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Interview

KI bei Wettervorhersagen
„Es wird nie eine absolute Sicherheit geben, ob es trocken bleibt oder nicht“

Lesezeit 6 Minuten
Der Privatdozent Kölner Martin Schultz ist Experte für den Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Wettervorhersage.

Der Kölner Martin Schultz ist Experte für den Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Wettervorhersage.

Klassische Wetter-Prognosen sind oft ungenau. Gehören unangenehme Überraschungen dank KI bald der Vergangenheit an?

Martin Schultz ist Leiter der Forschungsgruppe Erdsystemdatenexploration am Forschungszentrum Jülich. Der Wissenschaftler aus Köln untersucht, wie Wettervorhersagen durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) präziser gemacht werden können.

Viele Menschen orientieren sich am Wetterradar, wenn sie ihre Freizeit planen. Kann KI künftig präziser vorhersagen, ob ein Grillfest ins Wasser fällt oder nicht?

Ja, und das erleben wir jetzt schon. Was wir in den Apps als Wetterradar-Vorhersagen sehen, wird zum Teil bereits mit KI-Modellen erzeugt. Der Wetterradar ist ja ein Messinstrument, das nicht in die Zukunft schauen kann. Bisher haben die App-Entwickler dann klassische statistische Verfahren verwendet, um die Wolkenbilder und Niederschlagsmuster für wenige Stunden in die Zukunft zu projizieren. KI-Modelle können das besser, weil sie komplexe Muster besser erkennen und vorhersagen können. Trotzdem wird es nie eine absolute Sicherheit geben, ob es trocken bleibt oder nicht. Das hängt von der jeweiligen Wetterlage ab. Es gibt halt Situationen, in denen man das besser sagen kann – beispielsweise während einer stabilen Hochdruckwetterlage – und andere, wenn es sehr unbeständig ist. Dann wird es auch mit KI-Modellen passieren, dass man vom Regen überrascht wird.

Was kann die KI besser als konventionelle Vorhersagen?

Der große Vorteil der KI-Modelle ist, dass sie eine Art Gedächtnis für vergangene Wettergeschehen besitzen. Das hilft ihnen, einige Wetterumschwünge deutlich früher zu erkennen als klassische Modelle. Das führt dann zum Beispiel auch zu präziseren Vorhersagen über die Entwicklung von Hurrikanen.

Da wir nie genug Messungen haben werden, um alle Wetterphänomene im Detail bestimmen zu können, machen die klassischen Modelle dann bei bestimmten Bedingungen immer wieder dieselben Fehler
Professor Martin Schultz

Warum ist es wichtig, dass sich die KI sich an Wetterlagen in der Vergangenheit „erinnert“?

Klassische Modelle tun dies nicht, das bedeutet, sie machen ihre Vorhersagen alleine aufgrund von vorgegebenen Anfangsbedingungen – die werden aus ganz vielen Messdaten gewonnen – und bekannten physikalischen Gleichungen. Da wir aber nie genug Messungen haben werden, um alle Wetterphänomene im Detail bestimmen zu können, machen die klassischen Modelle dann bei bestimmten Bedingungen immer wieder dieselben Fehler. Die KI-Modelle werden hingegen anhand von 40 Jahren Wetterbeobachtungen trainiert und können deshalb lernen, wie sich das Wetter tatsächlich entwickelt, wenn zum Beispiel wie vor wenigen Tagen ein Zwischenhoch mal ein bisschen Sonne nach Deutschland bringt.

Wiederholen sich Wetterlagen – zum Beispiel durch topografische Gegebenheiten?

Ja. Es gibt im Wettergeschehen immer wiederkehrende Muster. Das sieht zwar nie genau gleich aus, aber gewisse typische Entwicklungen lassen sich eben aus den Beobachtungen aus der Vergangenheit ableiten. Gerade bei Regen, Schnee und Wind spielen Berge und Täler eine große Rolle. Wer richtig im Gebirge wohnt, der kennt auch das Phänomen von Hang- und Talwinden. Das bedeutet, dass tagsüber die warme Luft vom Tal entlang der Bergflanken in die Höhe strömt und nachts umgekehrt kalte Luft von den Berghöhen ins Tal. An der Küste gibt es ähnliche Muster mit Land- und Seewinden. Und Meteorologen sind auch von anderen topografischen Einflüssen ganz begeistert. So kann man manchmal im Windschatten von Inseln schöne Wellenmuster beobachten – und neuerdings auch simulieren.

Wie oft werden Wettermodelle heute aktualisiert – und wie häufig können KI-Vorhersagen neu berechnet werden?

Die Wetterzentren starten mehrere Vorhersagen pro Tag. Dabei gibt es verschiedene Arten der Wettervorhersage, die unterschiedlich aufwendig zu rechnen sind und unterschiedlich häufig gestartet werden. Die „großen“ Simulationen werden meist global gerechnet und für bis zu zehn Tage in die Zukunft. Daneben gibt es dann mehrtägige Vorhersagen für Europa oder auch nur für Deutschland, die mit besserer Auflösung gerechnet werden. Diese werden zum Beispiel alle drei Stunden gestartet. Und schließlich gibt es Kurzfrist-Vorhersagen – bis maximal eine Stunde –, die zum Beispiel von Flughäfen verwendet werden. Die werden typischerweise jede Stunde gerechnet. KI-Modelle sind etwa zehn- bis hundertmal schneller als klassische Modelle und brauchen sehr viel weniger Rechenleistung. Daher kann man sie, wenn man möchte, durchaus im Minutentakt rechnen. Das ist vielleicht nicht so sinnvoll, aber Zyklen von zehn bis 15 Minuten können durchaus einen Unterschied machen, wenn es zum Beispiel um letzte Anpassungsmaßnahmen bei Starkregen oder Sturm gehen soll.

Bis vor kurzem haben die meisten Meteorologen es nicht für möglich gehalten, dass KI-Modelle tatsächlich besser funktionieren könnten als die klassischen Modelle
Professor Martin Schultz

Ist die KI der konventionellen Vorhersage in allen Bereichen überlegen – oder haben die alten Prognosen bei der Vorhersage bestimmter Wetterlagen die Nase vorn?

KI-Modelle haben schon auch noch Schwächen und das ist auch noch Gegenstand der Forschung. Bislang wurden die KI-Modelle nur mit relativ grob aufgelösten Daten trainiert, und da können die besten klassischen Modelle manche Extremereignisse einfach noch besser auflösen. Man sieht auch bei manchen Wetterlagen, dass sich die KI-Modelle anders irren als die klassischen Modelle. Das kann zum Beispiel heißen, dass eine Kaltfront im klassischen Modell in zwei Tagen erwartet wird, das KI-Modell sagt sie in vier Tagen voraus und tatsächlich kommt sie nach drei Tagen.

Ist die etablierte Meteorologie offen für den Einsatz für KI, wird sie zum Teil schon eingesetzt?

Da hat tatsächlich in den letzten zwei oder drei Jahren ein erhebliches Umdenken stattgefunden. Bis vor kurzem haben die meisten Meteorologen es nicht für möglich gehalten, dass KI-Modelle tatsächlich besser funktionieren könnten als die klassischen Modelle, die immerhin über 40 Jahre entwickelt wurden und immer weiter verbessert. Mittlerweile ist das aber angekommen und fast alle Wetterdienste entwickeln selbst KI-Modelle und setzen sie zum Teil schon ein, wenngleich das bisher immer noch im Testbetrieb stattfindet. Schließlich muss man sich auf die Modelle verlassen können und will deshalb erst noch mehr Erfahrungen damit sammeln. Das Hauptproblem sind hier wieder die Extremereignisse, die es eben ziemlich selten gibt, auf die es aber besonders ankommt. Da braucht man einfach noch mehr Fälle, anhand derer man beurteilen kann, ob die KI-Modelle genauso gut oder besser funktionieren.

Wann sind Sie darauf gekommen, sich mit dem Einsatz von KI bei der Wettervorhersage zu beschäftigen? Haben Sie eine besondere Affinität zum Thema Wetter?

Bei mir war es eigentlich eher die Faszination von Computern und KI, die den Ausschlag gegeben hat. In meiner Forschung habe ich mich lange mit Atmosphärenchemie beschäftigt, also Phänomenen der Luftverschmutzung, und da spielt das Wetter natürlich immer eine große Rolle. Ich habe viel Zeit mit der Entwicklung klassischer Modelle für Luftverschmutzung verbracht. Aber als es dann die ersten wirklichen Durchbrüche der KI bei Bilderkennung und Spielen gab, da dachte ich mir, dass sich diese Methoden doch bestimmt auch für die Atmosphärenforschung anwenden lassen sollten. Und da war die Anwendung auf Wettervorhersagen dann das Naheliegendste.

Können Bürger heute schon von Wettervorhersagen aus dem FZJ profitieren?

Ich arbeite am Forschungszentrum Jülich, wo wir Grundlagenforschung betreiben. Das heißt, dass wir selbst keine operationellen Wettervorhersagen betreiben. Wir arbeiten aber eng mit dem Deutschen Wetterdienst und dem Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersagen, dem EZMW in Bonn, zusammen – und zumindest am EZMW kann man sich heute schon die aktuellen Vorhersagen von den KI-Modellen anschauen.