Was unternimmt die Justiz, um Asylentscheidungen zu beschleunigen? Lange Gerichtsverfahren zerren in NRW an den Nerven der Beteiligten.
Justizminister unter DruckWarum dauern Asylgerichtsverfahren in NRW 21,5 Monate?
Die Erleichterung ist groß, nachdem John A. den Umschlag geöffnet hat. Der Flüchtling aus Nigeria hat Post vom Verwaltungsgericht in Köln bekommen – ihm wurde das Urteil in seinem Asylgerichtsverfahren zugestellt. Der Richter hat entschieden, dass der 40-Jährige in Deutschland bleiben darf. Endlich weiß der Computer-Experte, wie es weiter geht.
John A. hat lange auf das Urteil gewartet. Seit seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Bonn sind fast fünf Jahre vergangen. „Kein Einzelfall“, sagt Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats, der John A. beraten hat. „Die Verwaltungsgerichte sind angesichts der hohen Fallzahlen völlig überlastet.“
Im Asylverfahren entscheidet zunächst das BAMF darüber, ob die Fluchtgründe, die die Antragsteller bei ihrer Anhörung vortragen, glaubhaft sind oder nicht. Oft vergehen Monaten und Jahre, bis ein Ergebnis der Prüfung vorliegt. Viele Schutzsuchende wollen sich allerdings mit der Entscheidung des BAMF nicht abfinden. Sie reichen Klage beim Verwaltungsgericht ein – und müssen erneut viel Geduld mitbringen, bis ihr Fall vom Richter entschieden wird.
Rheinland-Pfalz zeigt, wie es geht
Im ersten Halbjahr 2023 lag die durchschnittliche Verfahrensdauer bei Asylgerichtsverfahren in NRW bei 21,5 Monaten. „Viel zu lange“, sagte Werner Pfeil, rechtspolitischer Sprecher der FDP im Düsseldorfer Landtag, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die sehr langen Verfahren würden alle Beteiligten belasten – und trügen mitunter dazu bei, dass auch Menschen ohne Bleibeperspektive ihren Aufenthalt in NRW „verfestigen“ könnten, heißt es bei den Liberalen. In Rheinland-Pfalz betrage die durchschnittliche Dauer nur 4,7 Monate. „Es kann nicht sein, dass NRW sechsmal so lange braucht wie unser südliches Nachbarbundesland, um ein Verfahren abzuschließen“, so Pfeil.
Beschleunigte Asylgerichtsverfahren seien „ein zentrales Element der Migrationspolitik“, sagte der Abgeordnete. Die Bürger in NRW würden zurecht erwarten, dass die Gerichte rasch über den Status von Migranten entscheiden: „Denn klar ist auch: Menschen, die kein Bleiberecht haben, müssen Deutschland wieder verlassen.“
Die Überlastung der Verwaltungsgerichte ist in dieser Woche Thema im Düsseldorfer Landtag. NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne), der aktuell unter Druck steht, weil er einen Chefposten an eine Ex-Kollegin vergeben wollte, soll seine Strategie erklären. „Die Landesregierung muss dringend die organisatorischen und personellen Voraussetzungen schaffen, um die Verfahren zu beschleunigen“, fordert Pfeil. Das würde die Akzeptanz der Asylpolitik in der Bevölkerung stärken und die Kommunen bei der Aufnahme von Flüchtlingen entlasten.
Mehr als 27.000 Klagen in NRW
Die Liberalen schlagen vor, die Zuständigkeit für sämtliche Asylklagen stärker zu zentralisieren. Richter müssten hoch spezialisiert sein und Herkunftsländer flexibel bearbeitet werden. Das Justizministerium ließ die Frage unserer Zeitung, wie Limbach vorgehen will, unbeantwortet. Ein Sprecher erklärte lediglich, das Thema werde „derzeit bundesweit auf Fachebene analysiert und zielorientiert besprochen“.
Bei der Dauer der Klageverfahren liegt NRW im Bundesländervergleich auf den hinteren Plätzen. Nach Angaben des BAMF müssen Asylbewerber in Brandenburg (39,9 Monate) und Hessen (32,1 Monate) am längsten auf eine Gerichtsentscheidung warten. Von Januar bis Ende Juli 2023 waren in NRW 27.773 Asylklagen anhängig. Die meisten Kläger stammten aus Irak, Syrien, Türkei, Iran und Afghanistan.
Der Kölner Flüchtlingsrat schlug vor, die Mitarbeiter beim BAMF besser auszubilden. „Rund 37 Prozent der von den Gerichten inhaltlich überprüften Bescheide erwiesen sich 2022 als fehlerhaft oder rechtswidrig“, sagte Geschäftsführer Prölß. Gut geschultes Personal könnte mehr „gerichtsfeste“ Entscheidungen treffen: „Alleine durch eine solche Maßnahme würde die Zahl von Klagen erheblich zurückgehen.“
In Nigeria verbreitet unter anderem die islamistische Terror-Organisation Boko Haram Angst und Schrecken. Das BAMF hatte den Asylantrag von John A. mit der Begründung ablehnt, er könne seiner Verfolgung durch einen Umzug in eine andere Region seines Heimatlandes entgehen. Das Verwaltungsgericht sah das anders und gewährte dem IT-Experten „subsidiären Schutz“. Das bedeutet: Er darf so lange in Deutschland bleiben, wie die Gefahren im Herkunftsland fortbestehen.