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Weniger RückfälleGefangene lernen in JVA Wuppertal den Friseurberuf – Warum das etwas Besonderes ist

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Friseursalon in der JVA Wuppertal. Die Friseurmeister Tobias Pinkvoss und  Andrea Lueg leiten die weiblichen Gefangenen an.

Friseursalon in der JVA Wuppertal: Die Friseurmeister Tobias Pinkvoss und Andrea Lueg leiten die Insassinnen an.

In der JVA Wuppertal wurde jetzt ein voll ausgestatteter Friseursalon eingerichtet, in dem weibliche Häftlinge ausgebildet werden. Ein Ortstermin.

Der Friseursalon hat vier Waschplätze. Eine junge Frau steht an einem Übungskopf, zieht einen Seitenscheitel und versucht, eine Wasserwelle einzulegen. Andrea Lueg beaufsichtigt den Vorgang. „Das machst du sehr gut“, lobt die Friseurmeisterin. Die Situation wirkt alltäglich, aber das ist sie nicht. Über dem Eingang zur Frisierstube steht der Name „Haps-Cut“. „Haps“ ist ein Wort aus der Jugendsprache – und bedeutet Knast. Denn dieser Salon befindet sich in der Werkhalle 1 der Justizvollzugsanstalt (JVA) Wuppertal-Ronsdorf.

Das moderne Jugendgefängnis wurde 2011 eröffnet. Die JVA ist von einer rund fünf Meter hohen und 1200 Meter langen Mauer umgeben. Nachdem dort zunächst nur Männer ihre Strafen abgesessen hatten, wurde im vergangenen Jahr auch eine Mädchenabteilung in dem Gebäudekomplex untergebracht. Viele Häftlinge sind noch schulpflichtig und versuchen, einen Abschluss zu machen. Aber auch berufliche Qualifikationen sind möglich. Während die Jungs eine Lehre als Maschinen- und Anlagenführer oder Tischler starten können, gibt es jetzt auch eine Perspektive für die Mädchen. Sie können einen Job im neuen „Haps-Cut“ antreten.

Naomi P. war darauf spezialisiert, Handtaschen und Geldbörsen zu klauen

Der Salon „öffnet“ jeden Morgen um 6.40 Uhr. Normale Kundschaft gibt es naturgemäß nicht, die weiblichen Gefangenen frisieren einander, bisweilen lassen sich auch Strafvollzugsbedienstete die Haare schneiden. Andrea Lueg hat früher jahrelang selbstständig gearbeitet, bis sie die Ausschreibung für den Job in der JVA entdeckte. „Freunde stellen mir oft die Frage, ob ich mich denn bei der Arbeit sicher fühle“, erzählt die Friseurin. Schließlich seien die Azubis, die im „Haps-Cut“ mit spitzen Scheren hantieren müssten, womöglich gefährliche Straftäter.

Naomi P. sieht nicht besonders furchteinflößend aus. Sie ist 21 Jahre alt, hat lange braune Haare und wirkt eher zurückhaltend. Sie unterbricht ihre Arbeit am Übungskopf und ist offen dafür, dem Reporter Fragen zu beantworten. Sie sei zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden, berichtet Naomi, wegen Diebstahls. Sie war nach eigenen Angaben darauf spezialisiert, Handtaschen und Geldbörsen zu klauen. Immer wieder habe sie auch die Pin der EC-Karte im Portemonnaie gefunden, dann wurden die Konten der Opfer geplündert. „Viele Leute sind einfach zu leichtsinnig“, sagt Naomi und zuckt mit den Schultern.

Die weiblichen Häftlinge haben das Logo über dem Eingang des Friseursalons in der JVA Wuppertal selbst gestaltet.

Der Haps-Cut – die Insassinnen haben das Logo über dem Eingang des Friseursalons in der JVA Wuppertal selbst gestaltet.

Die Mädchenabteilung in der JVA Ronsdorf kann bis zu 75 Häftlinge aufnehmen. Wie auch bei den männlichen Tätern im Jugendstrafvollzug haben fast alle ein langes Vorstrafenregister. „Bis ein Jugendrichter einen jungen Angeklagten hinter Gitter schickt, muss schon einiges vorgefallen sein“, weiß JVA-Chefin Susan Schneider.

Zunächst würden Straftaten wie Diebstahl oder Wohnungseinbruch meist mit Sozialstunden geahndet. Haftstrafen würden zunächst auf Bewährung verhängt, weil eine Inhaftierung auch schädlich für die Entwicklung von Jugendlichen und Heranwachsenden sein könne. „Im Vollzug haben wir es daher regelmäßig mit mehrfach vorbestraften Tätern zu tun“, sagt Schneider.

Klima unter weiblichen Gefangenen angenehmer, als bei Männern

Bei den männlichen Jugendlichen herrscht im Vollzug oft ein raues Klima. Streit unter den Gefangenen, Beschimpfung der Bediensteten und eine latente Gewaltbereitschaft kommen häufig vor. „In der Mädchenabteilung kann es auch schonmal hoch hergehen“, berichtet Justizvollzugsamtsinspektor Alexander Kusch. „Da fliegen auch schon mal Gegenstände durch die Zelle. Aber das Klima ist insgesamt angenehmer.“

Laut Strafvollzugsstatistik waren im vergangenen Jahr 697 Häftlinge im Jugendstrafvollzug von NRW untergebracht, davon sind 5,3 Prozent weiblich. Die Mädchen, die in der JVA einsitzen, gehören manchmal Diebesbanden an. Durch die Haft sind die meisten erstmals im Leben von der Familie getrennt. Wenn es gut läuft, kann diese Abnabelung auch eine Chance sein.

Viele Gefangene sind noch in Behandlung, wenn sie entlassen werden

Es gibt klare Regeln, der Vollzug vermittelt einen oft unbekannten Wertekompass. „Für mache junge Gefangenen wäre es wahrscheinlich für die Entwicklung besser, wenn sie länger im Vollzug bleiben müssten“, sagt JVA-Chefin Schneider. „Viele absolvieren Behandlungsmaßnahmen, die bei der Entlassung noch nicht beendet sind.“

Eine weibliche Gefangene arbeitet im Friseursalon der JVA Wuppertal an einem Übungskopf.

Friseurhandwerk am Übungskopf – das einzig besondere ist der Ort in einer Jugendvollzugsanstalt.

Im Jugendstrafvollzug kann man in Deutschland bis zu einem Höchstalter von 24 Jahren untergebracht sein. Die maximale Strafe, die zum Beispiel bei Tötungsdelikten verhängt wird, beträgt zehn Jahre. Die Entscheidung zum Bau der JVA Wuppertal-Ronsdorf wurde nach dem Foltermord an einem jugendlichen Häftling in der JVA Siegburg getroffen. Dort hatte die Unterbringung des Opfers in einer Viererzelle die Tat begünstigt. In Wuppertal sind Einzelzellen Standard. Die Anlage verfügt über höchste Sicherheitsstandards.

In Naomis Zelle hängt ein Bild ihrer kleinen Tochter an der Wand

Naomis Zelle befindet sich im Hafthaus D. Der Weg von der Werkhalle 1 ist weit, es geht über lange Flure, unzählige Türen müssen aufgeschlossen und wieder verriegelt werden. Im Gemeinschaftsbereich der Abteilung steht ein großes Aquarium, das eine beruhigende Wirkung entfalten soll. Davor steht ein langer Tisch, an dem die Mädchen gemeinsam essen können.

Alle Hafträume sind zehn Quadratmeter groß und verfügen über eine Nasszelle. Auf dem Schreibtisch steht ein Fernseher, den die Häftlinge gegen eine geringe Gebühr mieten können. An den Wänden hängen viele Farbfotos, die ein kleines Mädchen zeigen. „Das ist meine Tochter“, sagt Naomi. „Ich kann es kaum erwarten, wieder bei ihr zu sein. Wenn ich Glück habe, werde ich im Sommer vorzeitig entlassen.“

Fast zwei Drittel der JVA-Insassen werden innerhalb von drei Jahren rückfällig

Und dann? „Ich schwöre, dass ich keinen Mist mehr baue“, gibt sich die junge Mutter reumütig. Laut Statistik ist die Rückfallquote im Jugendstrafvollzug aber hoch. Fast zwei Drittel der Gefangenen werden innerhalb von drei Jahren erneut straffällig, zirka 30 Prozent von ihnen kommen wieder in Haft. Aber die Quote sinkt, wenn die jungen Menschen nach der Entlassung in einen Job vermittelt werden können.

Die 21-Jährige Naomi steht am Fenster ihrer Zelle in der JVA Wuppertal.

„Ich schwöre, dass ich keinen Mist mehr baue.“ Die 21-jährige Naomi steht am Fenster ihrer Zelle in der JVA Wuppertal.

Darauf setzt auch NRW-Justizminister Benjamin Limbach. „Die JVA Wuppertal-Ronsdorf ist eine der modernsten Anstalten des Landes, in der wir jungen weiblichen Gefangenen einen guten Behandlungsvollzug bieten“, sagte der Grünen-Politiker im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Junge Frauen seien eine sehr kleine Gruppe im Justizvollzug, die ganz eigene Bedürfnisse habe. Darauf gehe man in Ronsdorf mit attraktiven Bildungs- und Ausbildungsangeboten ein. „Das bremst das Risiko eines Rückfalls in die Kriminalität und kommt uns allen zugute“, so Limbach.

Naomi geht gerne zur Arbeit in den Haps-Cut-Salon. Das liegt auch daran, weil man sich mit den Ausbildern gut unterhalten kann, sagt sie. „Wir lachen viel“, bestätigt Meisterin Andrea Lueg. Ihr Kollege Tobias Pinkvoss nickt. Der Friseurmeister war 17 Jahre lang in verschiedenen Salons tätig. Jetzt suchte er einen verlässlichen Arbeitgeber. „Sicherer als in einer JVA kann man nicht arbeiten“, sagt Pinkvoss und schmunzelt, das Novum der Ausbildungseinrichtung hat nicht nur für die Häftlinge Vorteile. Er habe nun sogar die Chance, als Friseur Beamter zu werden. Und ein pünktlicher Feierband ist auch garantiert. „Haps-Cut“ schließt täglich um 15.20 Uhr.