Ein Recherchenetzwerk nennt den Namen des Anmieters einer verdächtigen Jacht im Fall der gesprengten Gaspipeline. Eine Briefkastenfirma gilt als heiße Spur.
„Nord Stream“-SabotageNeue Details zu Anschlag auf Gaspipelines in der Ostsee
Die Bundesanwaltschaft verfolgt im Fall der Sabotage der „Nord Stream“-Pipelines offenbar zwei neue Spuren. Beide weisen in die Ukraine und dort mutmaßlich in Geheimdienst- und Militärkreise. Ein internationales Recherchenetzwerk hat die Namen einer polnischen Firma und des Inhabers eines mutmaßlich gefälschten rumänischen Passes veröffentlicht, die mit der Anmietung der Segeljacht „Andromeda“ im vergangenen September zu tun haben sollen.
Die 15,5-Meter-Jacht vom Typ „Bavaria Cruiser 50? verließ am 6. September 2022 den Jachthafen Hohe Düne in Rostock, wurde dann in Wiek auf Rügen gesichtet. Zwischen dem 16. und dem 18. September soll das Rostocker Segelboot dann in den dänischen Hafen Christiansø eingelaufen sein. Die kleine Insel nordöstlich von Bornholm ist der nächstgelegene Hafen zu dem Punkt auf See, wo am 26. September die beiden Stränge von Nord Stream 1 zerstört wurden. Etwa zwölf Seemeilen südöstlich von Bornholm wurde ein Strang der Pipeline Nord Stream 2 gesprengt.
Die Jacht soll nach Informationen des Recherchenetzwerks aus Norddeutschem Rundfunk, Westdeutschem Rundfunk und „Süddeutscher Zeitung“ sowie polnischen, schwedischen und dänischen Medien von einer Firma in der polnischen Hauptstadt Warschau angemietet worden sein. Das Reisebüro trägt den Namen „Feeria Lwowa“ oder „Feeria Lviv“, beides bezeichnet die westukrainische Stadt Lemberg. Reporter des polnischen Online-Magazins „frontstory.pl“ haben die angegebene Geschäftsadresse der Firma besucht. Sie befindet sich in der zweiten Etage eines Plattenbaus aus sozialistischer Zeit. Mehr als 128 Unternehmen seien dort registriert, die größtenteils Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion gehören. Das Reisebüro besitzt keine eigene Website oder Telefonnummer. Alles sieht nach einer Briefkastenfirma aus.
Firma von Ukrainern gegründet – Umsatz ohne klares Geschäftsmodell
Nach polnischen Gerichtsakten wurde die Firma 2016 von zwei ukrainischen Staatsbürgern gegründet, 2019 wird eine Frau aus Kertsch auf der besetzten Krim als Eignerin eingetragen. Sie soll auch einen russischen Pass besitzen. Seit 2021 ist eine Nataliia A. „Vorsitzende des Verwaltungsrats“. In selber Position firmiert sie bei einer anderen angeblichen Reiseagentur mit Adresse am edlen Krakauer Hauptmarkt. Die polnischen Reporter haben auch diese Adresse besucht, dort fand sich kein Hinweis auf die Firma.
Aus den Gerichtsakten geht auch hervor, dass „Feeria Lwowa“ ausgerechnet im Corona-Jahr 2020, als der Reiseverkehr weltweit zum Erliegen kam, einen Rekordumsatz von 10 Millionen Zloty (heute rund 2,2 Millionen Euro) getätigt hat. Mit welchen Geschäften, bleibt unklar.
Warum diese Firma ohne erkennbares reales Geschäftsmodell die „Andromeda“ für einen Ostseetörn anmietete, bleibt im Dunkeln. Der Charterer wollte gegenüber der Ostsee-Zeitung und dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) keine Auskunft geben. Er sei wegen der laufenden Ermittlungen weiter zur Verschwiegenheit verpflichtet.
Auch zum zweiten Namen, der kursiert, kann er sich nicht äußern: Eines der Besatzungsmitglieder soll einen mutmaßlich gefälschten rumänischen Pass auf den Namen „Stefan Marcu“ vorgelegt haben. Der vorgebliche Rumäne sei ein 26-jähriger ukrainischer Militärangehöriger, so die Recherchen des internationalen Netzwerks. Verwandte gaben aber an, er habe das Land im vergangenen September nicht verlassen.
Welche Rolle die Jacht in den Gewässern vor Bornholm spielte, konnten auch die neuen Spuren nicht aufklären. Ebenso im Unklaren bleibt, ob die Ermittler staatliche Stellen in der Ukraine im Blick haben oder eher davon ausgehen, dass nichtstaatliche Akteure mit Zugang zu Armee- und Geheimdienstkreisen gehandelt haben. Regierungssprecher Steffen Hebestreit hielt sich mit einer Bewertung zurück. Es gebe „drei oder vier unterschiedliche Theorien, wer das gewesen sein kann“, sagte er am Montag lediglich. „Die Bundesregierung hat von Anfang an auf Aufklärung gedrängt.“ Man könne sich aber erst sinnvoll äußern, wenn es harte Belege dafür gebe, wer hinter der Tat stecke.
In den Tagen vor der Sprengung war auch das russische Spezialschiff „SS-750? vor Ort das mit einem Mini-U-Boot für Unterwasseroperationen ausgestattet ist. Die dänische Küstenwache hat Fotos vom dem Schiff angefertigt. Eine russische Operation, auch unter falscher Flagge, gilt den Ermittlern nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“ allerdings als unwahrscheinlich.
Politiker warnen vor voreiligen Schlüssen
Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte, die Identität der Täter und deren Tatmotive seien Gegenstand der laufenden Ermittlungen“, teilte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Montag mit. „Belastbare Aussagen hierzu, insbesondere zur Frage einer staatlichen Steuerung, können derzeit nicht getroffen werden.“
Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages, Konstantin von Notz (Grüne), sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) „Es bleiben viele - bisher die entscheidenden Fragen - in dieser Sache unbeantwortet. Insofern rate ich allen, sich mit Schlussfolgerungen maximal zurückzuhalten. Justiz und Sicherheitsbehörden müssen unabhängig, zügig und sauber weiterarbeiten.“
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Hartmann, sagte dem RND: „Ich warne davor, aus den Spekulationen endgültige Ergebnisse zu machen. Denn die Behörden müssen ihre Aufgaben erstmal erledigen, um zu festen Ergebnissen zu kommen. Umgekehrt gilt aufgrund der besonderen politischen Sensibilität und der Einmaligkeit dieses Anschlages in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass alles unternommen werden muss, um unkontrollierte Informationsabflüsse auszuschließen. Alles andere verhindert am Ende den Ermittlungserfolg.“