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Digitaler KindernotarztratFast der Hälfte der jungen Patienten aus NRW wurde per Video geholfen

Lesezeit 4 Minuten
Ein Vater legt seine Hand auf den Kopf eines Kindes, das im Bett liegt.

Kind fiebrig und jetzt auf den Weg machen in ein übervolles Wartezimmer? 2000 Nutzer der Videosprechstunde im kinderärztlichen Notdienst mussten das erstmal nicht auf sich nehmen. Etwa der Hälfte wurde dennoch abschließend geholfen.

Das Angebot der Kassenärztlichen Vereinigung wird an Ostern wiederholt. Um den Notdienst generell zu sanieren, sei aber noch ein anderer Baustein unbedingt vonnöten.

Die Augen glänzen glasig, der Atem rasselt – und der ärztliche Rat kann innerhalb von Minuten auf dem heimischen Sofa entgegengenommen werden. Für Eltern, die am Wochenende viele Stunden in übervollen Wartezimmern beim kinderärztlichen Notdienst absitzen müssen, klingt ein derartiges Angebot fast wie eines aus einem Science-Fiction-Film.

Immerhin für etwa 2000 Kinderpatienten aus Nordrhein-Westfalen entsprach das in den Monaten Dezember und Januar dennoch der Realität. Die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) hatte zum zweiten Mal in Folge eine kindernotärztliche Videosprechstunde zum Jahreswechsel eingerichtet. Statt die kranken Kinder, in der Mehrzahl Säuglinge und Kleinkinder, ins Auto zu packen, vereinbarten die Eltern über die Patientenhotline 116 117 oder digital über die Internetseite der Kassenärztlichen Vereinigung einen Videotermin und verbanden sich zu gegebener Zeit via Bildschirm mit einem der 30 teilnehmenden Kindermediziner. Die nun präsentierten Ergebnisse deuten darauf hin, dass Eltern, aber auch das Gesundheitssystem von einem solchen Angebot deutlich profitieren würden.

Jeder sechste Patient wurde in eine Notfallpraxis geschickt

Denn tatsächlich war eine unmittelbare Untersuchung in Präsenz in den allermeisten Fällen nach Angaben der KVNO nicht nötig. Lediglich jeder sechste Patient wurde vom zugeschalteten Arzt in eine Notfallpraxis verwiesen. Weitere fünf Prozent der Eltern suchten ohne diese Empfehlung dennoch einen niedergelassenen Notfallmediziner auf. Etwa die Hälfte der Krankheitsfälle galten den Zahlen zufolge nach dem Videotelefonat als abgeschlossen.

Etwa ein Drittel war immerhin so gut beraten, dass die Betroffenen bis zu den regulären Praxisöffnungszeiten abwarten konnten. 90 Prozent der beratenen Eltern waren mit dem Angebot zufrieden, sagt die KVNO, drei Viertel würden die Videosprechstunde auch anderen weiterempfehlen.

Service für Eltern und Entlastung für angespannte Lage im Gesundheitssystem

Auch für die niedergelassenen Ärzte bedeutete das Angebot eine deutliche Entlastung. In Zeiten knapper werdender Ressourcen für Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzende der KV Nordrhein, ein wichtiges Argument: „Schon jetzt erfüllt die Videosprechstunde eine wichtige Filterfunktion, um die Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen und weniger schwerwiegende Erkrankungen aus den Notfallpraxen herauszuhalten“, so Bergmann bei der Vorstellung der Ergebnisse in Düsseldorf.

Gerade wenn Feiertage sich zu längeren Praxisschließzeiten aneinanderreihen, ist die Videosprechstunde gefragt. So fanden in den ausgewerteten Monaten Dezember und Januar mit 183 Videosprechstunden fast zehn Prozent allein am Heiligabend statt. Fast die Hälfte (913) der Videoberatungen fand an den letzten beiden Wochenenden des vergangenen Jahres statt.

Diesen Ergebnissen Rechnung tragend, will die Kassenärztliche Vereinigung das Angebot nun an Ostern, in der Zeit vom 23. März bis zum 7. April wiederholen. Bei der KVNO ist man so beflügelt, dass man sogar schon über eine Ausweitung des Angebots für Erwachsene nachdenkt. Das sei dann freilich Zukunftsmusik, so Bergmann. Man befinde sich hier in einem „frühen Planungsstadium“.

Idee für Köln: Hausbesuche von Rettungssanitätern mit digitalen Rucksäcken

Immerhin spielt die Videosprechstunde auch im Eckpunktepapier von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zur Reform der Notfallversorgung eine tragende Rolle. Hintergrund ist der Wunsch nach mehr Effizienz. Diese hänge aber maßgeblich davon ab, wie gut und schnell es gelänge, bestehende Notrufnummern zu vernetzen.

„Allein in NRW haben wir mehr als 50 Leitstellen mit unterschiedlichen Systemen“, so Bergmann. All diese müssten mit der Patientenhotline verknüpft, alle Ersteinschätzungen sofort weitergegeben werden. Für Köln kann man sich bei der Kassenärztlichen Vereinigung zur Entlastung auch Hausbesuche durch Rettungssanitäter mit digitalen Rucksäcken vorstellen. „Im Notfall könnten diese dann umgehend einen Arzt hinzuziehen“, so Bergmann.

Bleibt das Geld-Problem. Schon die derzeit neu geschaffenen Strukturen sind laut Bergmann nicht gegenfinanziert. Zwar hat das Gesundheitsministerium in NRW die erste Videosprechstunde zum Jahreswechsel 2022/2023 finanziert. Für einen weiteren Ausbau sieht es auf Anfrage allerdings die Krankenkassen in der Pflicht. Mit einem Reformgesetz, das auch die Finanzierung neu regeln könnte, rechnet Bergmann in dieser Legislaturperiode nicht mehr.

Und dann wäre da auch noch das neu aufgetauchte Problem einer drohenden Sozialversicherungspflicht für Vertretungen im Notdienst. Laut einem Urteilsspruch des Bundessozialgerichts fallen sogenannte Poolärzte, die zum Teil auch in NRW die Vertretung beim ärztlichen Notdienst bislang freiberuflich übernahmen, schon jetzt unter die Versicherungspflicht. Bergmann sieht dadurch das gesamte System der Notdienstpraxen gefährdet.

Ähnlicher Meinung ist man hier beim Landesgesundheitsministerium. Man unterstütze die „Forderungen, Tätigkeiten im ambulanten ärztlichen Notdienst von der Sozialversicherungspflicht zu befreien oder alternativ die Ärztinnen und Ärzten im kassenärztlichen Notdienst mit den Notärztinnen und Notärzten im Rettungsdienst gleichzustellen“, schreibt das Ministerium auf Anfrage. Es sei nun an den Bundesministerien, rechtliche Änderungen zu prüfen. Beim Bundesarbeitsministerium, bei dem man verstärkt auch die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung im Blick behalten will, versichert man auf Nachfrage, der Dialog zur Lösungsfindung werde „zeitnah fortgesetzt“.