Zahlen der Bundesagentur zeigen, wie wichtig Jugendliche für die Wirtschaft in NRW sind. Der Zugang zu Jobs ist allerdings ungleich verteilt.
Höchststand der Jobs in NRWJugendliche Minijobber sind wichtige Firmenstützen – Debatte um Mindestlohn
Sophia Wagner (Name geändert) hat Glück gehabt. Die 17-Jährige macht gerade ihr Abitur in einer Kleinstadt bei Bonn. Als sie vor einem Jahr einen Nebenjob suchte, konnte ihr ihre Mutter helfen: „Sie kannte die Chefs des Supermarkts ziemlich gut, so bin ich an den Job gekommen.“ In dem Supermarkt arbeitet sie etwa zehn Stunden pro Woche, in den Ferien meist mehr. Mit dem selbstverdienten Geld konnte sich Sophia schon ihren Führerschein finanzieren. „Er hilft aber auch dabei, unabhängiger zu werden oder mit Freunden in den Urlaub fahren zu können, ohne meine Eltern fragen zu müssen“, sagt sie.
Glück hat Sophia auch mit ihrem Verdienst, denn sie bekommt 12 Euro pro Stunde – den Mindestlohn. Allerdings als einzige, ihre drei minderjährigen Minijob-Kollegen müssen sich mit neun Euro begnügen, sagt sie: „Am Anfang wusste ich das gar nicht. Erst als wir irgendwann über unser Gehalt gesprochen haben, ist uns das aufgefallen.“ Die anderen Aushilfskräfte seien daraufhin zum Chef gegangen und hätten eine Lohnerhöhung gefordert, die ihnen jedoch verweigert worden sei.
Über 70.000 minderjährige Nebenjobber in NRW
Seit Ende Juli wird in Deutschland über das Gehalt von Sophia und ihrer Kollegen diskutiert. Angestoßen hat die Diskussion Kevin Kühnert, der den Mindestlohn auch für Minderjährige fordert.
Fest steht: Für viele Unternehmen in der Region sind minderjährige Minijobber eine wichtige Stütze. Das zeigen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit aus den vergangenen sechs Jahren. Demnach gingen in Nordrhein-Westfalen im Juli 2022, nach einem Einbruch in den Coronajahren, 70.943 Minderjährige einer geringfügigen Beschäftigung nach. Das sind etwas mehr als in den Sommermonaten 2018 und 2019 und zumindest für die letzten sechs Jahre der Höchstwert.
Die Minijob-Zentrale kommt durch eine andere Zählweise teilweise auf noch höhere Zahlen. Ihrer Auswertung zufolge gab es im März 2023 sogar rund 86.000 geringfügig beschäftigte Minderjährige in NRW. Dort werden die Nebenjobber auch den Branchen zugeordnet, in denen sie arbeiten. Mit Abstand am beliebtesten sind der Einzelhandel und die Gastronomie, die zusammen einen Anteil von fast 60 Prozent ausmachen.
Dehoga NRW spricht sich gegen Mindestlohn für Minderjährige aus
Wie viele dieser Jugendlichen den Mindestlohn bekommen, ist allerdings nicht bekannt. Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ geben aber Rewe, Lidl und Aldi Nord an, auch an Minderjährige mindestens den Mindestlohn zu zahlen. Lidl und Aldi Nord sagen, dass sie sogar 14 Euro pro Stunde zahlen. Edeka teilt mit, dass die einzelnen Märkte eigenständig über die Lohnstruktur entscheiden. Detaillierte Informationen erhebe man nicht zentral. Der Handelsverband NRW, in dem viele Supermärkte organisiert sind, weist bei der Frage nach dem Mindestlohn lediglich darauf hin, dass der Gesetzgeber die Ausnahme bei Minderjährigen bewusst gesetzt habe „um keine Fehlanreize zu setzen.“
Das betont auch der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga: „Die Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn für Minderjährige wurde ja nicht ohne Grund geschaffen“, führt Thorsten Hellwig, Pressesprecher der Dehoga NRW, aus. Zum einen sollen Fehlanreize vermieden werden. Minderjährige sollen nicht auf Jobs für Ungelernte setzten, statt auf eine Ausbildung, nur weil sie so auf kurze Sicht mehr verdienen könnten. „Andererseits sieht das Jugendarbeitsschutzgesetz sinnvollerweise Beschränkungen für die Beschäftigung von Minderjährigen vor, sodass man die Arbeit unabhängig von der jeweiligen Qualifikation nicht generell mit der eines Erwachsenen gleichsetzen kann.“ Trotzdem bleibe es möglich, „dass ein Arbeitgeber gute Arbeit zusätzlich honorieren kann.“
Jugendliche aus reicheren Familien haben öfter einen Nebenjob
Andreas Jansen, Leiter der Jugendabteilung des Deutschen Gewerkschaft-Bundes Nordrhein-Westfalen (DGB NRW) hält dagegen: „Das Argument mit den falschen Anreizen ist aus unserer Sicht widerlegt. Erstens gibt es mittlerweile auch eine Mindestvergütung für Auszubildende.“ Diese würde den Anreiz zumindest abschwächen. 2023 liegt die Mindestvergütung bei 620 Euro. „Zweitens haben wir in NRW 44.000 junge Menschen, die noch eine Ausbildung suchen und im Übergangssystem feststecken.“ Für Jansen ist der Mindestlohn eine Gerechtigkeitsfrage: „Es macht überhaupt keinen Sinn, Arbeitnehmende aufgrund ihres Alters zu diskriminieren und ihnen weniger Geld zu zahlen.“
Ein Nebenjob in jungen Jahren kann aber nicht nur die Urlaubskasse aufbessern, sondern Jugendliche auch besser für die Zukunft rüsten. Das stellt das Kölner Institut für Wirtschaft (IW) in seiner Studie zu minderjährigen Minijobbern heraus, die vergangene Woche erschien. „Ein zu ihren sonstigen Lebensumständen passender Nebenjob kann Jugendlichen helfen, am Arbeitsmarkt relevante Kompetenzen und Fertigkeiten zu erlernen und einzuüben“, so Studienautor Wido Geis-Thöne.
Der zentrale Befund der Studie lautet: Einen solchen Nebenjob üben öfter Kinder aus wohlhabenderen Familien aus. Demnach haben rund 52 Prozent der Jugendlichen aus der Hälfte der Familien mit gut situiertem Elternhaus Erfahrungen mit Nebenjobs gemacht. Bei den Jugendlichen aus der ärmeren Hälfte sind es dagegen nur 31,5 Prozent, wie Geis-Thöne auf Grundlage von Daten des Sozio-ökonomischen Panels von 2018 bis 2020 feststellt. Als mögliche Ursache führt die Studie die besseren Netzwerke der Eltern an: „So dürften wohlhabendere Mütter und Väter eher über Kontakte zu Personen verfügen, die ihren Kindern Jobs geben können. Insbesondere gilt das, wenn Eltern selbst Unternehmen leiten“, heißt es dort.
Hauptmotivation beim Jobben ist zwar das Geld (68 Prozent). Doch auch hier gibt es Unterschiede. „Je reicher die Eltern, desto wichtiger ist den Jugendlichen das Interesse an der Tätigkeit selbst“, erklärt Geis-Thöne. Rund 30 Prozent der oberen Einkommensgruppe gaben Interesse am Job als Motivation an, bei der unteren Hälfte waren es nur 25 Prozent.
Sophia jedenfalls haben ihre Kontakte weitergeholfen, auch bei ihrem Gehalt. Ein Privileg, dass sie als Ungerechtigkeit empfindet: „Wir Aushilfen machen hier alle den gleichen Job, egal ob 16 Jahre alt oder 20. Deswegen sollten wir auch alle den Mindestlohn bekommen.“