Das Koenen-Lager unter dem Stadtteil Gnadental in Neuss wurde zum Bodendenkmal erklärt. Die Anwohner wehren sich dagegen vor Gericht.
Streit mit der StadtDas alte Römerlager in Neuss ist ein Denkmal – und nervt die Anwohner
Im Zentrum des Neusser Römerlagers weist ein nassgeregnetes blaues Straßenschild auf getrennte Wege für Radfahrer und Fußgänger hin. Dort, zwischen einem Klinkerbau und der Kölner Straße, stand früher das imposante Wohnhaus des Lagerkommandanten. „Es war mehrstöckig, hatte eine gute Fassade aus Stein und mehrere Säulen“, sagt Till Lodemann, Abteilungsleiter Denkmalpflege der Stadt Neuss. „Hier war in der römischen Zeit quasi das Zentrum des Geschehens.“
Vor 2000 Jahren, im Jahr 20 nach Christus, errichteten die Römer im heutigen Stadtteil Gnadental das Legionslager Novaesium, dem die Stadt Neuss bis heute ihren Namen verdankt. 5500 Soldaten lebten auf einer Fläche von 24 Hektar, dazu kamen Handwerker, Händler, Familienangehörige, die in der Vorstadt ihre Häuser bauten. Sie zogen eine Stadt hoch, ein Lager, geschützt durch Mauern und Türme, gefüllt mit Baracken im Fachwerkbau. Circa 80 Jahre prägten die Legionen das Stadtbild, bis die Soldaten nach Britannien marschierten und ein römisches Reiterkastell in die Baracken zog.
Viel sieht man heute nicht mehr von den Römern in Gnadental. Einen Steinhügel am Wegesrand. Ein römischer Grabstein, den die Stadt Neuss am Wegesrand der Kölner Straße ausstellt, etwa hundert Meter von einer Kopie der Jupitersäule entfernt. Die meisten Spuren der Römer liegen unter einer dicken Erdschicht begraben. Im Zentrum des früheren Legionslagers stehen heute Wohnhäuser, eine „Römer-Apotheke“, eine Polizeischule.
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Ist der flächendeckende Schutz des „Koenen-Lager“ gerechtfertigt?
Trotzdem gilt Novaesium als eines der bedeutendsten römischen Militärlager des Rheinlandes. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Legionslager von dem Archäologen Constantin Koenen entdeckt und erstmals erforscht, im Frühjahr 2021 trug die Stadt Neuss es als offizielles Bodendenkmal der Stadt Neuss ein. Die Unterschutzstellung war offenbar eine Auflage der Unesco, die Novaesium als Teil des Niedergermanischen Limes zum Weltkulturerbe erklärte.
Die Überbleibsel der Römer begeistern Archäologen, doch ihre Schutzmaßnahmen frustrieren Anwohner. So sehr, dass sie vor Gericht ziehen. Denn für alle Eingriffe in den Boden, die tiefer als 40 Zentimeter gehen, brauchen sie künftig eine Genehmigung der Denkmalschutzbehörde.
Vor einem Jahr errang die Anwohner-Initiative „Bodendenkmal Gnadental“ einen ersten gerichtlichen Sieg: Die Eintragung als Bodendenkmal wurde wegen formaler Fehler als unwirksam erklärt. In der Zwischenzeit wurde das Denkmalschutzgesetz des Landes jedoch geändert und eine Unterschutzstellung wieder erleichtert. Die Bürgerinitiative wendet sich deshalb auch einer neuen Frage zu: Ist das „Koenen-Lager“ überhaupt noch in einem so guten Zustand, dass ein flächendeckender Schutz gerechtfertigt ist?
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf gab im November der Stadt Neuss recht: Das Koenen-Lager ist ein Bodendenkmal – flächendeckend. Die Bürgerinitiative will den Fall nun vor das Oberverwaltungsgericht Münster bringen.
„Wir Menschen können heute viel mehr zerstören als vor tausend Jahren“
Für die Archäologen gilt die Devise: Die Zukunft bringt bessere Technik. Ausgrabungen bringen zwar neue Erkenntnisse, doch sie bedeuten auch immer eine Zerstörung der Spuren. „Wenn wir heute einen Knochen entdecken, können wir eine DNA-Analyse machen. Wir wissen, welche Hautfarbe, Haarfarbe der Mensch hatte und mit wem auf dem Gräberfeld er wohl verwandt war“, sagt Lodemann. „Das war technisch vor zehn Jahren noch gar nicht möglich, vor 20 Jahren hätte man sich das niemand vorstellen können. Deshalb ist das Paradigma, Funde für die Zukunft aufzuheben, so bedeutsam wie nie zuvor.“
Für die Anwohner bedeute das beispielsweise: Wenn auf einem Grundstück ein Gebäude abgerissen wird und ein Neubau entsteht, sollte der Keller genau an derselben Stelle stehen wie früher, damit das Bodendenkmal nicht weiter beschädigt wird.
Die Römer haben die Siedlungsstruktur im Rheinland geprägt, sagt Lodemann. „Wären sie nicht hier gewesen, wäre keine der Städte heute so, wie sie sind.“ Doch wie die Römer gelebt haben, so Lodemann, darüber gebe es nur wenige Schriftquellen. Deutlich besser seien die archäologischen. Erst vor Kurzem habe man bei einer Ausgrabung einen Fußboden aus römischem Terrakotta entdeckt, so Lodemann. Auf einer der Fliesen war der Abdruck eines Legionärsstiefels verewigt, auf einem anderen der Pfotenabdruck eines Hundes.
Bei dem Schutz dieser archäologischen Spuren, sagt Lodemann, entstehe ein Spagat zwischen dem Erhalt der Bodendenkmäler und der Stadtentwicklung. „Wir Menschen können heute viel mehr zerstören, als wir es noch vor tausend Jahren konnten“, sagt Lodemann. „Und wenn wir uns keine Regeln geben, dann tun wir das auch.“ Ein Gericht habe bestätigt, dass 80 Prozent der Römer-Spuren im Grund von Gnadental noch erhalten sind.
Nur ein kleiner Teil der Anwohner gehe gerichtlich gegen die Eintragung als Bodendenkmal vor, sagt Lodemann. „Aber natürlich ist ein Bodendenkmal unter dem Grundstück eine Einschränkung für die Handlungsfreiheit eines Eigentümers.“
Anwohner befürchten Wertverlust ihres Grundstücks
„Wir wurden anfangs abgetan als das gallische Dorf, das etwas gegen die Römer hat“, sagt Uwe Freese von der Initiative „Bodendenkmal Gnadental“. „Aber darum ging es uns überhaupt nicht. Sondern darum, wie die Stadt mit uns umgeht.“ Die Anwohner befürchten, die Römer könnten Gnadental den Weg in die Zukunft verbauen: Erst im Herbst sei die Deutsche Glasfaser Holding in Gnadental gewesen und hatte einen Glasfaser-Ausbau in dem Stadtteil erwägt, sagt Stephan Müller, Anwohner, Kläger und CDU-Ratsmitglied. Das Unternehmen habe sich aus zwei Gründen dagegen entschieden: Zum einen, weil nicht genug Haushalte Interesse gezeigt hätten. Zum anderen, weil der Denkmalschutz im Boden den Internet-Ausbau erschwert hätte.
Bei mindestens sieben Grundstücken seien die Spuren der Römer längst zerstört, sagt Müller. Bei Bauarbeiten sei das Gelände nahezu ausgehoben und mit Neuerde zugeschüttet worden. Trotzdem, sagt Müller, gelte auch hier der Denkmalschutz: Wenn die Eigentümer einen Baum fällen wollen auf dem Gelände, dürfen sie die Wurzeln nicht einfach so herausreißen – schließlich gelte der Denkmalschutz flächendeckend. Müller befürchtet, das Bodendenkmal könnte sich negativ auf den Wert seines Grundstückes auswirken.
„Alles, was Koenen bereits um 1900 ausgegraben hat, ist zerstört“, sagt Uwe Freese. „Auch wenn man den ganzen Teppich unter Schutz stellt, muss man trotzdem differenzierter umgehen mit jedem einzelnen Grundstück.“
LVR und Stadt wollen Denkmal nahbarer machen
„In der Bodendenkmalpflege heißt es: Ein Denkmal ist am besten geschützt, wenn es erfahrbar ist“, sagt Jens Wegmann vom Landschaftsverband Rheinland. Er geht neben Till Lodemann an der Straße entlang, durch den früheren Mittelpunkt des Römerlagers, den heute eine Hauptstraße durchkreuzt. Deshalb sei es auch ein Ziel des LVR und der Stadt Neuss, das Bodendenkmal unter Gnadental und die römische Vergangenheit der Bevölkerung näherzubringen. „Im Rahmen der Anerkennung als Unesco-Weltkulturerbe soll das mehr geschehen.“