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Castor-Transporte kommenUrteil: Atommüll aus Jülich darf in Ahaus lagern

Lesezeit 5 Minuten
Einsatzkräfte der Polizei sichern die Probefahrt eines leeren Castor-Behälters.

Bisher fanden nur Probefahrten mit leeren Castorbehältern statt; bald werden die Transporte aus Jülich Realität.

In Ahaus im Münsterland dürfen laut Gerichtsurteil Castoren aus dem Forschungszentrum Jülich zwischengelagert werden. Was das bedeutet.

Helge Bauer steht vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster und macht ein Foto von der Mahnwache. Anti-Atom-Aktivisten halten ein Transparent in der Hand. „Stoppt die Castorlawine! Neubau in Jülich statt Transport nach Ahaus“, steht darauf. Die Protestaktion soll die Verhandlung im Saal II begleiten. Dort geht es um eine wegweisende Entscheidung in der Atom-Politik des Landes. Dürfen Castoren aus dem Forschungszentrum Jülich ins Zwischenlager Ahaus transportiert werden oder nicht? Um 16 Uhr fällt die Entscheidung. Die Klage wurde abgewiesen. „Eine krasse Fehlentscheidung. Die Atommüllhalle in Ahaus ist das unsicherste Zwischenlager in ganz Deutschland“, ärgert sich Bauer, der dem Verein „Ausgestrahlt“ angehört. Neuartige Gefahren seien „nicht aus der Welt“, bloß weil die Richter des OVG „die Augen davor verschließen“.

Zwei Tage wollte sich das OVG mit dem Für und Wider der Atommülllagerung beschäftigen, nun fiel die Entscheidung bereits an Tag eins. Die Gemeinde Ahaus und ein ansässiger Bürger hatten gegen die Aufbewahrungsgenehmigung für den Atommüll aus Jülich geklagt, die 2016 erteilt worden war. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass diese rechtmäßig ist – und ließ keine Revision zu. Was hat das Urteil jetzt für Auswirkungen? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Um welchen Müll geht es?

In Jülich im Kreis Düren wird Atommüll aus dem AVR- Hochtemperaturreaktor des Forschungszentrums gelagert, der 1988 nach zahlreichen Störfällen außer Betrieb genommen wurde. Es handelt sich um rund 300.000 tennisballgroße Brennelemente-Kugeln. Das Material in den 152 Castor-Behältern gilt als hochbrisant. Eine Sicherheitsexpertin für Atomanlagen behauptet in einem Kurzgutachten, das sie im Auftrag der Transportgegner erstellt hat, bei einem Unfall an der Transportstrecke könnte die austretende Strahlung in einem Umkreis von 120 Metern absolut tödlich wirken.

Warum halten die Kläger das Lager in Ahaus für unsicher?

Das Lager in Ahaus ist in die Jahre gekommen. Nach den Terrorangriffen im Jahr 2001 wurde zwar Ertüchtigungsmaßnahmen durchgeführt, aber die halten die AKW-Gegner für unzureichend. Eine Wandstärke von 75 Zentimetern sei nicht geeignet, um zum Beispiel einen Angriff mit Drohnen zu überstehen, heißt es. „Das Sicherheitskonzept ist aus der Zeit gefallen“, sagt Helge Bauer: „Wir erleben im Ukraine-Krieg, welche Zerstörungskraft von modernen Lenkwaffen ausgehen kann. Die Einlagerung ist daher unverantwortlich. Zumal in Ahaus – im Gegensatz zum Standort Jülich – keine Möglichkeiten besteht, defekte Castoren abzudichten.“ Die Castoren aus Jülich würden übrigens nur sechs Prozent der Fläche des Lagers in Anspruch nehmen.

Wie begründet das Gericht das Urteil?

Die Richter kamen zu dem Schluss, die Halle in Ahaus sei gut genug gegen Angriffe gerüstet. „Etwaige Anschläge auf das Lager mittels Drohnen hat die Genehmigungsbehörde zutreffend berücksichtigt“, heißt es in einer Stellungnahme des OVG. Die bei einem Terrorangriff gegebenenfalls austretende radioaktive Strahlung überschreite den bei der Genehmigung herangezogenen Grenzwert nicht.

Weshalb kann der Müll nicht hat in Jülich bleiben?

2014 hatte die Atomaufsicht in NRW, die beim nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium liegt, die sofortige Räumung des Lagers angeordnet. Damals war man der Auffassung, dass das bestehende Lager schweren Erdstößen nicht standhalten würde. Tatsächlich werden in der Aachener Region immer wieder kleinere Erdbeben gemessen.

Das Bundesamt für Strahlensicherheit und nukleare Entsorgung (BASE) gab allerdings Entwarnung. Die Behörde bescheinigte Jülich im Jahr 2022, erdbebensicher zu sein. Die Bundesregierung entschied sich im selben Jahr für einen Umzug der Castoren. Der Transport ins Münsterland sei die „vorzugswürdige Option“, hieß es. Denn auch die Halle in Jülich entspricht nicht mehr dem neuesten Stand der Technik. Als offene Flanke gilt vor allem die IT-Sicherheit.

Wäre ein Neubau in Jülich nicht die beste Lösung?

Ja, ein Neubau in Jülich wäre machbar und ging angesichts des laufenden Gerichtsverfahrens in die Planung. Ein Neubau kostet aber sehr viel Geld – und ist wohl kurzfristig nicht zu realisieren. Experten schätzen die Kosten auf 550 Millionen Euro und die Bauzeit bis zur Fertigstellung auf neun Jahre. Der Transport nach Ahaus ginge viel schneller und soll angeblich nur 100 Millionen Euro kosten. Darin ist der Polizeieinsatz aber nicht eingepreist.

Gegen den Neubau spricht auch: Die Genehmigung eines Atomlagers ist sehr langwierig und birgt Verzögerungsrisiken. So müsste zum Beispiel auch bei diesem Projekt dem Artenschutz Rechnung getragen werden. Für den Neubau müsste eine Fläche von rund 2,2 Hektar Wald gerodet werden. Auf dem Areal leben seltene Frösche und Kröten – und die vom Aussterben bedrohte Haselmaus.

Wie sollen die Castor-Transporte vonstatten gegen?

In der Nacht über das Straßennetz. Bei einem Testlauf startete eine Kolonne mit einem leeren Behälter in Jülich gegen 22 Uhr, benötigte für die 185 Kilometer ins Münsterland rund vier Stunden. Jetzt stehen bei einem Spediteur vier Spezialfahrzeuge bereit, die für die Mission angekauft wurden. Fest steht, dass jeweils nur ein Castor pro Transporter auf die Reise geschickt werden soll. Die Verlagerung ist also ein langwieriger Prozess und wird wahrscheinlich insgesamt zwei Jahre dauern.

Wann können die Transporte beginnen?

In Düsseldorf rechnet man nicht damit, dass die Verlagerung noch vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr beginnt. Danach müsse man sich aber sputen, heißt es, weil die Transportgenehmigung, die noch nicht vorliegt, zeitlich begrenzt sein dürfte.

Protestler stehen mit Bannern vor dem OVG Münster.

Mahnwache von Atomkraft-Gegner vor dem OVG in Münster – der Protest war erfolglos.

Was bedeutet das für die Polizei?

In Polizeikreisen rechnet man mit einem massiven Kräfteeinsatz. Für die Sicherung eines Nachttransports können mehrere Hundertschaften benötigt werden, heißt es. Möglicherweise müssten auch Einheiten aus anderen Bundesländern nach NRW abgezogen werden.

Wie massiv könnten die Proteste werden?

Das ist schwer zu sagen. Viele Atomkraftgegner sind in die Jahre gekommen – die Grünen, bei denen der Anti-Atom Protest einst zur politischen DNA gehörte, sind mittlerweile eine staatstragende Regierungspartei. Möglicherweise nutzen aber gewaltbereite Gruppen aus der Szene der Klimaschutzaktivisten die Gelegenheit, sich in Szene zu setzen.

Wie lange können die Castoren in Ahaus bleiben?

Nicht für immer. Die Genehmigung für die Anlage in Ahaus läuft 2036 ab.