Ist es Panikmache, Schüler auf drohende Katastrophen vorzubereiten? Oder eine angemessene Reaktion auf die Krisen dieser Zeit?
Vorstoß der GrünenSchüler in NRW sollen besser auf Katastrophen vorbereitet werden
Julia Höller ist die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Düsseldorfer Landtag. Bevor sie 2022 in das Landesparlament einzog, war die promovierte Geografin beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn beschäftigt. Jetzt sorgt die 41-Jährige mit einem Vorstoß zum Thema Zivilschutz für Diskussionsstoff in der Landespolitik. Höller schlägt vor, dass sich die Schulkinder intensiver mit dem richtigen Verhalten in Gefahrensituationen beschäftigten sollen: „In Japan lernen Kinder bereits im Kindergarten, wie sie sich bei einem Erdbeben zu verhalten haben“, sagte die Grüne dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Schule sei „ein sehr guter Startpunkt für eine resiliente Gesellschaft.“
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hatte vorgeschlagen, junge Menschen an Schulen mit Übungen auf den Kriegsfall vorzubereiten. Höller grenzt sich davon ab, verfolgt einen anderen Ansatz. Es sei „ein Fehler“, die Debatte auf Zivilschutz und Bundeswehr zu beschränken, sagte die Innenexpertin: „Es geht nicht um Angst oder Panikmache, sondern darum unsere Kinder zu stärken, indem wir Gefahren offen thematisieren.“ Das Wissen um den Umgang mit kritischen Situationen könne Leben retten.
Bereits heute werde an den Schulen das Verhalten bei Feueralarm geübt und damit ein Bewusstsein für eine konkrete Gefahr geschult, sagte Höller. „Kinder müssen darüber hinaus auch für Gefahren und Katastrophen fit gemacht werden, die sich außerhalb der Schule ereignen können“, so die Grüne.
Kinder sollen Sirenentöne erkennen
Aber wie soll das gehen? Die konkrete Ausgestaltung von Unterrichtsinhalten müsse mit dem pädagogischen Fachpersonal in NRW noch erarbeitet werden, sagte Höller. Ein Ziel müsse sein, „dass Kinder Warnungen, wie beispielsweise Sirenentöne erkennen können und wissen, was zu tun ist“. Wissen vermittele dabei Sicherheit – und führe eben genau nicht zu „Panik und Angst“.
Die Herausforderung: Wie kann man Katastrophenschutz-Übungen an Schulen kindgerecht gestalten? Die Schüler sollten sich dem Thema „spielerisch nähern“, sagte Höller. Dabei könnten verschiedene Szenarien in Betracht kommen, zum Beispiel das Verhalten bei Stromausfällen oder bei Hochwassergefahr. „In Kooperation mit Hilfsorganisationen, THW oder Feuerwehren könnten möglicherweise auch lokal oder regional spezifische Gefahren thematisiert werden. Die Hilfsorganisationen selbst leisten häufig eine hervorragende Kinder- und Jugendarbeit“, betonte die Politikerin aus Bonn.
CDU wirbt für „Blaulichttage“
Der Koalitionspartner der Grünen, die CDU, unterstützt die Pläne. „Wir als CDU-Fraktion sind dafür, dass das Thema Sicherheit und Resilienz einen größeren Stellenwert in Schulen erhält“, sagte Christos Katzidis, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Denkbar wäre zum Beispiel „die Durchführung von Katastrophenschutzwochen in Schulen unter Einbindung aller Blaulichtorganisationen“, sagte Katzidis. Schon in der letzten Wahlperiode habe die CDU „Blaulichttage“ in Schulen gefordert.
NRW-Schulministerin Dorothee Feller nahm die Vorschläge zurückhaltend zur Kenntnis. Krisen und Kriege dieser Welt seien sind im Unterricht in NRW „als Thema bereits fest verankert“, sagte die CDU-Politikerin dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Schon heute böten Hilfsorganisationen etwa Erste-Hilfe-Kurse für Kinder auch in Grundschulen an. „Hier lernen Kinder, sich Gefahren bewusst zu werden, den Eigenschutz zu beachten und im Rahmen ihrer Möglichkeiten Erste Hilfe zu leisten“, so Feller. Ein Notfallordner enthalte zudem wichtige Handlungsempfehlungen für verschiedene schulische Krisen.
Bundeswehr kommt in den Unterricht
Das Thema Bundeswehr sei an unseren Schulen bereits präsent, beispielsweise durch regelmäßige Besuche von Jugendoffizieren der Bundeswehr im Unterricht oder bei der Teilnahme der Bundeswehr an Berufsorientierungsmessen. Internationale Krisen, Konflikte und Kriege würden im Schulunterricht „umfassend behandelt“, hieß es. So beschäftigten sich die Schüler an den Hauptschulen mit dem Thema „Zusammenleben und Sicherheit in der globalisierten Welt“, an den Gymnasien würden „Internationale Verflechtungen seit 1945“ durchgenommen.
Die Bildungsgewerkschaft GEW in NRW sieht vor allem eine mögliche Einbindung der Bundeswehr beim Ausbau von Zivilschutz-Kompetenzen kritisch. „Wer Demokratieerziehung und Friedenspädagogik an Schulen befürwortet, kann nicht gleichzeitig eine Kooperation der Schulen mit der Bundeswehr institutionalisieren und ihr einen Exklusivzugang und Einflussnahme ermöglichen“, sagte die Landesvorsitzende Ayla Çelik unserer Zeitung. Es sei wichtiger, „die politische Handlungskompetenz“ zu schulen, als Kinder auf einen Krieg vorzubereiten. „Die Demokratiefeinde im Inland stellen derzeit die noch größere Bedrohung unserer Freiheit dar als ein Krieg, der möglicherweise ausbrechen könnte“, so Çelik. Pädagoginnen und Pädagogen komme die besondere Aufgabe zu, die Kinder „zu aufgeklärten, kritisch denkenden Menschen zu erziehen, die populistische Hetze einordnen und sich ihr widersetzen“ könnten.
Ott kritisiert „Ablenkungsmanöver“
Jochen Ott ist der Oppositionsführer im Düsseldorfer Landtag. Der SPD-Politiker wirbt dafür, den Unterricht „wieder mehr am Humboldtschen Bildungsideal“ zu orientieren, statt die Lehrpläne immer mehr mit Stoff „aufzublähen“, der gerade „in die eigene politische Agenda“ passe. „Wir werben seit Jahren dafür, Lehrkräften mehr Freiraum zu geben, die Lehrpläne deutlich zu entschlacken und durch projektorientiertes Arbeiten zu flankieren“, sagte Ott.
Dabei könnten in Projektwochen „natürlich auch der Zivilschutz im Sinne der Allgemeinbildung“ eine Rolle spielen, so der Politiker aus Köln. Dazu müsse Schwarz-Grün „aber erst einmal bereit sein, das Schulsystem in NRW neu zu denken“, was aber nicht erkennbar sei. „Insofern ist der Vorschlag der grünen Kollegin nichts weiter als ein Ablenkungsmanöver von der katastrophalen Situation, in der die Bildung in NRW leider steckt", bilanzierte Ott.
Im Schuljahr 2023/24 gibt es in NRW 5397 Schulen. Bildungspolitik müsse „flexibel und anpassungsfähig sein, um auf neue Herausforderungen und Anforderungen reagieren zu können“, sagte Franziska Müller-Rech, Bildungsexpertin der FDP. Das Thema Zivilschutz habe einen hohen Stellenwert und sollte nicht tabuisiert werden, forderten die Liberalen. Müller-Rech plädierte dafür, dabei eine optimistische Weltsicht zu vermitteln: „Trotz der neuen Bedrohungen müssen wir jungen Menschen vermitteln, dass das Beste noch vor uns liegt."