Peter Rott ist niedergelassener Gynäkologe und verrät, was er im Monat verdient und warum er sich um das System sorgt. – Ein Protokoll
Ein Arzt spricht über sein Gehalt„Allein für Strom zahlen wir hier 650 Euro im Monat“
Es muss niemanden wundern, dass sich junge Kolleginnen und Kollegen nicht mehr dafür entscheiden, eine eigene Praxis aufzumachen. Der Mangel an Haus- und Facharztpraxen ist hausgemacht. Das Realeinkommen von uns niedergelassenen Ärzten hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert. Die Bürokratie und das Risiko, aber auch die Arbeitszeit haben sich aber eher erhöht.
Am meisten belastet mich, dass ich gar nicht weiß, was ich am Ende für meine Arbeit verdiene. Wer arbeitet schon, wenn unklar ist, was er dafür bekommt? Und wer arbeitet gern viel, wenn es heißt: Je mehr Sie arbeiten, desto weniger bekommen Sie pro Stunde dafür. Die Abrechnung für unsere Leistung von der Kassenärztlichen Vereinigung kommt erst ein halbes Jahr später.
Durch die Budgetierung und das komplexe Abrechnungssystem kommt es da häufig zu mageren Überraschungen. Es werden ja nicht einfach alle Leistungen bezahlt. Es ist vielmehr so, dass die Kassenärztliche Vereinigung bei allem, was über das Regelleistungsvolumen hinausgeht, ein bestimmtes Budget für alle Kollegen zur Verfügung hat. Das wird dann sozusagen aufgeteilt. Das bedeutet, dass der einzelne Arzt weniger bekommt, je mehr Ärzte Leistungen abrechnen. Das ist nicht planbar. Im dritten Quartal 2023 beispielsweise haben wir trotz vieler Patientinnen und Überstunden so wenig verdient, dass wir unsere zehn Mitarbeiterinnen nicht von den Einkünften hätten bezahlen können, wenn wir nicht vorher Rücklagen gebildet hätten.
Ich kann im Quartal etwa 12.000 Euro an Regelleistungsvolumen abrechnen. Dazu kommt in meinem Fall als Gynäkologen noch etwa das Vierfache an extrabudgetären Leistungen, beispielsweise für Schwangere oder die Krebsvorsorge. Für eine werdende Mutter bekomme ich 120 Euro im Quartal. Egal ob sie dafür nur wie vorgeschrieben einmal im Monat in die Praxis kommt oder drei Mal, weil sie Beschwerden hat. Egal, ob ich sie während der neun Monate dreimal schalle oder fünfmal, weil ich das medizinisch für notwendig erachte. Dazu kommen noch ein paar Rechnungen für Privatpatienten. Die sind sehr gut kalkulierbar, allerdings macht der Prozentsatz bei uns nur noch fünf bis sieben Prozent aus. Darauf kann ich also nicht bauen.
„Allein für Strom zahlen wir hier 650 Euro im Monat“
Von dem Budget, das ich bekomme, muss ich meinen Praxiskredit abbezahlen. Immerhin habe ich vor 25 Jahren 250.000 Euro auf den Tisch legen müssen, um die Praxis und die Geräte zu finanzieren. Dazu kommen die Gehälter unserer Angestellten sowie das Geld, das ich für Neuanschaffungen zurücklegen muss. Auch die laufenden Kosten muss ich begleichen. Allein für Strom zahlen wir hier 650 Euro im Monat. Und so ein Ultraschallgerät, das können Sie nicht dauernd hoch- und runterfahren so wie Sie vielleicht das Licht an und ausmachen würden.
Von dem Geld, das ich dann mir persönlich auszahlen kann, trage ich meine Krankenversicherung, meine Rentenversicherung, eine Lebensversicherung und den Beitrag zur Ärzteversorgung. Dazu muss ich mein Einkommen natürlich versteuern. Netto bleiben mir am Ende im Schnitt gut 4000 Euro. Das ist ein gutes Gehalt. Für sechs Jahre Studium, fünf Jahre Facharztausbildung plus die ganze Verantwortung und das Risiko, ist es aber auch nicht üppig.
Bei dem Einsatz will ich am Ende des Monats nicht überlegen müssen, ob ich mir die teurere Kartoffelsorte oder den Kinobesuch noch leisten kann. Und das Geld wird weniger. Der Strom wird teurer, das Klopapier, das Desinfektionsspray, die Gehälter der MFAs, die ich ja gut bezahlen will, müssen steigen. Wenn die Budgets aber gleichzeitig kaum erhöht werden, schmilzt mein Einkommen doch immer mehr. Wie soll ich da großzügig sein und gleichzeitig selbst klarkommen?
Im Gegensatz dazu erscheint eine Oberarztstelle im Krankenhaus attraktiver. Da verdiene ich genauso viel, trage aber kein unternehmerisches Risiko. Ich stand hier zwei Wochen nach einer Hand-OP schon wieder in der Praxis, trotz Schmerzen. Weil ich sonst meine Angestellten nicht bezahlen kann. Als angestellter Arzt in der Klinik hätte ich das wohl nicht gemacht. Auch was die Familienfreundlichkeit angeht, muss bei niedergelassenen Ärzten etwas anders werden. Ddie Zeiten, in welchen der Herr Doktor 70 Stunden die Woche durcharbeitet, während sich seine Frau um die Kinder und alles andere kümmert, sind glücklicherweise vorbei. Immer mehr Frauen werden heute Ärztinnen und die wollen, ebenso wie ihre jungen Kollegen, ihre Arbeit verständlicherweise mit einer Familie vereinbaren. Das muss auch bei niedergelassenen Ärzten möglich sein.
„Schon während die Patientin neben mir sitzt, kann ich ihr beim Sprechen eigentlich kaum in die Augen gucken, weil ich nebenher alles tippen muss“
Dazu kommt dieser riesige Bürokratieapparat. Alles muss dokumentiert werden. Schon während die Patientin neben mir sitzt, kann ich ihr beim Sprechen eigentlich kaum in die Augen gucken, weil ich nebenher alles tippen muss: Worüber klagt sie? Habe ich sie auf die Gefahr von Endometriose aufmerksam gemacht, damit sie mich später nicht verklagen kann? Habe ich notiert, wo ihre Gebärmutter genau sitzt? Ist der Abrechnungscode korrekt?
Dazu kommen die Regresse. Wenn die Prüfstelle der Meinung ist, dass ich zu teure Medikamente verschrieben habe, dann muss ich zu allen betroffenen Patienten eine Begründung schreiben, warum genau dieses Medikament nötig ist. Ich muss einen Anwalt beauftragen, Widerspruch einzulegen. Das alles kostet Geld und Nerven.
Wenn Quartalsabrechnungen anstehen, sind eine Mitarbeiterin und ich eine komplette Woche damit beschäftigt. Die Abrechnungen an sich sind auch ein Irrsinn. Wenn ich zum Beispiel eine Feindiagnostik bei einer Schwangeren durchführe, dann kann ich die Untersuchung, sollte sie besorgniserregend ausgegangen sein, nicht wiederholen, weil ich sie nur einmal abrechnen kann. Es sei denn, wir haben Glück und die erste Diagnostik lag im März, dann kann ich das im April nochmal machen, weil ein neues Quartal begonnen hat.
Es ist löblich, dass die Hausärzte nun mit einer Flexibilisierung der Abrechnungszeiträume sowie einer Entbudgetierung rechnen können. Aber warum soll das für uns Fachärzte nicht gelten? Wir haben doch in großen Teilen dieselben Probleme. Wenn sich nichts ändert, werden wir auch in Zukunft wieder in den Streik treten. Denn so machen wir das Gesundheitssystem kaputt.