Beobachter halten die Diktatorenschwester Kim Yo-jong für die kommende Herrscherin Nordkoreas. Seit dem ergebnislosen „Showgipfel“ mit Trump 2019 fällt die 37-Jährige durch ihre ungezügelte Kriegsrhetorik auf.
Nordkoreas „First Sister“ Kim Yo-jongDie gefährlichste Frau der Welt
Ihren ersten internationalen Auftritt hatte die junge Frau im Februar 2018: Mit einem gefrorenen Lächeln nahm die damals 30-jährige Kim Yo-jong an den Feierlichkeiten zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang teil – zusammen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und dem damaligen US-Vizepräsidenten Mike Pence. Seitdem fällt die heute 37-jährige Schwester des Diktators Kim Jong-un durch Dauerpräsenz in den nordkoreanischen Propagandamedien auf.
Damals „versetzte die geheimnisvolle junge Prinzessin aus Pjöngjang ganz Südkorea in Verzückung. Und das, obwohl sie kaum mehr tat, als zu gehen, zu sitzen, zu essen, gelegentlich etwas zu sagen, ab und zu einmal zu lächeln“, schreibt Sung-Yoon Lee, Professor für Koreastudien an der Tufts University im US-Bundesstaat Massachusetts, in seiner in diesem Jahr erschienenen Biografie „Die Schwester. Die Geschichte der gefährlichsten Frau der Welt“.
Nach ihrer Charmeoffensive tat Kim Yo-jong bisher alles, um dem Untertitel des Buches zu entsprechen: Sie mutierte zur Lautsprecherin der Diktatur, drohte in ihrer Rolle als Vizechefin für Propaganda im Zentralkomitee von Nordkoreas kommunistischer Partei permanent mit Krieg und Zerstörung. So verurteilte sie gerade im Staatsfernsehen gemeinsame Militärübungen der USA, Japans und Südkoreas und rechtfertigte gleichzeitig das Abfeuern von mindestens sieben nordkoreanischen Raketen in Richtung Japanisches Meer. Nur Tage zuvor hatte das diktatorisch geführte Land seine bislang größte Interkontinentalrakete Hwasong-19 gestartet, die im Kriegsfall auch das US-amerikanische Festland erreichen könnte.
Auf die Kritik der Vereinten Nationen an dem Raketentest antwortete die Diktatorenschwester jüngst mit einer heftigen Attacke gegen UN-Generalsekretär António Guterres, den sie als den „Sprecher des US-Außenministeriums“ bezeichnete. Tage zuvor hatte Kim Yo-jong Südkorea und die Ukraine „von den USA aufgezogene Hunde“ genannt: „Wenn man sich anschaut, was sie tun, sind sich Seoul und Kiew sehr ähnlich. Sie betteln um Hilfe und werfen rücksichtslos unsinnige Rhetorik gegen Atomländer (...). Es sollte gesagt werden, dass dies ein gemeinsames Merkmal von allen unter den schlecht erzogenen Hunden ist, die von den Vereinigten Staaten abgerichtet wurden.“
Vizechefin der Abteilung Agitation und Propaganda
Vor dem Hintergrund von rund 11.000 Soldaten, die Nordkorea zur Unterstützung der russischen Aggression an die ukrainische Front geschickt hat, klingen die verbalen Ausfälle der Vizechefin der Abteilung Agitation und Propaganda – so der offizielle Titel der „First Sister“ – nach mehr als nur reinem Theaterdonner.
Der britische Think-Tank Chatham House hält Kim Jong-uns „mysteriöse kleine Schwester“ für die mächtigste Frau im Staat. Und möglicherweise einmal für die erste Frau, die die kleine Diktatur anführen könnte. Wie ihr Bruder verbrachte Kim Yo-jong ihre Jugend als Teenager auf einer Schweizer Privatschule bei Bern. 2012 tauchte sie erstmals an der Seite ihres Bruders bei öffentlichen Terminen auf.
Mitglied der Herrscherdynastie
Als Enkelin von Nordkoreas Staatsgründer Kim Il-sung ist sie so etwas wie eine Heilige, ein Mitglied von Nordkoreas Herrscherdynastie, die seit der Gründung die Volksrepublik diktatorisch regiert. Von Kim Il-sung ging die Macht der sogenannten Paektu-Linie zuerst auf seinen Sohn Kim Jong-il über, dann 2011 auf den Enkel Kim Jong-un. Für möglich halten südkoreanische Experten wie der Forscher Cheong Seong-chang aber auch, dass der aktuelle Diktator seine heute 12-jährige Tochter Kim Ju-ae als Nachfolgerin aufbaut – falls ihm die Zeit dafür bleibt. Obwohl Kim Jong-un erst 40 ist, gibt es immer wieder Gerüchte über den womöglich schlechten Gesundheitszustand des Kettenrauchers und Trinkers. Seit gut anderthalb Jahren taucht die Diktatorentochter immer wieder an der Seite ihres Vaters in der Öffentlichkeit auf: bei Raketentests, bei Militärübungen, zuletzt bei der Eröffnung eines Gewächshauses.
Momentan aber sorgt Kim Yo-jong für das größtes Aufsehen – und den höchsten propagandistischen Lärmpegel. In ihre Rolle als „erste Hasspredigerin“ des Regimes schlüpfte sie genau ein Jahr nach ihrer Charmeoffensive im Zeichen der Olympischen Ringe. Nach dem weltweit als „Showgipfel“ bezeichneten Treffen Kim Jong-uns mit Donald Trump am 27. und 28. Februar 2019 in Vietnam, der die Diktatur international aufwerten sollte, politisch aber keine Besserungen brachte, sorgte die Schwester für die neue Tonalität, die seitdem dominiert.
Sie war es auch, die im Juni 2020 die theatralische Sprengung des innerkoreanischen Verbindungsbüros nördlich der Grenze befahl, dessen Errichtung erst wenige Jahre zuvor von Südkorea finanziert worden war. Südkoreas Präsident Moon Jae-in, der bis 2022 regierte und auf eine Aussöhnung mit dem Norden gehofft hatte, musste sich daraufhin eine üble Schimpfkanonade durch die Diktatorenschwester gefallen lassen – als „kriecherischer Bettler“ und „Lakai der USA“.
Mitte Oktober drohte Kim Yo-jong Südkorea mit einer „furchtbaren Katastrophe“, sollte der Nachbar erneut Drohnen mit Propagandamaterial nach Nordkorea schicken. Südkorea bestritt, das getan zu haben. Seit dem Mai hatte Pjöngjang auch Tausende mit Müll gefüllte Ballons über die Grenze nach Südkorea geschickt, die dort den Flugverkehr gestört, Feuer verursacht und sogar Regierungsgebäude getroffen haben.
Ob die kompromisslose Kriegsrhetorik ihrem Übereifer zuzuschreiben oder Teil einer abgesprochenen Gesamtstrategie ist – darüber herrscht bei Beobachtern Uneinigkeit.