Viele Tiere und Pflanzen, die über Jahrzehnte in großer Zahl zum natürlichen Lebensraum gehörten, verschwinden.
Ministerium stellt neue Rote Liste vorSo steht es um bedrohte Tierarten in Nordrhein-Westfalen
Es gebe auch einige ermutigende Beispiele, meint der nordrhein-westfälische Umweltminister Oliver Krischer. Vom Weißstorch etwa, der sich 1990 auf drei Paare reduziert habe, seien 2022 schon wieder 705 Pärchen mit insgesamt 1.203 „ausgeflogenen Jungvögel“ in NRW gesichtet worden. Der Seeadler, der „in historischer Zeit“ hierzulande nie gebrütet habe, komme mittlerweile in fünf Revieren vor. Auch die „aktive Wiederansiedlung“ von ehemals ausgestorbenen Tierarten wie dem Uhu, dem Lachs, dem Biber oder dem Wanderfalken habe funktionieret, zählte der Grünen-Politiker am Dienstag bei der Vorstellung der neuen Roten Listen bedrohter Arten auf. Seine Worte aber klangen ein wenig wie das sprichwörtliche Pfeifen im Wald.
Denn noch immer sind viele Tier-, Pilz- und Pflanzenarten in Nordrhein-Westfalen akut gefährdet. Insgesamt gilt das derzeit für 44,4 Prozent aller untersuchten Arten, wie aus jüngsten Auswertungen des Landesumweltamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) hervorgeht. Im Vergleich zur vorherigen Erhebung im Jahr 2011 mit 46,3 Prozent sei dies zwar eine minimale Verbesserung. Aber für eine Entwarnung sei es „viel zu früh“, betonte Krischer: „Unsere ökologische Vielfalt sei weiterhin dramatisch gefährdet.“ Die Situation, die im 20. Jahrhundert entstanden sei, habe sich auch in NRW im 21. Jahrhundert „nicht wirklich“ verbessert. „Und das muss uns natürlich mit Sorge erfüllen“, so der Minister.
Kiebitz und Kuckuck werden zur Rarität
Besonders besorgniserregend sei, dass inzwischen auch „Allerweltsarten“ in der Bedrohtenliste zu finden sind. Der Kiebitz etwa sei mittlerweile eine Rarität. „Und wir erleben einen dramatischen Bestandseinbruch bei einer Vogelart, die alle kennen, über die alle schon Lieder gesungen haben, nämlich den Kuckuck“, sagte Krischer. Auch der Schmetterling Kleiner Fuchs, der vor 20 Jahren noch einer der häufigsten Tagfalter gewesen sei, werde in manchen Regionen schon auf der Vorwarnliste geführt. Insgesamt sei mehr als die Hälfte der über 1700 regelmäßig vorkommenden Schmetterlingsarten einer Gefährdungskategorie zugeordnet worden.
Derzeit verfügt NRW über mehr als 43.000 verschiedene Tier-, Pilz- und Pflanzenarten in 70 verschiedenen ökologischen Lebensräumen. Erklärtes Ziel der Landesregierung ist es, den Anteil der gefährdeten Arten bis 2030 auf 40 Prozent zu reduzieren. „Das klingt nicht viel, ist aber eine absolute Herausforderung, wenn man das wirklich schaffen will“, betonte Krischer.
Ursachen für das Sterben sind „menschengemacht“
Die Ursachen für den Verluste an biologischer Vielfalt seien häufig „menschengemacht“, ergänzte Elke Reichert, die Präsidentin des Landesamtes. Ausschlaggebend dafür seien beispielsweise die intensive Nutzung landwirtschaftlicher Flächen oder die Tatsache, dass immer mehr Gebiete beispielsweise für Infrastruktur oder Gewerbe- und Wohnzwecke „verbraucht“ würden. Dadurch würden „naturnahe Lebensräume zerstört und zerschnitten“. Im Jahr 2022 seien durchschnittlich etwa 5,6 Hektar pro Tag für eine Vielzahl von Pflanzen-, Pilz- und Tierarten durch neue Siedlungs- und Verkehrsflächen verloren gegangen.
Um die „Biodiversitätskrise“ zu bekämpfen, will die Landesregierung beispielsweise den Naturschutzhaushalt, der 2023 bei knapp 46 Millionen Euro lag, im Laufe der Legislaturperiode „schrittweise anheben, um ihn mittelfristig zu verdoppeln“. Erfolgreicher Arten- und Umweltschutz verlangt eher ein riesiges Öko-Puzzle statt nur einige wenige Grundsatzentscheidungen: Im Landesprogramm sind deshalb zehntausende, oft sehr kleinteilige Einzelvorhaben vorgesehen. Der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt: Da werden beispielweise die Wiederansiedlung des Lachses im Rhein, Gewächse am Tagebaurand Garzweiler, Feuchtwiesen in der Lippeaue, seltene Schmetterlingsarten im Kreis Euskirchen, Tierwanderungen über viel befahrene Straßen mit sogenannten Grünbrücken oder die Bestäubung von Wild- und Kulturpflanzen im Rheinland gefördert.
Moore sind Alleskönner
Für eine „nachhaltige Trendumkehr“ müsse „zwingend“ die Qualität der natürlichen Lebensräume verbessert werden, betonte Krischer. Bachforellen und viele Libellenarten beispielsweise würden heute schon von der Renaturierung zahlreicher Fließgewässer profitieren. Dies gelte auch für „unzählige Fischnährtiere bis hin zu Amphibien“, die in den letzten rund 200 Jahren etwa im Ruhrgebiet „praktisch verschwunden“ seien.
Vor allem bei den bedrohten Tier- und Pflanzenarten, die auf Feuchtgebiete angewiesen sind, habe es in den vergangenen Dürrejahren „dramatische Bestandsverluste“ gegeben. Die Wiederherstellung der Moore solle deshalb ein wichtiger Baustein zum Schutz der biologischen Vielfalt in NRW werden. „Moore sind Alleskönner“, erklärte Krischer. „Sie schützen nicht nur das Klima, sondern sind wichtige Lebensadern für die biologische Artenvielfalt und den Wasserhaushalt.“ Moore seien die bedeutendsten natürlichen Kohlenstoffspeicher und wichtige Wasserspeicher, die seltenen und gefährdeten Arten über Dürrezeiten hinweg helfen könnten.
„Artensterben ist kein unabwendbares Schicksal“
Aktuell gebe es in NRW aber nur noch rund 1600 Hektar intakte Moorflächen - laut einer Potenzial-Studie des Landesumweltamts könnten es mehr als 23 000 Hektar sein. Jetzt gehe es darum, von den vier Milliarden Euro an Fördermitteln, die der Bund für natürlichen Klimaschutz zur Verfügung stelle, möglichst viel für die Renaturierung nordrhein-westfälischer Moorflächen an Land zu ziehen
„Ein ambitionierter Naturschutz kann durchaus Erfolge zeitigen“, gab der Minister sich optimistisch. Er sei „frohen Mutes“, dass der Artenverlust „kein unabwendbares Schicksal ist“. Genug zu tun jedenfalls gibt es. Im nordrhein-westfälischen Tiefland seien rund 80 Prozent der Lebensräume in keinem guten Zustand, heißt es beim Landesamt. Außer den Mooren seien vor allem Grünlandareale, Gewässer sowie Eichen- und Auenwälder betroffen. Immerhin: Im Bergland sehe es deutlich besser aus. Hier seien fast 60 Prozent der Areale in einem „günstigen Erhaltungszustand“, so das Lanuv.