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„Karim braucht einfach nur eine neue Chance“Die Liebe zum Serienmörder startete in der JVA Siegburg

Lesezeit 10 Minuten
Eine Illustration zeigt eine Frau und einen Mann, die Gitterstäbe voneinander trennen.

Verliebt in einen Mann, der Frauen umgebracht hat - eine Frau klagt derzeit gegen ein Besuchsverbot bei ihrem Verlobten in der JVA Siegburg.

Ira Benzing hat sich in einen Mann verliebt, der schon zwei Frauen getötet hat. Sie will ihn heiraten – und klagt.

Als Ira Benzing (Name geändert) im Internet die Vergangenheit ihrer neuen großen Liebe erforscht, finden sich bald Treffer: „Der Würger von Berlin steht wieder vor Gericht“, titelt ein Boulevard-Blatt. Hektisch sucht die 47-jährige Angestellte weiter. Und mit jedem Klick gerät ihre Ahnung zur furchtbaren Gewissheit. Der Mann, den sie begehrt. Der Mann, mit dem sie unlängst erst in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Siegburg zärtlich Händchen gehalten hat, ohne über seine Taten Bescheid zu wissen. Jener Karim Burani (Name geändert) hat zwei Frauen getötet. Bei der Lektüre der Schlagzeilen bekommt sie Angst: Was, wenn ihr neuer Schwarm mit ihr ähnlich verfahren würde? „Aber nein“, wischt sie den Gedanken beiseite.

Der Angeklagte Fadi A. am 28.11.2014 vor dem Landgericht Bielefeld. Er wurde als „Würger von Berlin“ bezeichnet. Hier ist er mit seinem Anwalt Dr. Carsten Ernst  abgebildet. Foto: Andreas Zobe / Freier Fotograf - Jede Nutzung des Fotos ist honorarpflichtig.

Der als „Würger von Berlin“ bekannt gewordene Angeklagte im Jahr 2014 vor dem Landgericht Bielefeld.

Vielmehr drängen sich die Szenen vom Besuch in der JVA in ihr Bewusstsein. Seine dunklen Augen, das warme Lächeln, die offenen Worte, das tolle Aussehen, ein Gespräch voller Empathie. „Mensch, was tun ?“ Wie soll sie reagieren? Den Kontakt einfach abbrechen oder dem Mörder eine Chance gewähren, um ihn näher kennen zu lernen? Vielleicht steckt trotz allem ein guter Kern ihn ihm, den man freilegen müsste. Letztlich entscheidet sich Ira Benzing für Karim Burani. Die beiden schmieden bei Besuchen Heiratspläne. Via Telefon verlobt sich das Paar: Hier der Langzeithäftling, dort die Mutter von fünf Kindern, die bereits drei Mal geschieden ist.

Liaison erschwere selbstkritische Auseinandersetzung des Häftlings mit seiner Tat

Die JVA-Leitung betrachtet die Liaison skeptisch. Ende April 2022 hat man ein Kontaktverbot erteilt. So zweifelt die Haftanstalt an, dass es je ein Verlöbnis gegeben habe. Ferner fehle es Burani an einer „kritischen Auseinandersetzung mit seiner Person und seiner Tat.“ Die Gefängnisspitze befürchtet, dass die neue Partnerin das „verzerrte Selbstbild eines ungefährlichen, liebevollen Mannes stützt“. Dies aber erschwere die selbstkritische Auseinandersetzung des Häftlings „mit eigenen problematischen Anteilen“ an den Taten, „und blockiert somit den weiteren Behandlungsprozess“.

Ira Benzing schnaubt verärgert: „Das ist doch Unfug, ich mache Karim stets klar, dass er der Täter war und nicht das Opfer.“ Mit ihrem Anwalt Burkhard Benecken klagt sie sich derzeit durch die Instanzen, um das Besuchsverbot aufzuheben. Inzwischen liegt der Fall beim Oberlandesgericht Hamm. „Natürlich hat es das Verlöbnis gegeben. Es kann doch nicht sein, dass die Gefängnisleitung einfach mal nach Gutdünken sich als Herrin über Liebe und Emotionen aufspielen darf“, erklärt der Strafverteidiger.

„Gerade Langzeithäftlinge brauchen Außenkontakte nebst Perspektiven hin zu einem neuen Lebensstart. Wenn man den Resozialisierungsgedanken des Strafvollzuges auch nur ein bisschen ernst nimmt, kann man über das Vorgehen der JVA nur den Kopf schütteln.“ Ira Benzing pflichtet ihm bei: „Ich möchte Besuchskontakt haben, damit ich Karim besser kennen lerne, um dann zu prüfen, ob es zwischen uns passen würde. Und ob ich auch mit seinen Taten weiter umgehen könnte.“

Das Phänomen Gefängnisliebe ist nicht neu. Bei manchen Frauen löst die Bekanntschaft mit einem Schwerverbrecher einen ganz besonderen Reiz des Bösen aus. Je prominenter die Tat, desto größer fällt das weibliche Interesse am Täter aus. „Während seines Prozesses hat der norwegische Massenmörder Anders Breivik beinahe an jedem Hauptverhandlungstag bis zu 70 Heiratsanträge erhalten“, weiß Christian Lüdke. Der Kriminalpsychologe spricht von dem Krankheitsbild der „Hybristophilie“, auch Bonnie-and-Clyde-Syndrom genannt. Obschon Bonnie Parker und Clyde Barrow zu Beginn der 30er Jahre im Mittelwesten der USA 14 Morde überwiegend an Polizisten begingen, feierten Teile der Bevölkerung das Gangsterpaar als Robin Hood-Ausgabe. Laut Lüdke entwickeln insbesondere Frauen zuweilen Sympathien für Gewaltverbrecher.

Anders Behring Breivik sitzt bewacht im Gefängnis.Er trägt einen dunklen Anzug und eine hellblaue Krawatte.

Anders Breivik hat vor zwölf Jahren 77 Menschen umgebracht.

Der Experte stützt sich auf eigene Recherchen und Erfahrungswerte, da belastbare Zahlen fehlen. In seinem Buch „Profil des Bösen“ spricht Lüdke vom so genannten „Amiga-Phänomen“. Eine Abkürzung für den Satz: „Aber meiner ist ganz anders.“ Aus Sicht des promovierten Psychologen entwickeln Frauen den Wunsch, den Gefangenen zu kontrollieren. „Sie glauben, die einzigen zu sein, die verstehen, was mit dem Straftäter geschehen ist, in ihren Augen ist er meist unschuldig.

Ira Benzing hat keine Zweifel daran, dass ihr neuer Partner die Taten begangen hat. „Zuerst beschlich mich eine Todesangst, als ich die Zeitungsberichte über ihn las“, bekundet die Frau gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Totschläger verfällt auch in der neuen Beziehung in alte Muster

Buranis kriminelle Biografie beginnt im Jahr 1998. Der staatenlose Palästinenser aus dem Libanon tötet in Berlin-Lichterfelde seine schwangere Freundin, als sie sich von ihm trennen will. In blanker Wut erwürgt er die Frau, aus Scham legt er eine Decke über sein Opfer. Das Gericht erkennt auf Totschlag.

Hinter Gittern lernt Burani eine andere Frau kennen. Neue Liebe, neues Glück, neue Heirat. Wieder einmal verfällt er in alte Gewalt-Muster, als man sich zu streiten beginnt. Aus dem Knast heraus bedroht er seine Lebensgefährtin und deren Tochter telefonisch mit dem Tod. Das Ehe-Aus lässt nicht lange auf sich warten.

Im Jahr 2010 kommt Burani wieder frei. Als die Behörden ihn in den Libanon abschieben wollen, taucht er unter. Übers Internet lernt der abgelehnte Asylbewerber in Bielefeld Rajah S. kennen. Die Endzwanzigerin weiß nichts von seiner dunklen Vergangenheit. Dann aber gerät Burani mit dem Wagen seiner Geliebten in eine Verkehrskontrolle. Aus Furcht vor einer Festnahme, flüchtet der Palästinenser. Die Beamten suchen die Fahrzeughalterin auf und offenbaren ihr die kriminelle Karriere des Freundes. Die Partnerin reagiert fassungslos. So schnell wie möglich will sie die Beziehung beenden. Dieser Entschluss ist ihr Todesurteil. Erneut erwürgt Karim Burani sein Opfer in unbändigem Zorn.

Frauen versuchen mit der Beziehung zu einem Straftäter ihr Selbstwertgefühl zu erhöhen

Im März 2015 verhängt die zweite Große Strafkammer in Bielefeld 13 Jahre Gefängnis inklusive nachfolgender Sicherungsverwahrung. Das heißt: Sollte Burani sich nicht glaubhaft seinen Verbrechen stellen, sich als Täter und nicht als Opfer widriger Umstände ansehen, käme er auf Grund negativer psychiatrischer Prognosen nicht mehr frei. Im Urteil konstatieren die Richter „eine erhebliche Gefahr schwerer Gewaltdelikte, aufgrund derer der Angeklagte für die Allgemeinheit (…) gefährlich ist.“ Insbesondere bei partnerschaftlichen Konfliktsituationen. Vor dem Hintergrund drohen „künftigen Intimpartnerinnen (…) schwere körperliche Schäden bis hin zum Tod“.

Ira Benzing glaubt nicht an die düstere Prognose. „Karim braucht einfach nur eine neue Chance.“ Die Frau ist sich sicher, dass er ihr nichts tun werde.

Kriminalpsychologe Lüdke kennt diese Sätze zu Genüge. „Viele dieser Frauen suchen sich kein normales Liebesglück, sondern etwas anderes, etwas Skandalöses, die Partnerschaft zu einem Mörder. Damit erhöhen sie ihr Selbstwertgefühl.“ Lüdke nennt es die „Faszination des Abscheulichen. Die Gewalttäter ziehen diese weibliche Klientel an.“ Häufig fühlten sich die Frauen nicht von ihrem Umfeld geliebt. „Und nun kehren sie den Spieß um, konfrontieren ihre Familie oder ihre Freunde damit, dass sie mit einem hochgradigen Verbrecher zusammen sind. Damit polarisiert man und erhält jene Aufmerksamkeit, die vorher nicht gegeben war.“

„Der eine oder andere drohte mit Beziehungsabbruch, aber ich habe mich trotzdem für Karim entschieden“

Als Ira Benzing der Familie ihr Gefängnis-Verhältnis beichtet, erntet sie Vorwürfe. „Die haben alle Angst um mich gehabt, aber die wissen auch, dass ich ein Dickkopf bin. Ich mache ohnehin das, was ich möchte“, betont die Hamburgerin. Auch wenn die Kinder gegen die Hochzeitsplänen votieren, hält Benzing an ihrem Vorhaben fest. „Der eine oder andere hat mir die Pistole auf die Brust gesetzt, die Beziehung zu beenden, aber ich habe mich trotzdem für Karim entschieden.“

Nie wird sie den Moment auf dem Schrottplatz eines Autohändlers vor elf Jahren vergessen, als sie Karim Burani zum ersten Mal sah. „Schon damals spürte ich Schmetterlinge im Bauch. Kein Zweifel, er ist es einfach.“

Seinerzeit ist Ira Benzing noch verheiratet. Der Kontakt zu Burani verliert sich. Nach der Scheidung aber erfährt sie über einen Cousin des Mörders, dass er in Haft sitzt. Zunächst kennt sie die Gründe nicht. Beim ersten Besuch in der JVA verliebt sie sich in ihn. „Der Moment war genau der Gleiche wie damals, er stand da und lächelte mich warm an.“ Seither träumt Ira Benzing von einem Leben zu zweit – wenn auch der Partner womöglich lebenslang im Gefängnis bleiben wird.

Webseite vermittelt Brieffreundschaften zu Inhaftierten

Die Geschichte von Ira Benzing ist kein Einzelfall. Seit Jahren bieten sich online etliche Möglichkeiten, eine Beziehung zu Schwerverbrechern aufzubauen. Viele Langzeitinsassen knüpfen beispielsweise über die digitale Kontaktbörse jailmail eine neue Verbindung. So etwa auch der sogenannte Internet-Mörder Christian G. „Irgendwann habe ich Jailmail für mich entdeckt“, erzählt der gebürtige Hamburger. „Webmistress Erna“ vermittelt seit 2005 über ihre Plattform Brieffreundschaften zu Inhaftierten – je nach Wunsch zu Mann oder Frau. Eingangs hat die Administratorin allerdings einen Warnhinweis für Interessenten eingestellt: „Auf den folgenden Seiten inserieren Strafgefangene Menschen zur Suche nach Brieffreunden. Da Jailmail nicht nach Straftaten selektiert, können sich darunter auch Inserenten mit sehr schweren Straftaten befinden. Also auch mit Taten wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Geiselnahme, Kindesmissbrauch, Körperverletzung etc.“ Wer das verstörend finde, solle die Homepage wieder verlassen.

Christian G. sitzt seit 13 Jahren hinter Gittern, die meiste Zeit in der Haftanstalt in Hamburg-Fuhlsbüttel, besser bekannt unter dem Kürzel „Santa Fu“. Die Boulevardpresse hat ihn seinerzeit den „Chatroom-Mörder“ genannt. Über den Dating-Bazar „knuddels.de“ nahm er Kontakt zu Frauen auf. Vielen Frauen. Zeitweilig unterhielt er neben seiner jeweiligen Freundin hundert Flirt-Chats gleichzeitig. Für ihn war das Liebes-Daddeln am PC ein Hype, eine Bestätigung seines labilen Egos. Denn nur im virtuellen Orbit hat er die verschattete Seite seiner Seele ausgelebt: Die stete Jagd nach neuen sexuellen Abenteuern, um sich selbst zu überhöhen. Im Netz ist er nicht der einfache Gelegenheitsarbeiter, der nie Geld hat. So sehr G. in der realen Welt versagt, so sehr feiert er im Online-Dating Erfolge. Gekonnt arrangiert er Rendezvous, gaukelt seinen Bekanntschaften traute Zweisamkeit vor, um dann nach kurzer Zeit erneut im Netz Nachschub für seine Bedürfnisse zu suchen. Im Jahr 2008 tötet er zwei Frauen und wird zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

Im Laufe der Zeit sucht der Mörder per Kontaktanzeigen via Jailmail-Plattform Briefkontakte zu Frauen. Die Resonanz ist groß. Nach einiger Zeit werden manche Verbindungen intimer, mitunter münden sie in amouröse Beziehungen.

Kindermörder tötete in Remscheid seine Freundin, weil sie sich trennen wollte

Beziehungen in Gefängnissen steht vor großen bürokratischen Hürden. Sex in Liebeszellen muss wochenlang vorher beantragt werden. Meist scheitern solche Romanzen, unter anderem, weil die Frauen nach einer Weile einen Lebensgefährten außerhalb des Gefängnisses finden.

Der Langzeitbesuchsraum der Justizvollzugsanstalt (JVA) Geldern aufgenommen am 14.10.2016 in Geldern.

Sex in Liebeszellen muss wochenlang vorher beantragt werden. Zum Beispiel hier im Langzeitbesuchsraum der Justizvollzugsanstalt (JVA) Geldern.

Manchmal endet die Liaison aber auch tödlich: Im April 2010 beendet ein 50-jähriger Kindermörder in der Liebeszelle der JVA Remscheid das Verhältnis zu seiner vier Jahre jüngeren Freundin in brutaler Manier. Zweimal im Monat verbringt das Paar mehrere Stunden unbeobachtet im „Langzeitbesucherraum“. Über eine Brieffreundschaft haben sich beide näher kennen und lieben gelernt. Dass er ein kleines Mädchen vergewaltigt und ermordet hat, macht der Verkäuferin und Mutter eines Kindes nichts aus.

An jenem Sonntag öffnen die Vollzugsbeamten die Zellentür. Eine entsetzliche Szene stellt sich ihnen dar: Blutüberströmt und nackt liegt die 46-jährige Besucherin auf dem Boden, neben ihr zwei Messer und ein Radmutterschlüssel. Der Täter sitzt zusammengesunken auf einer Couch mit aufgeschnittenen Pulsadern. Er überlebt. In der Zelle findet sich eine Notiz. Der Zettel bekundet, dass die Frau sich von ihrem Partner trennen wollte. Fünf Monate später erhängt er sich in der Justizvollzugsanstalt Werl.

Der Fall Peter Madsen

Vor einigen Jahren beherrschte der Däne Peter Madsen weltweit die Schlagzeilen, weil er eine schwedische Journalistin an Bord seines selbstgebauten U-Boots gefoltert und ermordet hatte. Ein Jahr nach seiner Verurteilung sorgte der Gewalttäter erneut für Aufsehen. Denn noch in Haft fand er eine neue Liebe und heiratete eine russische Aktivistin und Künstlerin, die in Finnland lebt. Die Vermählung verkündete Madsen stolz via Facebook.

Der dänische Ingenieur Peter Madsen vor seinem U-Boot, der «Nautilus".

Der wegen Mordes verurteilte dänische U-Boot-Bauer Peter Madsen neun Jahre vor der Tat vor seinem U-Boot Nautilus, in der er eine Journalistin getötet hat.

Der U-Boot-Mörder scheint über einen ganz besonderen Charme zu verfügen. Er soll seit seinem Haftantritt schon mehrere Beziehungen geknüpft haben. Seine neue Frau zumindest hob ihren Gatten über die sozialen Netzwerke in den Olymp: „Mein Mann hat ein schreckliches Verbrechen begangen und wird dafür bestraft. Aber da ich ihn wirklich kenne, habe ich das Exklusivrecht zu sagen, dass ich das Glück habe, mit der schönsten, klügsten, talentiertesten, hingebungsvollsten und einfühlsamsten Person und dem besten Mann aller Zeiten zusammen zu sein.“

Kriminalpsychologe Lüdke rückt diese Äußerungen an den Rand eines „Wahns, einer falschen Wahrnehmung der Realität“. Solche Beziehungskonstellationen entsprechen nach seinen Angaben einem Krankheitsbild, das die Franzosen mit dem Begriff „Folie à deux“ (Geistesstörung zu zweit) versehen. Heißt: Einer leidet unter einem psychischen Defekt, mit dem er seinen normalen Partner infiziert. Nach Ansicht von Lüdke wurde „die junge Künstlerin im Fall Madsen durch einen manipulativen Soziopathen mit in den Sumpf gezogen“.