Viele Bürgermeister kennen es gar nicht anders, als jeden Euro zweimal umzudrehen.
Städte- und Gemeindebund warntWarum sich immer mehr NRW-Kommunen verschulden müssen
Zweimal in den vergangenen acht Jahren ist es der Stadt Hückeswagen im Oberbergischen Kreis gelungen, etwas Geld für schlechte Zeiten auf die hohe Kante zu legen. Doch 2023 wird diese sogenannte Ausgleichsrücklage schon wieder aufgezehrt sein.
Für den parteilosen Bürgermeister Dietmar Persian und seine Kämmerin Isabel Bever ist das der traurige Finanzalltag. „Ich kenne es gar nicht anders, als dass wir jeden Euro und früher jede Mark zweimal umgedreht haben“, sagt Persian. „Wir wirtschaften seit Jahren sehr gut, können aber nur einen sehr geringen Teil unseres Haushaltsvolumens beeinflussen.“
Selbst der Bund der Steuerzahler sieht kein Sparpotenzial mehr
Ein sehr großer Teil der Steuereinnahmen seiner Gemeinde gehe als Umlage an den Oberbergischen Kreis und werde zum Teil von dort an den Landschaftsverband Rheinland weitergeleitet.
Selbst der Bund der Steuerzahler habe ihm bescheinigt, dass es keine weiteren Sparpotenziale mehr gebe. Als es mal wieder um ein Haushaltssicherungskonzept ging, „haben wir gemeinsam alle Produktbereiche untersucht“, sagt Persian.
Ein solches Konzept verpflichtet alle Kommunen, deren Ausgaben die Einnahmen übersteigen, konkrete Maßnahmen zu benennen, um innerhalb von zehn Jahren wieder einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können.
Rein theoretisch könne man sich in Hückeswagen von den letzten freiwilligen Leistungen verabschiedet, die die Stadt überhaupt noch bietet: das Schwimmbad, die Bücherei und das Jugendzentrum. „Die Stadt ist ein Lebensraum für Menschen. Da sind Orte für Sport, Bildung und Begegnung unabdingbar.“ Das alles werde schon lange kostengünstig und mit viel ehrenamtlichem Engagement organisiert. „Was wir anrichten, wenn wir diese Einrichtungen schließen, möchte ich mir nicht ausmalen.“
Gemeinden klagen über immer neue Pflichtaufgaben
Hückeswagen ist beileibe kein Einzelfall. Immer mehr Kommunen in Nordrhein-Westfalen schlagen Alarm. Vor allem die kleineren kreisangehörigen Gemeinden klagen über immer neue Pflichtaufgaben, die sie ohne ausreichende Gegenfinanzierung stemmen müssen. Gerät die kommunale Selbstverwaltung, das im Grundgesetz verankerte Recht der Kommunen in Deutschland, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich zu regeln, in Gefahr?
Eine aktuelle Umfrage des Städte- und Gemeindebunds, dem 361 von 396 kreisangehörigen Kommunen in NRW angehören, zeigt einen klaren Trend: Immer mehr kämpfen mit einem defizitären Haushalt und sehen sich gezwungen, auf die Notreserven zurückzugreifen.
„Auch Gemeinden ohne hohen Schuldenstand geraten zunehmend in Schieflage“, sagt Hauptgeschäftsführer Christof Sommer. „Nur noch 22 Prozent der von uns befragten Kommunen konnten einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorweisen, also ihre Ausgaben durch laufende Erträge decken. Im Vorjahr waren es noch doppelt so viele. Damit wird die Ausnahme zum Normalfall. Das kann so nicht richtig sein.“
Christof Sommer: „Wir können so nicht weitermachen“
Der Städte- und Gemeindebund fordert eine grundlegende Reform der Kommunalfinanzen. „Die kommunalen Haushalte sind systematisch unterfinanziert. Sie bekommen vom Land nicht die Mittel, die sie zur Erledigung ihrer Aufgaben brauchen“, sagt Sommer. Für dringend nötige Investitionen in Klimaschutz, Verkehrswende oder Ganztag fehlten die Handlungsspielräume.
„Wir können so nicht weitermachen. Die Rücklagen sind bald aufgebraucht, wenn das Land nicht gegensteuert. 43 Prozent der Kommunen gehen davon aus, dass sie in den kommenden Jahren ihre Ausgleichsrücklage vollständig verbrauchen werden“, sagt Sommer.
Sie ist ein Teil des Eigenkapitals, auf das zurückgegriffen wird, wenn der strukturelle Haushaltsausgleich nur durch die laufenden Einnahmen nicht erreicht werden kann. „In 80 Fällen wird dies aller Voraussicht nach bis Ende des laufenden Jahres der Fall sein.“
Zum Beispiel in Niederkassel. Kämmerin Hilde Schmitz kann eine lange Liste von Gründen anführen, die dazu führen, dass auch sie für das kommende Jahr ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen muss. Die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen werden nicht vollständig erstattet, in der Schulsozialarbeit wurden die Zuschüsse gekürzt, was die Bereitstellung sozialer Unterstützung erschwere.
Auch Niederkassel rutscht in ein Haushaltssicherungskonzept
Beim Finanzausgleich unter den Kommunen sei man grundsätzlich benachteiligt, sagt Schmitz. Die finanziellen Folgen des Ukraine-Kriegs, höhere Energiepreise und die Baupreis-Explosion sowie die allgemeine Inflation würden Niederkassel ab 2026 mit 600.000 Euro pro Jahr zusätzlich belasten.
Bisher sind die Finanzschäden wegen des Kriegs und der Pandemie aus den kommunalen Haushalten ausgelagert. „Buchungstricks, kleinteilige Förderprogramme und Umschichtungen von kommunalen Mitteln werden uns nicht helfen“, sagt Christof Sommer. „Das Land muss anerkennen, dass es die finanzielle Grundausstattung der Kommunen nachhaltig stabilisieren muss.“
Das vorübergehende Auslagern der Kosten für Corona und den Ukraine-Krieg hält Troisdorfs Stadtkämmerer Horst Wende für reine Bilanztrickserei. „Wir verlagern damit nur die Schulden auf spätere Generationen, die sie in den nächsten 40 Jahren abarbeiten müssen.“ Der Stadt sei es 2022 so eben noch gelungen, die Rücklage nicht antasten zu müssen, „weil wir deutlich mehr Gewerbesteuer als geplant kassiert haben“.
Dennoch kämen deutlich höhere Kosten auf die Stadt zu, „die sich nur mit höheren Steuereinnahmen bewältigen lassen“. Die Schulen müssten für die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren umgebaut werden, die Tarifsteigerungen beim Personal und die Flüchtlingskosten seien weitere Treiber. Von der geplanten Altschulden-Regelung des Landes für Kommunen, deren Schuldenlast pro Einwohner die 100 Euro-Grenze überschreite, werde Troisdorf nicht profitieren.
„Im Gegenteil. Wir werden weniger Geld über den Finanzausgleich bekommen, nur weil wir gut gewirtschaftet haben“, sagt Wende. „Eine Stadt wie Wuppertal, die Schulden im Milliardenbereich angehäuft hat, weil sie jahrzehntelang über ihre Verhältnisse gelebt hat, profitiert jetzt auch noch davon. Die geplante Altschuldenregelung der Landesregierung ist nicht fair.“