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Länder verkaufen NutzungsrechteSo entstehen die Mathe-Abituraufgaben in NRW

Lesezeit 3 Minuten
Schülerinnen und Schüler sitzen während der schriftlichen Abiturprüfung in einem Klassenzimmer.

Am Mittwoch finden in Nordrhein-Westfalen die Mathe-Abiturprüfungen statt.

Für die Entwicklung und Prüfung der Mathe-Abiturklausuren plant das Schulministerium zwei Jahre ein.

Am Mittwoch grübeln wieder Abiturientinnen und Abiturienten im ganzen Land über den Mathe-Klausuren. Kaum eine Prüfung ist Jahr für Jahr so umstritten; Zu schwer, zu umfangreich, zu komplizierte Aufgabenstellung – 2022 sammelten sich unter einer Online-Petition namens „Mathematik Abitur in NRW – nicht zumutbar“ knapp 8700 Unterschriften. Mit der Erstellung der Mathe-Aufgaben wird schon Jahre vorher begonnen.

Ungefähr zwei Jahre dauert die Arbeit an den Prüfungen. Zuerst erstellt eine Kommission aus Lehrkräften die Aufgaben. Diese Aufgaben durchlaufen mehrere Qualitätssicherungsmaßnahmen: Sie werden von Fachdezernenten, der oberen Schulaufsicht und von einigen Gymnasiallehrern gerechnet. Dabei prüfen die Beteiligten, ob die Aufgaben für die Abiturienten grundsätzlich in der vorgegebenen Zeit zu bewältigen sind. Alle Aufgaben werden zudem von Hochschullehrern wissenschaftlich begutachtet. 

„Die Qualitätssicherungsmaßnahmen stellen sicher, dass die Prüfungsaufgaben lehrplankonform sind und damit zugleich auch den bundesweit vereinbarten Standards entsprechen“, schreibt das Schulministerium auf Anfrage. „Die Einhaltung bundesweit vereinbarter Standards ist ein hohes Gut, da diese den Abiturientinnen und Abiturienten die bundesweite Anerkennung ihrer Allgemeinen Hochschulreife sichert.“ Manche der Aufgaben, die Schülerinnen und Schüler in NRW lösen müssen, stammen aus einem gemeinsamen Abiturpool der Bundesländer. 

Kurz vor der Prüfung können die Schulen die Aufgaben herunterladen und ausdrucken. „Im Fach Mathematik gibt es eine vorherige Auswahl zwischen Aufgaben, die durch die Lehrkraft erfolgt.“

Länder verkaufen und verschenken Nutzungsrechte der Prüfungsrechte an privaten Verlag

Einen Monat nachdem die letzten Abiturienten ihre Zeugnisse überreicht bekommen haben, lädt das Ministerium die Aufgaben aller 41 Prüfungsfächer auf einem Internetportal hoch. Öffentlich zugänglich sind die Abiturklausuren jedoch nicht; Schulen können sie für drei Jahre passwortgeschützt herunterladen und zur Abiturvorbereitung nutzen. Schülerinnen und Schüler können über ihre Schulleitung Zugangsdaten für das Portal bekommen und die Altklausuren der letzten drei Jahre zum Üben nutzen.

Wie eine Recherche der Internetplattform „Frag den Staat“ ergab, verkaufen die meisten Bundesländer – so auch Nordrhein-Westfalen – die Inhalte der Prüfungsaufgaben an die „Stark Verlag GmbH“. Nur in Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind sie öffentlich zugänglich. Pro Prüfungsfach verlangen die meisten Bundesländer einen niedrigen dreistelligen Betrag von dem Vertrag. Hamburg verschenkt die Nutzungsrechte sogar. 

Auf Anfrage dieser Zeitung erlaubt das Schulministerium deshalb auch nicht die Veröffentlichung einer alten Mathe-Abituraufgabe zum Nachrechnen: Das Ministerium besitzt die Veröffentlichungsrechte für seine eigenen Aufgaben nicht mehr. 

„Frag den Staat“ will Prüfungen öffentlich zugänglich machen

Der Stark Verlag druckt die Originalprüfungen der vergangenen Jahre mit Lösungsvorschlägen in roten Heften ab. Für das Unternehmen ist dies offenbar ein Millionengeschäft: „Frag den Staat“ zufolge machte der Stark Verlag im Jahr 2021 13 Millionen Euro Umsatz. 82 Prozent des Geschäfts bestehen aus dem Verkauf der roten Hefte. Für die gesammelten Altklausuren pro Schulfach verlangt der Verlag circa 15 Euro. 

„Um sich auf mehrere Prüfungsfächer vorzubereiten, kommen so schnell hohe Beträge zusammen. Die Pisa-Studien zeigen regelmäßig, dass der Bildungserfolg in Deutschland maßgeblich vom Einkommen des Elternhauses abhängt“, kritisiert „Frag den Staat“. „Wer es sich nicht leisten kann, alte Prüfungen von einem privaten Anbieter zu kaufen, zieht bei der Vorbereitung den Kürzeren.“

Die Organisation hat deshalb gemeinsam mit dem Verein „Wikimedia Deutschland“ die Kampagne „Verschlusssache Prüfung“ ins Leben gerufen. „Was der Stark Verlag kann, können wir auch“, so die Initiatoren. Sie versuchen nun, ähnliche Verträge wie der Stark Verlag mit den Ländern abzuschließen – und die Prüfungen anschließend kostenfrei zugänglich zu machen.


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