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Kriminell im AlterAnton H. ist Rentner und genießt in der JVA besondere Privilegien

Lesezeit 6 Minuten
Häftling Anton H.,im Garten der JVA Rheinbach

Häftling Anton H.,im Garten der JVA Rheinbach. Mit den Tomaten belegt er Pizza.

In NRW gibt es 174 Haftplätze für Senioren. Der Strafvollzug ist für betagte Kriminelle deutlich angenehmer. Ein Besuch im Gefängnis.

Anton H. steht im Gemüsegarten und sieht nach den Stauden. „Wenn die Tomaten reif sind, nehmen wir die Ernte mit nach oben in die Küche. Die schmecken köstlich als Pizza-Belag“, sagt der 62-Jährige und schmunzelt. Neben dem Beet steht ein überdachter Pavillon. Bei gutem Wetter treffen sich die Männer dort, um Skat zu spielen.

Das kleine Idyll befindet sich nicht in einer Kleingartenanlage. Anton ist Häftling in der JVA Rheinbach. Der Garten wird von den Gefangenen im Block 4 gepflegt. Dort ist die Station untergebracht, die im Gefängnisjargon „LEA“ heißt. Das ist die Abkürzung der „Abteilung für Lebensältere“ – dort verbüßen Senioren ihre Strafe, denen man die harten Bedingungen im normalen Vollzug ersparen will. Wie lebt es sich dort? Ein Team des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat die Station an einem Freitagnachmittag besucht.

Rangeleien, Streit und körperliche Auseinandersetzung gehören oft zum Alltag in den Gefängnissen von NRW. Immer wieder kommt es zu Übergriffen, die Bediensteten müssen auf der Hut sei. Der Umgangston unter den Gefangenen ist rau. „Viele Häftlinge schreien nach dem Einschluss aus dem Fenster, weil sie sich noch unterhalten wollen“, sagt Anton H. Im Block 4 haben die Älteren ihre Ruhe: „Das genießen alle sehr.“

Bedarf für Senioren-Vollzug steigt an

In den Gefängnissen von NRW gibt es im März 2023 rund 13.700 Inhaftierte. Eigentlich sollen Senioren grundsätzlich zusammen mit jüngeren Gefangenen untergebracht werden. In den Justizvollzugsanstalten Attendorn, Bielefeld-Senne, Castrop-Rauxel, Detmold, Moers-Kapellen und Rheinbach gibt es allerdings insgesamt 174 Plätze für Gefangene, die im Normalvollzug an den Rand gedrängt würden. „Ich gehe davon aus, dass der Bedarf an Haftplätzen für ältere Gefangene schon allein wegen des demografischen Wandels zunehmen wird“, sagt Renate Gaddum, die die JVA Rheinbach seit 2019 leitet. Dort sind 16 Haftplätze für lebensältere Häftlinge vorgesehen. Zwei Gefangene verbüßen eine lebenslange Strafe.

27.10.2023
Köln:
Reportage aus der JVA Rheinbach: Wie leben betagte Häftlinge in NRW-Gefängnissen. 
Abteilung für lebensältere Inhaftierte
Renate Gaddun, Anstaltsleiterin
Foto: Martina Goyert

Renate Gaddum leitet die JVA Rheinbach.

Der hübsche Garten der Senioren grenzt unmittelbar an den Pausenhof der normalen Häftlinge. „Die Lebensälteren wissen ihre Privilegien zu schätzen“, sagt die Sozialarbeiterin Natascha Kremer. Manche Gefangenen hätten eine Aufgabe darin gefunden, die Beete zu pflegen. Die Ernte werde dann bei gemeinsamen Mahlzeiten verzehrt. „Es gibt Häftlinge, die hier den Spaß am Kochen entdeckt haben“, berichtet Kremer und lächelt.

27.10.2023
Köln:
Reportage aus der JVA Rheinbach: Wie leben betagte Häftlinge in NRW-Gefängnissen. 
Abteilung für lebensältere Inhaftierte
Natascha Kremer, Sozialarbeiterin
Foto: Martina Goyert

Natascha Kremer ist Sozialarbeiterin und sagt: „Die Lebensälteren wissen ihre Privilegien zu schätzen“.

Wie in der gesamten JVA beginnt auch in der Seniorenabteilung der Tag mit der ersten Zellenkontrolle um 5.50 Uhr. Im Gegensatz zum normalen Vollzug sind die Zellentüren in der „LEA“ von morgens bis abends geöffnet. Es gibt einen Gemeinschaftsraum, in dem ein Kicker und eine Tischtennisplatte stehen. Es gibt einen Rechner, an dem man sich die Zeit mit Computerspielen vertreiben kann.

Auf der Station ist der älteste Häftling derzeit 82 Jahre alt. Einige sind gebrechlich, es fällt ihnen schwer, sich selber anzuziehen. In den Duschen gibt es Handbrausen, um die Körperpflege zu erleichtern. Für die Senioren gibt es gezielte Unterstützungsangebote. „Die Perspektive, einen langen Teil der verbleibenden Lebenszeit im Gefängnis zu verbringen, ist natürlich bedrückend“, sagt Natascha Kremer. Viele ältere Häftlinge würden sich um ihre Gesundheit sorgen oder hätten Angst vor dem Tod. „Falls nötig, werden die Häftlinge psychologisch betreut. Es gibt auch das Angebot des kognitiven Trainings, um das Gedächtnis zu trainieren“, so die Sozialarbeiterin.

Kuschelvollzug für Senioren?

In NRW wird das Justizministerium von dem Grünen Benjamin Limbach geleitet. Sein Haus hält die 174 Seniorenplätze in NRW-Vollzug für „bedarfsgerecht“. „Gleichwohl wird der Bedarf an weiteren Plätzen immer wieder geprüft“, so eine Sprecherin. Wenn Häftlinge pflegebedürftig würden, könnten sie in der JVA Hövelhof unterbracht werden. Dort gibt es eine spezielle Pflegeabteilung.

27.10.2023
Köln:
Reportage aus der JVA Rheinbach: Wie leben betagte Häftlinge in NRW-Gefängnissen. 
Abteilung für lebensältere Inhaftierte
Anton H., Häftling
Foto: Martina Goyert

Anton H. in der Anstaltsküche.

Der Umgang mit betagten Senioren in den Haftanstalten von NRW wird im Landtag kontrovers diskutiert. Ist die privilegierte Behandlung ein „Kuschelvollzug“? Hat die Justiz nicht wichtigere Probleme? Gregor Golland, Vize-Fraktionschef der CDU, sieht die Schaffung zusätzlicher Plätze für die Spezialabteilungen kritisch. „Durch einen höheren Personal- und Sachaufwand für ältere Gefangene ist eine Ausweitung schwierig“, betont der Politiker aus dem Rhein-Erft-Kreis. Sonja Bongers ist die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Sie gibt zu bedenken, dass sich mit steigendem Alter auch die Anforderungen an die Haftunterbringung ändern würden. Die „bei einer menschenwürdigen Unterbringung mehr Berücksichtigung finden müssen“, so die Politikerin aus Oberhausen. „Die Zahl der Plätze muss daher landesweit erhöht werden“, fordert Bongers.

Die Senioren haben einen stark strukturierten Tagesablauf

In der JVA Rheinbach haben auch die Senioren einen stark strukturierten Tagesablauf. Daher arbeiten einige Gefangene der Station „LEA“, obwohl sie Rentner sind und somit nicht mehr der Arbeitspflicht unterliegen. Offene Konflikte sind im Block 4 selten. Sollte ein Gefangener sich nicht sozialverträglich verhalten, muss er seinen Platz räumen – das wollen nur wenige riskieren.

Laut Landesregierung ist die Zahl der älteren Häftlinge in NRW in den vergangenen Jahren leicht angestiegen. 2019 waren 4,2 Prozent der Gefangenen älter als 60 Jahre, 2023 sind es 4,9 Prozent. Perspektivisch dürfte sich der Anteil aber deutlich erhöhen. Die FDP setzt sich daher dafür ein, dass künftig mehr Senioren dezentral untergebracht werden können. „Lebensältere Gefangene sollten nicht zu weit von ihrem ursprünglichen Umfeld entfernt werden“, sagt Werner Pfeil, rechtspolitischer Sprecher der Liberalen. So könnten Besuche ohne lange Anfahrtswege leichter ermöglicht werden.

Besuch ist zweimal im Monat erlaubt

Der Kontakt mit der Familie ist für die Senioren besonders wichtig. „Ich bin seit einem Jahr hier und hoffe, in drei bis vier Jahren vorzeitig entlassen zu werden“, erzählt Anton H. Er stamme aus Hessen und habe das Glück, von seiner Frau und seiner Familie unterstützt zu werden. Zweimal im Monat darf ihn seine Frau für eine Stunde besuchen. „Viele andere haben keinen Kontakt zu ihren Angehörigen. Die wissen gar nicht, was aus ihnen nach der Haft werden soll.“

27.10.2023
Köln:
Reportage aus der JVA Rheinbach: Wie leben betagte Häftlinge in NRW-Gefängnissen. 
Abteilung für lebensältere Inhaftierte
Anton H., Häftling in seiner offenen Zelle
Foto: Martina Goyert

Anton H. spielt Gitarre. Über seine Tat möchte er nicht sprechen.

Anton H. ist in Zelle 33 am Ende des Flurs untergebracht. Über seine Tat will er nicht sprechen. Er habe mit Bewährung gerechnet, aber der Richter habe ihn ins Gefängnis geschickt. Das sei ein Schock für ihn gewesen. Über dem schmalen Bett kleben Fotos, an der Wand hängt eine Akustikgitarre.

Für die Senioren ist die Station ihr Zuhause. Viele bemühen sich darum, sich das Leben hinter Gittern so wohnlich wie möglich zu machen. Im Flur stehen Pflanzen im Blumenkübel. „Das wäre anderswo undenkbar, weil dort Drogen versteckt werden könnten. Die Gefahr besteht bei uns nicht. Von den Alten ist keiner rauschgiftsüchtig“, sagt Anton H.

In der JVA Rheinbach sind insgesamt 613 Gefangene inhaftiert. Unter den normalen Häftlingen gibt es nicht wenige, die neidisch auf die Privilegien der Alten sind. Anton H. kann das gut nachvollziehen: „Vollzug ist immer hart. Die Zeit vergeht oft nur ganz langsam. Man kann nicht tagein und tagaus immer nur fernsehen oder lesen.“ Deshalb sei die Geselligkeit besonders wichtig. „Wir leben in einer Männer-WG. Klar, man kann sich die Mitbewohner nicht aussuchen, und es ist auch oft schwierig. Alle habe ihre Probleme, manchmal muss man auch mal Dampf ablassen.“

Viele schimpften zwar den ganzen Tag über die Haft, aber in Wahrheit fühlten sie sich nicht unwohl, glaubt der Gefangene. „Ich war früher Altenpfleger“, sagt Anton H. zum Abschied. „Es gibt leider Einrichtungen, in denen es den Bewohnern nicht viel besser geht.“