Nach dem mutmaßlichen Messerangriff eines Jugendlichen auf Mitschüler in Wuppertal äußert sich zum ersten Mal sein Strafverteidiger, Mustafa Kaplan.
Verletzte Schüler an GymnasiumVerteidiger des mutmaßlichen Wuppertaler Angreifers bezweifelt Tathergang
Herr Kaplan, Ihr Mandant soll auf seine Mitschüler eingestochen haben. Wie beurteilen Sie den Vorwurf des versuchten Mordes?
Noch weiß niemand, was genau am Vormittag des 22. Februar in der Schule tatsächlich passiert ist. Gleichwohl haben einige Medien mit einer unglaublichen Rücksichtslosigkeit meinen Mandanten als „psychisch kranken Messerstecher“ abgestempelt. Weder steht fest, wie es um die Psyche meines Mandanten bestellt ist. Noch ist klar, ob die äußerst oberflächlichen Verletzungen bei denjenigen Schülern, die lediglich ein kleines Pflaster erhalten haben, mit einem Gegenstand oder mit der bloßen Faust verursacht wurden. Das heißt, es ist derzeit noch völlig unklar, ob bei den Angegriffenen überhaupt Stichverletzungen vorliegen. Insofern ist es schlichtweg verfrüht, von versuchtem Mord zu sprechen.
Wie geht es Ihrem Mandanten?
Die Ärztinnen und Ärzte, seine Eltern nebst Geschwistern und mein Mandant selbst sind rund um die Uhr damit beschäftigt, dass er sich von seinen Verletzungen wieder erholt. Vor allen Dingen tut es ihm gut, dass sich nahezu täglich sehr viele Schüler seiner Schule, ihre Eltern und auch Lehrer bei seiner Familie melden und die Hoffnung und den Wunsch aussprechen, dass er bald wieder auf die Beine kommt.
Was hat sich aus ihrer Sicht tatsächlich im Gymnasium abgespielt?
Die zahlreichen Zeugenaussagen in der Ermittlungsakte gehen wild durcheinander, ergeben kein klares Bild und helfen daher nicht wirklich weiter. Also: Weiß ich, was an dem Vormittag in der Schule passiert ist? Und wenn ich es wüsste, möchte ich es Ihnen überhaupt mitteilen? So viel kann ich aber berichten: Den Amok-Alarm hat nicht die Schule, sondern die Polizei ausgelöst. Im Nachhinein muss man konstatieren, dass der Amok-Alarm in diesem Fall verfrüht und letztendlich auch fehlerhaft ausgelöst wurde. Und dann sagt der NRW-Innenminister Herbert Reul vor laufender Kamera, er hoffe, dass die Opfer überleben. Wusste er denn nicht, dass es sich einzig um oberflächlichste Verletzungen handelte? Mein Rat lautet: Lasst die Staatsanwaltschaft und das Gericht doch einfach mal in Ruhe arbeiten. Ich habe kein Verständnis für diesen Populismus. Die Zukunft meines Mandanten wird in der Öffentlichkeit derzeit mit Nachdruck vernichtet.
Die Staatsanwaltschaft geht von einer psychischen Erkrankung ihres Mandanten aus, welche Meinung vertritt sein Anwalt?
Ich wäre mir nicht so sicher, ob die Staatsanwaltschaft wirklich davon ausgeht. „Psychische Erkrankung“ ist ein großes Wort, da versteht jeder auch etwas anderes darunter. Ich persönlich würde den Begriff jedenfalls sehr zurückhaltend verwenden.
Warum haben Sie ihren Mandanten nicht psychiatrisch begutachten lassen?
Die Staatsanwaltschaft wollte meinen Mandanten nur drei Tage nach dem Vorfall begutachten lassen. Dabei lag er schwerverletzt und mit Fußfesseln am Krankenbett fixiert im Krankenhaus. Von dem emotionalen Ausnahmezustand, in dem er sich befunden haben muss, ganz zu schweigen. Ich hatte das Gefühl, dass da auf die Schnelle Nägel mit Köpfen gemacht werden sollten. Das war aus meiner Sicht kein feiner Zug der Staatsanwaltschaft. Deshalb habe ich interveniert.
Gab es vor der Tat Hinweise auf psychische Probleme Ihres Mandanten? Wie war sein Standing in der Schule?
Mir ist nicht bekannt, dass er psychische Probleme hatte. Mein Mandant stammt aus einer Bilderbuch-Migranten-Familie. Er ist nicht vorbestraft, integriert, weltoffen, bildungsdurstig. Er hat sowohl zu seinen Eltern als auch zu seinen Geschwistern ein liebevolles und harmonisches Verhältnis. Auch bei seinen Mitschülern und seinen Lehrern ist mein Mandant sehr beliebt. Er gehörte in den vergangenen Jahren immer zu den Jahrgangsbesten.
Warum hat sich Ihr Mandant selbst lebensgefährlich verletzt?
Die nächsten Gespräche mit ihm werden diese Frage beantworten.
Wie bewerten Sie das Bekennerschreiben, wonach ihm die Attacke befohlen wurde, oder sein bei der Festnahme geäußerter Wunsch, ihn zu erschießen?
„Bekennerschreiben“ – noch so ein großes Wort! Auch bei der Verwendung dieses Begriffs wäre ich sehr vorsichtig. Wann genau mein Mandant einen Text geschrieben hat und was genau damit gemeint gewesen ist, bleibt noch völlig unklar. Ich warne davor, bereits zum jetzigen Zeitpunkt so zu tun, als wäre schon alles ausermittelt. Persönlich glaube ich nicht, dass mein Mandant bei seiner Festnahme erschossen werden wollte. Dies würde für mich keinen Sinn ergeben.
Das Gespräch führte Axel Spilcker