Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) will die Parteienlandschaft in Deutschland neu sortieren. Wo steht das Projekt in NRW? BSW-Mitinitiator Christian Leye im Interview.
„Zusammenarbeit mit bigotten Grünen kommt nicht in Frage“Bündnis Wagenknecht ätzt gegen Neubaur und Habeck
Als sich im Oktober der Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit“ in der Bundespressekonferenz vorstellte, war der Bundestagsabgeordnete Christian Leye aus NRW mit von der Partie. Er war aus der Linkspartei ausgetreten und ist nun stellvertretender Vorsitzender des „Bündnis'“.
Der Duisburger erklärt im Gespräch mit unserer Zeitung, wie das Projekt der AfD das Wasser abgraben will, worauf es im Ukraine-Krieg seiner Meinung nach mehr ankommt als auf Waffenlieferungen – und warum eine Zusammenarbeit mit den Grünen für das BSW nicht in Frage kommt.
Herr Leye, mit welchen Themen wollen Sie beim Bündnis Sahra Wagenknecht punkten?
Christian Leye: Die Linke hat das Thema soziale Gerechtigkeit völlig vernachlässigt. Im Ruhrgebiet ist jeder fünfte Mensch von Armut betroffen. Die Schulen sind verrottet, Straßen und Schienen kaputt, die Inflation drückt den Menschen die Luft ab. Statt das Land zukunftsfest zu machen und die Probleme zu lösen, wird das Geld an anderer Stelle verpulvert. Zum Beispiel für Waffen und Munition für den Ukraine-Krieg, ohne dass irgendeine Strategie erkennbar wäre, wie das Morden und Sterben dort beendet werden kann.
Würde es Sie kalt lassen, wenn Putin die Ukraine in die Knie zwingen würde?
Ich hege aus guten Gründen überhaupt keine Sympathie für das Regime Putin. Aber darum geht es nicht. Fakt ist: Die Sanktionen gegen Russland wirken kaum, selbst die Außenministerin musste dies zähneknirschend zugeben. Stattdessen wurde uns von Russland der Gashahn zugedreht, und nun kommt russisches LNG-Gas über Umwege zu uns.
Der Import von LNG ist eine ökologische und ökonomische Katastrophe, die Energiepreise sind im letzten Jahr explodiert und haben die Inflation massiv angeheizt. Gleichzeitig können viele Menschen den Gürtel nicht mehr enger schnallen. Der Krieg stürzt noch mehr Menschen in Deutschland in die Armut. Es wäre hier ein Fehler für die Demokratie, den Protest den Rechtspopulisten zu überlassen.
Im Übrigen: Früher war Frieden nie ein Thema der Rechten, sondern ein Anliegen der politischen Linken. Dies wurde aufgegeben in den letzten Jahren. Das ist eine Leerstelle, die wir besetzen wollen.
Wo steht das BSW bei der Gründung der neuen Partei in NRW?
Wir konzentrieren uns jetzt zunächst auf die Gründung der Bundespartei. Ziel ist es, dass wir mit einer Bundesliste bei den Europawahlen im nächsten Jahr antreten können. Die Gründung von den Landesverbänden erfolgt dann nachgeordnet.
Die Linke spielt in NRW auf Landesebene seit 2012 keine Rolle mehr. Wird das Bündnis Wagenknecht die Parteienlandschaft verändern?
Wir haben auch in NRW viele Menschen, die das Projekt unterstützen wollen. Es sind mehr, als wir gerade beantworten können, und das ist erfreulich. Es gibt ein großes Interesse an unserem Projekt, auch bei Leuten, die keinen linken Background haben. Zunächst brauchen wir jetzt einen geordneten Aufbau, bevor wir mit einem stabilen Kern loslaufen werden.
Wird das Bündnis bei den Kommunalwahlen 2025 antreten?
Ich gehe davon aus, dass wir 2025 auf dem Wahlzettel stehen werden.
Bläst die Wagenknecht-Partei der Linken das Licht aus?
Ich rede nicht schlecht über meine alte Partei. Es gab bekanntermaßen einen Richtungsstreit über die Frage, wie man aus der Serie von Wahlniederlagen der Linken herauskommt. Von einem Teil der Funktionäre wurde unserem Flügel immer wieder die Tür gezeigt, ein anderer Teil der Funktionäre hat dazu geschwiegen, sei es zustimmend oder ablehnend. So sind wir an einen Punkt gekommen, wo eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich war. Wir machen jetzt ein Angebot mit einem eigenen Profil. Es wäre fatal für die Demokratie, wenn wir den Protest den Rechten überlassen würden.
Meinungsforscher trauen dem Bündnis zweistellige Wahlergebnisse zu. Können Sie sich perspektivisch eine Koalition mit SPD und Grünen im Bund oder in NRW vorstellen?
Eine Zusammenarbeit mit den Grünen kommt aus meiner Sicht nicht in Frage. Die Wählerinnen und Wähler der Grünen haben die größten Einkommen, und entsprechend sieht auch die Wirtschaftspolitik aus. Bei der Energiewende kommen die Geringverdiener aktuell unter die Räder. Mitten in der Inflation Menschen über höhere Preise zu besseren Menschen erziehen zu wollen, klappt nur dort, wo die Einkommen hoch genug sind – Grün muss man sich leisten können. Wir brauchen Konzepte, die nicht über höhere Preise und den privaten, grünen Konsum funktionieren.
Die Grünen haben Sie offenbar gefressen…
Mich stört der bigotte Habitus. Viele Grüne predigen Verzicht – allerdings aus einer Position heraus, in der sie sich das leisten können. Sie vergessen, dass viel zu viele Menschen in diesem Land hart arbeiten müssen, und trotzdem kaum mehr über die Runden kommen. Denen freiwilligen Verzicht zu predigen, die seit Jahren aufgrund niedriger Einkommen verzichten müssen, das empfinde ich als elitär und abgehoben. Darüber hinaus haben sie ihren politischen Kompass völlig verloren. Früher waren die Grünen eine Friedenspartei. Jetzt ist jeder Zweifel an Aufrüstung und Militarisierung der Außenpolitik hinweggefegt.
Sahra Wagenknecht will die Zuwanderung begrenzen. Kritiker werfen ihr vor, Narrative der AfD zu bedienen. Wie stehen Sie dazu?
Ein Reflex der letzten Jahre ist, dass jede Position, die nicht dem politischen Mainstream entspricht, sofort als rechts abgekanzelt wird – was im Übrigen inhaltlich Unfug ist, siehe die Friedenspolitik. Erst wird das Land gespalten, dann wird die Kritik als rechts abgetan, und danach wundert man sich ernsthaft über die Umfrageergebnisse von rechten Parteien. Wir müssen aufhören, intellektuell zu Fuß zu gehen, weil wir denken, das sei gut fürs Klima. Ich glaube, es kommt darauf an, Probleme zu benennen, ohne weich zu zeichnen. Die Kritik an der Flüchtlingspolitik wird in den Kommunen von Politikern unterschiedlichster Parteibücher vorgetragen, die sicher nicht unter dem Verdacht stehen, Rechtsradikale zu sein. Wenn wir den Siegeszug der AfD stoppen wollen, müssen jetzt pragmatische Lösungen auf den Tisch.
Sie haben die Bundestagsfraktion der Linken verlassen, ihre ehemaligen politischen Weggefährten in eine tiefe Krise gestürzt. Wie fühlt sich das an?
Ich habe mir diesen Schritt nicht leicht gemacht, und ehrlich gesagt ist es mir ziemlich schwergefallen. Immerhin gibt es in Partei und Fraktion auch viele Menschen, die ich politisch schätze und persönlich respektiere. Hätte es einen anderen Weg gegeben, ich wäre ihn gegangen. Allerdings hat man uns die politischen Räume so eng gemacht, dass wir mit geradem Rücken nicht mehr reingepasst haben. Es gab keinerlei ernsthaftes Angebot oder auch nur einen realistischen Ausweg für unseren Flügel, als diesen Weg zu gehen. Die Alternative war, schweigend dem Niedergang der Partei zuzusehen, und sich von jedem politischen Anspruch, etwas zu verbessern, zu verabschieden.