Am Mittwoch hat Hendrik Wüst 18 Rettungsmedaillen des Landes an Fluthelfer verliehen. Vier von ihnen erzählen ihre Geschichte.
„Vorbilder für uns alle“Wie ein Mönch und eine Soldatin während der großen Flut im Rheinland Leben retteten
Knapp zwei Jahre ist es her, als die Hochwasserkatastrophe weite Teile von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz verwüstete. Allein in NRW starben in Folge der Flut 49 Menschen. Hunderte weitere verloren ihr Zuhause. Ganze Dörfer wurden weggespült. In Euskirchen, Swisttal, Stolberg oder Erftstadt sind Spuren des Hochwassers auch heute noch zu sehen.
Dass es nicht noch viel mehr Tote gab, ist dem Engagement von Menschen zu verdanken, die ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten, um andere vor den Wassermassen zu retten. 18 von ihnen verlieh NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Mittwochabend die Rettungsmedaille des Landes.
Wüst: „Mahnendes Zeugnis des Klimawandels“
„Im Vorfeld des zweiten Jahrestages kommen viele Erinnerungen an die Flut hoch, die bis heute schwer zu verarbeiten sind. Zugleich erinnern wir uns aber auch an die überwältigende Solidarität, die nach der Katastrophe überall im Land zu sehen und zu spüren war“, sagte Wüst bei der Verleihung der Medaillen in Düsseldorf.
Die Katastrophe sei auch ein mahnendes Zeugnis des menschengemachten Klimawandels. „Der Schutz unseres Klimas gehört zu den größten Aufgaben unserer Zeit – unsere Generation muss die richtigen Weichen für die Zukunft stellen und beim Klimaschutz schneller vorankommen“, forderte Wüst.
Gleichzeitig erinnere der kommende Jahrestag an den Einsatz vieler Menschen „die inmitten der Katastrophe über sich hinausgewachsen sind. Die Geehrten haben in dramatischen Situationen ihre eigenen Ängste überwunden und andere aus scheinbar auswegloser Lage befreit – sie sind Vorbilder für uns alle.“
Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat mit vier Menschen gesprochen, die am Mittwoch für ihre Rettungstaten ausgezeichnet wurden. Sie erzählen, wie sie das Hochwasser erlebt haben, was ihnen bei ihren Rettungsaktionen durch den Kopf ging und wie sie zwei Jahre nach dem Hochwasser auf die Ereignisse blicken.
Polizeihauptkommissar Patrick Reichelt (48) aus Swisttal
Vor zwei Jahren war ich Polizeitaucher in Swisttal. Am 15. Juli bin ich um 4 Uhr morgens los, habe mir mit einem Kollegen ein Rettungsboot geschnappt und bin nach Heimerzheim gefahren. Christian Plath von der Feuerwehr Heimerzheim hat sich uns angeschlossen.
Irgendwann haben wir einen Notruf aus einem Haus an der Quellenstraße bekommen. Mit dem Boot konnten wir dort nicht mehr vordringen, also sind wir zu Fuß weitergelaufen. Wir hatten nicht gesehen, dass das Haus teilweise schon unterspült war. Als ich es betrat, brach die Bodenplatte weg. Instinktiv habe einen Arm in die Luft gerissen und glücklicherweise hat mich Christian Plath zu fassen gekriegt. Ohne ihn wäre ich jetzt wahrscheinlich tot.
Wir haben es dann geschafft über einen anderen Weg ins Haus zu kommen und konnten die 14 Personen dort mithilfe von Rettungshelikoptern evakuieren. Danach haben wir uns mit Boot und Geländewagen so gut es ging weiter die Quellenstraße hochgekämpft und so viele Leute rausgeholt, wie es ging. Doch gegen die starke Strömung sind wir mit unserer Ausrüstung nicht überall angekommen. Immerhin konnten wir insgesamt 65 Menschen retten.
Nach dem Dienst ging es bei mir im Ort weiter. Ich wohne selbst in Swisttal. Zusammen mit anderen Eltern haben wir uns um einen Behelfskindergarten gekümmert. In der ersten Woche habe ich vielleicht zehn Stunden geschlafen.
Die Spuren der Flut sind hier auch zwei Jahre später noch zu sehen. Immer noch werden Häuser renoviert, manche jetzt erst abgerissen. Die Feuerwehr hat immer noch keine richtige Wache und arbeitet mit Notausrüstung.
Meine große Hoffnung und Bitte an die Politik ist, die Rettungskräfte vernünftig auszustatten. Damit, wenn wieder so etwas nochmal passiert, der Einsatz nicht an der Ausrüstung scheitert und vielleicht noch mehr Menschenleben gerettet werden können.
Dirk Wasserfuhr (63) aus Wuppertal-Beyenburg
Ich bin Ordensbruder der Kreuzherren in Wuppertal-Beyenburg. Beim Abendgottesdienst am 14. Juli haben wir noch dafür gebetet, dass die Flut unseren Ort bloß verschonen möge. Als der Gottesdienst vorbei war, bin ich in den unteren Teil des Dorfes gefahren, da kam mir das Wasser schon entgegen. Ich bin dann sofort wieder zurück zur Kirche gefahren und habe die Glocke auf Dauergeläut gestellt. Einige Menschen sind dadurch wohl erst wach geworden und haben mitbekommen, dass ihr Haus unter Wasser steht – Warnungen von Sicherheitskräften kamen ja erst viel später.
Daraufhin habe ich das Ordenskleid gegen Arbeitskleidung eingetauscht und bin, so wie das halbe Dorf auch, in die Fluten gesprungen, habe Sandsäcke geschleppt und dabei geholfen, die Leute aus den Häusern zu bergen. Zusammen haben wir gerettet, was zu retten war. Auch die Feuerwehr und die Bundeswehr kann man nicht hoch genug loben für ihren Einsatz.
Es klingt vielleicht seltsam, aber nach dem ersten Schock der Überflutung gab es hier fast paradiesische Zustände. Jeder war per Du, es gab keine Titel mehr, alle Häuser standen offen und jeder war willkommen. Diese große Familie, die sich damals gebildet hat, habe ich wirklich genossen. Viele dieser Verbindungen bestehen bis heute.
Die Auszeichnung empfinde fast schon als beschämend. Das, was ich damals getan habe, was für mich eine Selbstverständlichkeit. In dieser Nacht und in den Tagen und Wochen danach haben alle im Dorf geholfen. Ihnen gebührt Dank. Deswegen nehme ich diesen Preis nur stellvertretend für all diese Helfer an.
Tobias Engels (33) aus Zülpich
Gemeinsam mit meinem besten Freund Sascha Schah war ich am Abend des 14. Juli nach Euskirchen unterwegs, um seine Nichte abzuholen, die in einem überschwemmten Haus auf uns gewartet hat. Nachdem wir sie abgesetzt haben, sind wir auf der Suche nach einem Weg zurück nach Zülpich an der Kölner Straße gelandet. Dort haben wir angehalten, erst aus Neugier, weil dort am Rand der Straße überall Menschen standen. Dann sahen wir, wie die Wassermassen immer schneller die Straße überfluteten. Ein Bus trieb auf der Straße, man konnte sehen, dass den etwa 15 Insassen das Wasser schon bis zum Hals stand. Es waren zu großen Teilen ältere Menschen, sie alle sollten eigentlich mit dem Bus in Sicherheit gebracht werden. Feuerwehr und Polizei waren noch nicht vor Ort.
Also bin ich mit einem anderen Helfer, Niklas Roggendorf, Richtung Bus geschwommen, um die Insassen zu befreien. Sascha Schah hat am Rand gewartet und die Menschen, die wir aus dem Bus befreit haben, in Empfang genommen und sich dort um sie gekümmert.
Kurz darauf steuerte noch ein Pick-up in die Fluten. Das Pärchen aus dem Auto konnten wir dann mitsamt ihrem Hund ebenfalls in Sicherheit bringen. Als sich die Situation dann allmählich beruhigt hat und alle Menschen in Sicherheit waren, haben wir das Pärchen in Euskirchen abgesetzt und uns dann einen Weg in Richtung Zülpich gebahnt.
Auch heute sind wir noch in Kontakt mit den Menschen aus dem Bus, zumindest sporadisch sieht man sich bei Helferfesten oder telefoniert mal. Aber das Leben geht ja sofort weiter, jeder hat seine Arbeit. Das ist eigentlich das Schlimme, dass man kaum Zeit hatte, das alles zu verarbeiten.
Ich will mich mit meinen Taten nicht profilieren, aber trotzdem ist es schön, mit der Auszeichnung ein Zeichen der Dankbarkeit zu erhalten. Ich bin sehr stolz auf das, was ich getan habe und würde es immer wieder tun.
Hauptfeldwebel Jennifer Monzel (40) aus Essen
Ich bin durch Zufall, auf dem Weg zu meiner Arbeit, auf der B265 gelandet. Zunächst war auch hier von der Flut nichts zu sehen, aber bei mir hat sich schnell ein ungutes Gefühl breitgemacht. Also bin ich auf die Brücke über der Straße gefahren. Von dort oben habe ich dann gesehen, wie die Wassermassen von der Autobahn aus über die Bundesstraße fluteten.
Die Feuerwehr war schnell vor Ort. Gemeinsam mit den Einsatzkräften habe ich versucht, die Menschen aus ihren Autos zu bergen. Danach musste die Feuerwehr direkt zum nächsten Einsatz weiter. Doch an der Brücke hatten sich viele Menschen gesammelt, die mich nach Rat oder Hilfe fragten. Darunter Schwangere, Alte und Kranke – vermutlich wegen meiner Uniform. Also beschloss ich, die Sache in die Hand zu nehmen. Ich richtete eine Sammelstelle am Ortsschild in Blessem ein, verschaffte mir einen Überblick über die Situation, klopfte an Haustüren und sammelte Informationen der Anwohner, die ich an die Feuerwehr weitergab, sobald sie eingetroffen war.
Auf so eine Situation kann man sich nicht vorbereiten. Aber durch meine Ausbildung fühlte ich mich sicher. Trotzdem kann ich sagen, dass ich definitiv an der Situation gewachsen bin. Insgesamt war ich 26 Stunden auf den Beinen, bevor mich mein Freund abgeholt hat.
Für die Rettungsmedaille hat mich mein Freund nominiert. Das hat mich zuerst total überrascht. Denn natürlich habe ich das nicht getan, um einen Preis zu gewinnen. Aber jetzt, wo ich ihn bekomme, kann ich schon ein bisschen stolz darauf sein, denke ich.