Betroffen von den Lieferschwierigkeiten sind vor allem Kleinkinder, die nur Säfte schlucken können.
Apothekerverband schlägt AlarmJedes zweite Medikament von Engpass betroffen
Der Apothekerverband beklagt einen verbreiteten Mangel an Medikamenten in Nordrhein-Westfalen. „Von den 100 Millionen Rezepten, die jährlich in den Apotheken von Nordrhein-Westfalen eingereicht werden, ist mittlerweile fast jedes zweite von einem Engpass betroffen“, so der Chef des Apothekerverbands Nordrhein, Thomas Preis. An dieser Situation werde sich in den kommenden Monaten auch nichts ändern, prognostiziert Preis im Gespräch mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "Der Staat muss endlich mehr Verantwortung übernehmen." Vor allem bei Schmerzmitteln und Medikamenten gegen Bluthochdruck werde der Markt nach Preis' Einschätzung künftig noch enger.
Mal gebe es das Medikament gar nicht, mal nicht in der verschriebenen Dosierung oder Darreichungsform. Laut Preis hat das auch zur Folge: „Der Hersteller eines Paracetamol-Safts für Kinder liefert nun Packungen nach Deutschland, die eigentlich für die Ukraine bestimmt sind, eine ukrainische Aufmachung und einen ukrainischen Beipackzettel haben.“ Auch Hausärzte sind alarmiert: „Die Engpässe betreffen verschiedene Blutdruckmedikamente, Schmerzmittel, Psychopharmaka und auch Antibiotika. Bestimmte Säfte sind nicht zu bekommen, das trifft besonders Kleinkinder, die keine Tabletten schlucken können“, sagte der Chef des Hausarztverbands Nordrhein, Oliver Funken. „Wir fordern die Rückverlagerung der Medikamenten-Herstellung in den Schengenraum.“
Lieferengpässe gab es zuletzt bei patentfreien Medikamenten wie Fiebersäften für Kinder, aber auch bei Präparaten für Erwachsene wie Antibiotika und Krebsmedikamenten. "Es gibt keine Arzneimittelgruppe, die nicht betroffen ist", so Preis. Um das künftig zu vermeiden, sollen nach Plänen des Bundesgesundheitsministeriums auch neue Regeln für Vorräte als Sicherheitspuffer kommen.
Umfrage unter Apothekern
Der Apothekerverband hatte in seinen Mitgliedsapotheken an Rhein und Ruhr eine Umfrage gestartet. Der Bundesgesundheitsminister habe im Dezember 2022 angekündigt, in der Frage der Lieferengpässe gesetzlich aktiv zu werden, um das Problem in den Griff zu kriegen und auch die Apotheken für ihren enormen Aufwand zu honorieren, so Preis. „Aktuell wurde das Gesetzesvorhaben auf unbestimmte Zeit im ersten Quartal verschoben. Wir haben dafür keinerlei Verständnis.“
Die Umfrage-Ergebnisse und vor allem auch die zum Ausdruck gebrachten Klagen über das Maß an Belastungen der Apothekenteams beim Kampf gegen Lieferengpässe zeigten: „Betriebswirtschaftlich sind der nicht vergütete Mehraufwand, die Umsatzverluste, seit Februar noch verbunden mit dem erhöhten Kassenabschlag für immer mehr Apotheken nicht mehr tragbar“, sagt Preis. Hinzu komme die psychische Belastung für die Apothekenteams, da die Versorgung der Patienten trotz der Liefersituationen weiter sichergestellt bleiben müsse.
Viele Medikamente sind seit Monaten nur schwer zu haben
Apotheker beobachten seit Monaten eine eingeschränkte Verfügbarkeit von Fiebersäften und -zäpfchen für Kinder mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibu-profen. Auch Hustenmittel, Blutdrucksenker, Brustkrebsmedikamente oder Magensäureblocker sind nicht ohne weiteres zu bekommen. „Bei den Fiebersäften für Kinder gibt es aufgrund des hohen Kostendrucks nur noch ganz wenige Hersteller, die den deutschen Markt versorgen - und die Nachfrage ist wegen einer erhöhten Atemwegsinfektionsrate bei Kindern in diesem Jahr stark angestiegen“, so ein Sprecher der Apothekerverbände.
Es handele sich um Liefer-, nicht um Versorgungsengpässe, sagte ein Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn auf Anfrage. Es sei erkennbar, dass aus den vorliegenden Daten kein Rückschluss auf einen Lieferabriss gezogen werden könne, es würden kontinuierlich Arzneimittel in den Markt gebracht, so der Beirat des Instituts.
Die Empfehlung des Beirats an die Apotheken lautet, auf übermäßige Bevorratung zu verzichten. Die Wirkstoffe für die Medikamente seien vorhanden, das größte Problem gerade im Blick auf die Behandlung von Kindern betreffe die Darreichungsform.
Kinder ungefähr bis zu einem Alter von zwölf Jahren bevorzugen Säfte. Diese können die Apotheken selbst anmischen. „Kein Kind muss unbehandelt bleiben“, so das Institut. Rund 68 Prozent der Produktionsorte von Wirkstoffen, die nach Europa geliefert werden, liegen in Asien, heißt es in der Studie des Pharmaverbands Forschender Arzneimittelhersteller. Kommt es dort zu Lieferproblemen oder gar zum Produktionsstillstand, kann das auch Deutschland treffen. Angesichts der aktuellen Engpässe solle die Produktion wieder verstärkt nach Deutschland zurückkehren, fordert etwa Christian Karagiannidis, Mitglied der Regierungskommission für Krankenhausversorgung.