Da war doch was mit krummen Gurken... Thomas Jäger, Professor für internationale Politik und Außenpolitik an der Uni Köln, nimmt die gängigsten Vorurteile zur EU unter die Lupe.
„Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa“Was ist dran an den EU-Klischees? – Kölner Politologe zu den 10 gängigsten Vorurteilen
1. Die EU ist bei Handelsnormen (Gurken-Norm, Glühbirnen-Verbot) regelungswütig und produziert zu viel Bürokratie.
Professor Thomas Jäger: „Das stimmt. Doch zu viele Normen und Regeln sind nicht nur das Markenzeichen der EU, sondern aller europäischer Staaten. Bei manchen mehr, bei anderen weniger. Der Bürokratieabbau kann zu Hause beginnen, dafür braucht man die EU nicht zum Buhmann zu machen.“
2. „Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa“ – durch Sitze im EU-Parlament wird die zweite oder dritte Garnitur der Parteien „versorgt“.
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Jäger: „Das Europaparlament ist wichtiger, als viele meinen. Bei zahlreichen Entscheidungen in der EU muss es ebenso wie die Mitgliedsstaaten zustimmen. Richtig ist, dass die Abgeordneten ihre Arbeit ganz schlecht kommunizieren. Sie melden sich nur alle fünf Jahre und wollen gewählt werden. Deshalb haben manche den Eindruck, dass hier Parteifunktionäre versorgt werden. Aber der Eindruck ist, so allgemein gesprochen, falsch.“
Anmerkung der Redaktion: In der aktuellen Wahlperiode hat das EU-Parlament 705 Mitglieder. Das Durchschnittsalter ist 54 Jahre – nur zwölf Abgeordnete sind 30 Jahre oder jünger.
3. EU-Abgeordnete reden zwar viel, haben aber nichts zu bestimmen, weil dem EU-Parlament – im Gegensatz zum Bundestag – die Gesetzgebungskompetenz fehlt.
Jäger: „Das Europäische Parlament hat Gesetzgebungskompetenz, es muss in vielen Verfahren zusammen mit den Staaten (Europäischer Rat) und der EU-Kommission einen Kompromiss finden und dann auch zustimmen. Das EP darf keine Gesetze initiieren, das macht die Kommission.“
4. Brüssel zwingt den Mitgliedstaaten seine Regeln auf.
Jäger: „Die Mitgliedstaaten vereinbaren in Brüssel gemeinsame Regeln, denn die EU – das sind die Mitgliedsstaaten. Ohne sie gibt es keine Regeln. Dass sie dann manchmal „Brüssel“ dafür verantwortlich machen, soll die Kritik ablenken.“
5. Der Euro ist ein „Teuro“ – zu D-Mark-Zeiten war das Leben billiger.
Jäger: „Auch mit der D-Mark wären die Preise gestiegen. Der Euro hat deutschen Unternehmen die Möglichkeit verschafft, ohne Währungsrisiken in Europa zu handeln. Davon hat der Wohlstand in Deutschland kräftig profitiert.“
Anmerkung der Redaktion: Laut Statistischem Bundesamt lagt die Teuerung in den ersten zehn Jahren nach der Euro-Bargeldeinführung am 1.1.2002 bei 1,6 Prozent, vor der Einfügung lag sie im Schnitt bei 2,2 Prozent. Bei Produkten des täglichen Bedarfs und bei Dienstleistungen wurde die Umstellung vielfach genutzt, um Preise aufzurunden.
6. Lobbyisten haben zu viel Einfluss auf das EU-Parlament.
Jäger: „Lobbyisten haben in allen Parlamenten Einfluss, das ist ihre Aufgabe. Sie vertreten ihre Interessen und wenn das alle gesellschaftlichen Gruppen machen, bekommen die Abgeordneten ein umfassendes Bild. Das Problem ist, dass die Interessen unterschiedlich gut organisiert sind. Das EU-Parlament sticht da nicht besonders hervor.“
7. In der Flüchtlingspolitik macht jeder Staat, was er will – und schert sich nicht um Verteilungsabkommen.
Jäger: „Es ist ein Problem, wenn sich Staaten gemeinsame Regeln geben – und sich dann nicht daran halten. Das ist in der EU schon lange so und wird sich auch erst einmal nicht ändern lassen. Deshalb wacht die Kommission über die Einhaltung, kann dies manchmal effektiver, manchmal nicht. Da sieht man wieder: Die Mitgliedsstaaten in der EU haben großen Einfluss und behalten sich viel Handlungsspielraum vor.“
8. In der Verteidigungspolitik gibt es keine abgestimmte Linie, das spielt Putin in die Hände.
Jäger: „Richtig. Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist die Achillesferse der EU. Dabei wurde schon in den 1950er Jahren eine gemeinsame Verteidigung geplant. Das hat bis heute nicht geklappt, weil die EU-Staaten nicht wirklich dahinter her waren und sich im Zweifel auf die USA verlassen konnten. Wenn die USA aus Europa abziehen, stehen die EU-Staaten ziemlich blank da.“
9. Die EU-Erweiterung hat vor allem Kriminellen aus Ost- und Südost-Europa in die Karten gespielt.
Jäger: „Die EU-Erweiterung hat vor allem dazu beigetragen, dass es in Europa zwischen den EU-Staaten keine Gewalt gab. Das ist die wichtigste Errungenschaft der EU-Erweiterung: Dass sie ein Modell für das gewaltfreie Zusammenleben von Staaten ist.“
10. Die EU kostet die Mitgliedsstaaten zu viel Geld. Deswegen war es klug von Großbritannien, die EU zu verlassen.
Jäger: „Großbritannien hat den Brexit schon jetzt schwer bereut. Sowohl wirtschaftlich als auch politisch war er von Nachteil. Die deutliche Mehrheit der Briten würde heute gegen einen EU-Ausstieg stimmen – und irgendwann werden sie auch wieder zur EU zurückkommen.“