimir Putins, wo heute nichts unmöglich ist, sorgte dieser Fall für Aufsehen: Pawel Nikolin schoss auf eine Polizeipatrouille, verletzte einen der Beamten, behauptete nach seiner Festnahme, er habe diese für Ukrainer gehalten. Nowoschachtinsk, der Tatort, liegt sechs Kilometer vor der russisch-ukrainischen Grenze. Was den Fall so brisant macht, obwohl es nur Verletzte gab: Der heute 39-Jährige ist ein ehemaliger Söldner der Wagner-Gruppe, der für den Kriegsdienst aus einem Gefängnis in Baschkortostan rekrutiert worden war, wo er wegen Diebstahls und Raubes eine mehrjährige Haftstrafe verbüßte.
Im Kampfgebiet angekommen, soll der Mann desertiert sein. Verurteilt wurde Nikolin am 18. Dezember 2023 von einem Gericht in Rostow zu sechs Jahren und elf Monaten Gefängnis. Das ist eine geringere Haftstrafe, als manch einer heute in Russland dafür bekommt, Präsident Wladimir Putins Angriffskrieg kritisch zu hinterfragen.
Und dennoch sorgte Nikolins Tat für Aufsehen, weil sich ähnliche Fälle häuften: Am 3. Oktober 2023 ermordete der ehemalige Wagner-Söldner Denis S. im Dorf Ermakovskoje, Region Krasnojarsk, zwei Frauen. Am 1. Oktober schlug ein Wagner-Kämpfer in Lipezk nach einem Streit mit seiner Frau deren vierjährige Tochter aus erster Ehe zu Tode. Am 28. September zündete in der Stadt Sawolschje unweit von Nischni Nowgorod ein ehemaliger Wagner-Söldner seine eigene Schwester an.
Doch was wurde aus der größten privaten Söldnerarmee, deren Stärke einst bis zu 50.000 Söldner betrug, nach dem abgebrochenen Aufstand im Juni 2023 und dem Tod des Anführers Jewgeni Prigoschin bei einem Flugzeugabsturz nahe Twer am 23. August 2023?
Viele Wagner-Söldner sind wohl in Belarus
Auslöser des von Prigoschin entfachten Marsches seiner Truppen weg von der ukrainischen Front in Richtung Moskau war vor allem die vom Kreml ultimativ geforderte Übergabe des Kommandos über die Söldnerarmee an das russische Verteidigungsministerium. Die vorläufige Entschärfung des Konflikts wurde erreicht, indem einem Großteil der Söldner von Diktator Alexander Lukaschenko eine Stationierung in Belarus erlaubt wurde.
Ursprünglich hielten sich bis zu 8000 Kämpfer der Privatarmee in Belarus auf. Der britische Geheimdienst geht davon aus, dass sich noch immer zahlreiche Wagner-Söldner in Belarus aufhalten. Weil sie entlang der belarussisch-ukrainischen Grenze stationiert sind, komme dies auch den Kriegsanstrengungen Russlands zugute, weil das Kiew dazu zwingt, Verteidigungspositionen und Personal entlang seiner Nordgrenze aufrechtzuerhalten, um sie vor möglichen Überfällen zu schützen.
„Die andauernde Präsenz der Wagner-Söldner kommt mit ziemlicher Sicherheit auch den Kriegsanstrengungen Russlands zugute“, hieß es vom britischen Verteidigungsministerium Anfang Februar auf X, ehemals Twitter. Für unwahrscheinlich halten die Briten, dass Lukaschenko die verbliebenen Wagner-Kämpfer über ihre aktuellen Aufgaben hinaus nutzen und die Ukraine angreifen werde. Eine solche Aktion sei ohne den Segen des Kreml ausgeschlossen. „Sie sind an der Ausbildung der Truppen des Innenministeriums beteiligt, werden sich aber höchstwahrscheinlich nicht direkt an der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit oder der Grenzsicherheit in Belarus beteiligen“, heißt es da.
Wagner-Kämpfer in der Nationalgarde
Moskau hatte Anfang Februar gemeldet, Russland baue seine Kontrolle über die Söldnertruppe aus. Demnach seien drei frühere Kampfeinheiten der Gruppe Wagner in das erste Freiwilligenkorps der russischen Nationalgarde integriert worden. Das deute darauf hin, dass ein Großteil der Wagner-Söldner der Nationalgarde unterstellt worden sei, schrieben die Briten auf der Plattform X. Hintergrund: Im Unterschied zu den russischen Streitkräften hat die dem russischen Innenministerium unterstellte Nationalgarde den Charakter einer Gendarmerie, soll also für Ruhe, Ordnung und Sicherheit sorgen.
Präsident Putin hatte am 25. Dezember ein Dokument unterschrieben, das der Nationalgarde (Rosgvardia) die Gründung von Freiwilligentrupps erlaubt. Diese sollen vor allem in der Ukraine eingesetzt werden. Die Rosgvardia soll Freiwilligen verschiedene Verträge anbieten: sechs Monate für die Ukraine, neun Monate für Einsätze in Afrika. Die afrikanischen Einheiten der Gruppe Wagner waren am 23. November 2023 in „Afrikanski Korpus“ (auf Deutsch: „Afrikakorps“) umbenannt worden – eine Reminiszenz an Adolf Hitlers afrikanische Einheiten gleichen Namens?
Angebot: „Überlebenspaket für das Regime“
Laut einer Recherche der BBC hat der Kreml die Afrika-Geschäfte der ehemaligen Wagner-Gruppe komplett übernommen. Afrikanischen Regierungen werde ein „Überlebenspaket für das Regime“ angeboten – als Gegenleistung für den Zugang zu strategisch wichtigen natürlichen Ressourcen.
„Ziemlich kurz nach Prigoschins Meuterei gab es ein Treffen im Kreml, bei dem beschlossen wurde, dass Wagners Afrika-Operationen direkt unter die Kontrolle des russischen Militärgeheimdienstes GRU fallen würden“, äußerte Jack Watling, Kriegsexperte am britischen „Royal United Services Institute“, in dem BBC-Report. Die Kontrolle sollte Generalmajor Andrei Awerjanow übergeben werden, der bis 2022 die berüchtigte „Einheit 29155″ des Militärgeheimdienstes GRU anführte, spezialisiert auf Mordanschläge im Ausland und Destabilisierung von Staaten.
Awerjanow, geboren 1967 in Duschanbe (damals Frunse), der Hauptstadt Tadschikistans, gilt als skrupellos. Er wird für das Organisieren von Mordanschlägen im Ausland wie jenen auf den Überläufer Sergej Skripal in Großbritanniens oder im Berliner Tiergarten im August 2019 verantwortlich gemacht. Früher ein Mann ohne Gesicht taucht Awerjanow seit seinem Ausstieg bei der „Einheit 29155″ neuerdings in unmittelbarer Nähe Putins auf. In jüngster Zeit war er häufig in Afrika unterwegs.
Kreml übernimmt Wagner-Geschäfte
Die Gruppe Wagner existiert also nicht mehr, ihre Geschäfte hat der Kreml übernommen, doch viele ihrer ehemaligen Kämpfer heuerten in sogenannten Freiwilligenkorps an. „In Russland wird derzeit ein Freiwilligenkorps von 18.000 Menschen gebildet. Diese, darunter alle ehemaligen Wagner-Anhänger, werden vom Verteidigungsministerium geführt. Sie operieren jetzt in der Gegend von Awdijiwka. Hier ist vor allem die ‚Veteranen‘-Brigade aktiv – auch das sind die Freiwilligen“, äußerte General Vadym Skibitsky, Vize des ukrainischen Militärgeheimdienstes, jüngst in der Zeitung „Ukrainskaja Prawda“.
Zudem entstanden in Russland eine Vielzahl neuer Privatarmeen. Die derzeit spektakulärste ist laut der „Ukrainskaja Prawda“ die „PMC Española“, wobei PMC für Private Military Company steht. Bei der „PMC Española“ soll es sich demnach um eine Freiwilligeneinheit russischer Fußball-Hooligans handeln, die der russischen Regierungspartei „Einiges Russland“ gehört, also durch Parteigelder finanziert wird.
Angeworben werden laut „Ukrainskaja Prawda“ Fußball-Ultras, vor allem aus dem Dunstkreis von Spartak Moskau, dazu Radikale jeder politischen Couleur, zudem Zivilisten vorrangig aus ärmeren Regionen des Landes. Bei den sogenannten „Fleischwolf-Angriffen“, die letztendlich im Februar 2024 durch den ungehemmten Einsatz von Menschenmassen in immer neuen Angriffswellen zur Eroberung der ukrainischen Industriestadt Awdijiwka durch die russische Armee führte, sollen vor allem Söldner der „PMC Española“ involviert gewesen sein.
2200 Euro monatlich für Freiwillige
„In den Española-Rekrutierungszentren in den besetzten ukrainischen Gebieten werden Freiwilligen monatlich 220.000 Rubel (umgerechnet 2200 Euro) für die direkte Teilnahme an Militäreinsätzen gegen die Ukraine versprochen. Der Vertrag hat eine Laufzeit von mindestens sechs Monaten“, wird der ukrainische Geheimdienst zitiert. Weitere Anreize bilden demnach „Versicherungszahlungen“ in Höhe von einer Million Rubel (ca. 7060 Euro) für eine leichte, 2 Millionen Rubel (14.100 Euro) für eine mittelschwere, 3 Millionen Rubel (21.000 Euro) für eine schwere Verletzung und 5 Millionen Rubel (35.200 Euro) für den Tod, wie der DIU berichtet.
Dutzende von Söldnergruppen, die jetzt in der Ukraine kämpfen, werden von russischen Unternehmen und staatlichen Stellen finanziert, wie das russische Oppositionsmedium Meduza mit Sitz in Riga berichtet. Dazu gehören das Uran-Bataillon, das vom russischen staatlichen Raumfahrtunternehmen Roskosmos unterstützt wird, die Sojus-Einheit, finanziert von den staatlichen Unternehmen Sberbank und Rosatom.
Auch Oligarchen wie die Putin-Vertrauten Arkady und Boris Rotenberg beteiligen sich mit Unsummen an der Finanzierung von Privatarmeen. Gazprom, der staatliche Energiemonopolist, soll laut ukrainischem Verteidigungsministerium an der Entwicklung eines privaten Militärunternehmens arbeiten, inspiriert vom Vorbild Wagner-Gruppe.
Freiwilligenkorps funktionieren nach dem Wagner-Prinzip: „Das sind ständige Angriffseinsätze und das Erzielen von Ergebnissen um jeden Preis. Was das Gehalt angeht, ist es fast das gleiche wie bei den russischen Streitkräften. Aber Wagners Gehalt war höher und Wagner schätzte seine Ausbilder und Kommandeure wirklich“, so General Skibitsky vom ukrainische Militärgeheimdienst in der „Ukrainskaja Prawda“.