AboAbonnieren

Pazifisten in Kriegszeiten„Das heißt doch nicht, dass wir Putin Sympathien entgegenbringen“

Lesezeit 5 Minuten
Die Ostermarschierer Uta Radermacher (66) und Gerhard Jenders (72) aus Gummersbach

Die Ostermarschierer Uta Radermacher (66) und Gerhard Jenders (72) aus Gummersbach.

Der Pazifismus hat es schwer und seine Vertreter werden bestenfalls belächelt. Zwei von ihnen sprechen über ihr Engagement gegen den Krieg.

Natürlich habe es Zeiten gegeben, als auch er gehofft habe, der Nationalismus in Europa ließe sich überwinden. Anfang der 1990er Jahre, als der eiserne Vorhang und die deutsche Teilung Geschichte waren und es den Anschein hatte, als könne es gelingen, mit einem neuen Russland unter Michail Gorbatschow zusammen etwas Europäisches aufzubauen. Doch Gerhard Jenders, dessen Engagement für die Ostermärsche und Friedensbewegung bis in die frühen 1980er Jahre zurückreicht, hat sich schon damals nicht von der Euphorie anstecken lassen.

Zwanzig Jahre lang Ostermärsche organisiert

Zwei Jahrzehnte lang hat der ehemalige Physiklehrer aus Gummersbach den Ostermarsch in Oberberg organisiert, den letzten 2022, wenige Wochen nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Eins sei gleich vorausgeschickt: Jenders Rückzug hatte nichts mit Resignation zu tun.

Der 72-Jährige hatte schon im Jahr zuvor angekündigt, sich ganz seiner Arbeit in der Initiative „Oberberg ist bunt, nicht braun“ widmen zu wollen, die seit 16 Jahren gegen rechte Gewalt und Rechtsextremismus kämpft. Gemeinsam mit seiner Frau Gudrun Martineau und ein paar Bekannten hatte er 2008 den Grundstein zu dieser Initiative gelegt. Anlass war die Ankündigung der rechtsextremen Partei Pro, bei den Kommunalwahlen in Oberberg anzutreten.

ARCHIV - 10.04.2023, Hessen, Frankfurt/Main: Eine Frau mit einer Fahne, auf der «Frieden durch Abrüstung Ostermarsch 2023» steht, geht während eines Ostermarschs an Ukraine-Solidaritätsbändern vorbei. (zu dpa: «Ostermärsche am Wochenende: Linke warnt vor Vereinnahmung durch Rechte») Foto: Sebastian Gollnow/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Eine Frau mit einer Fahne geht während eines Ostermarschs 2023 an Ukraine-Solidaritätsbändern vorbei.

Natürlich haben ihn auch die Ostermärsche nie losgelassen. Sie sind Teil seines Lebens, seiner Geschichte, seit er Anfang der 1980er gegen den Nato-Doppelbeschluss auf die Straße ging. Wann genau sein erstes Mal war, kann er nicht mehr sagen. An die Ostermärsche von Gummersbach nach Köln 1984 und 85 kann er sich aber gut erinnern. „Da sind wir aus dem Sauerland gekommen und mit dem Baby-Wickelwagen losgezogen.“

Friedensbewegte sind unter Rechtfertigungsdruck

Beim Treffen am Wohnzimmertisch in Gummersbach, zu dem auch seine Mitstreiterin Ute Radermacher (66) gekommen ist, geht es nicht darum, in Nostalgie zu schwelgen. Die Ostermarschierer und Friedensbewegten sind in Bedrängnis geraten, stehen seit Putins Überfall auf die Ukraine unter einem ständigen Rechtfertigungsdruck. Der Pazifismus hat es schwer und seine Vertreter werden bestenfalls belächelt.

Jenders stellt sich diesem Druck. „In den letzten Jahren sind die wichtigsten Abkommen zur atomaren Abrüstung und gegenseitigen Kontrolle aufgekündigt worden und die US-Regierung insbesondere unter Trump hatte daran einen bedeutenden Anteil. Und wir, die Friedensbewegung, waren nicht stark genug, das zu verhindern“, sagt er. Bei jedem Ostermarsch der vergangenen Jahre habe man gegen die Kriege auf der Welt protestiert und gemahnt, dass die Konflikte dort mit militärischen Mitteln nicht zu lösen sind. „Sollen wir an dieser Haltung etwas ändern?“

Niemand spricht der Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung ab
Ute Radermacher

Nein. Auch Ute Radermacher tritt in diesem Punkt sehr entschieden auf. „Niemand spricht der Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung ab. Wir müssen aber schon jetzt an das Ende des Krieges denken. Welche jahrzehntelangen Folgen er haben wird. Das können wir in Afghanistan gerade beobachten. Die Menschheit kann es sich allein wegen der Atomwaffen nicht leisten, weiter Kriege zu führen. Und wegen der Klimaveränderung auch nicht.“ Deshalb komme auf alle Staaten, die sich nicht im Krieg befinden, eine besondere Verantwortung zu. „Sie müssen mäßigend auf beide Seiten einwirken. Das heißt doch nicht, dass wir deshalb Putin irgendwelche Sympathien entgegenbringen.“

Am Ende werde es Verhandlungen geben müssen. „Niemand sagt, dass so etwas einfach ist.“ Genau das habe Papst Franziskus gemeint, als er die Ukraine aufgefordert habe, die weiße Fahne zu hissen, auch wenn der Begriff sicherlich unglücklich gewählt sei. „Ich bin kein Freund des Papstes, aber das kann ich nachvollziehen. Warum nicht gleich damit beginnen statt weiter zu töten und zu zerstören?“

Wir müssen immer wieder daran erinnern, dass der Krieg keine Lösung bringen wird
Gerhard Jenders

Die Friedensbewegung und die Ostermarschierer seien nicht dazu verpflichtet, Realpolitik zu machen. „Natürlich haben wir es leichter. Wir können eine klare Position vertreten“, sagt Jenders. „Unsere Aufgabe ist es, zu mahnen und uns permanent für Verhandlungen und Frieden einzusetzen. Wir müssen immer wieder daran erinnern, dass der Krieg keine Lösung bringen wird.“

Darauf geachtet, dass die AfD die Märsche nicht unterwandert

Genau das hat Jenders Ostern 2022 mit einer eindrucksvollen Rede noch einmal getan. „Die Menschheit kann sich diesen Krieg nicht leisten. Sie kann sich keinen der Kriege leisten, die zurzeit geführt werden. Sie kann sich überhaupt keinen Krieg leisten. Der Klimawandel stellt die Menschheit vor Herausforderungen, die sie nur gemeinsam meistern kann. Die Naturgesetze, denen die menschengemachte Erderwärmung folgt, lassen nicht mit sich verhandeln. Wir und vor allem unsere Kinder und Enkel haben nur dann eine Chance, wenn wir uns einigen, wenn wir den Kriegs- und Großmachtplänen der alten Männer entgegentreten, wenn wir weltweit gemeinsam daran arbeiten, dass der Reichtum gerechter verteilt wird, wenn wir unseren Energieverbrauch reduzieren und gemeinsam die fossile Verbrennung stoppen.“

Jenders und Radermacher werden sich weiter dafür engagieren, diesem Ziel einen Schritt näher zu kommen. Auch wenn es in Oberberg in diesem Jahr keinen Ostermarsch geben wird. Nachdem Jenders sich zurückgezogen hat, ist die Initiative eingeschlafen. Man habe in den Jahren zuvor immer darauf geachtet, dass die Veranstaltung nicht von Querdenkern und der AfD unterwandert werde. „Deshalb mussten wir unsere Aufrufe so formulieren, dass klar war, wir haben weder etwas mit Nationalisten noch mit den Rechten zu tun. Das ist uns immer gelungen.“

Und genau da macht der 72-Jährige weiter. Weil sein Oberberg bunt ist. Und nicht braun.


Die Ostermärsche in NRW im Überblick

In NRW sind am Osterwochenende zahlreiche Demonstrationen für den Frieden geplant. Die größte Veranstaltung ist der Ostermarsch Rhein-Ruhr, der traditionell von Duisburg nach Dortmund führt. Die Teilnehmer kommen zunächst am Samstag unter anderem aus Duisburg, Düren, Wuppertal und Aachen nach Köln zu einer Kundgebung zum Thema „Für eine zivile Zeitenwende – Kriege beenden, Aufrüstung stoppen!“. Am Sonntag schließt sich beim Ostermarsch Rhein-Ruhr eine Radetappe von Essen bis Bochum an. Am Ostermontag endet die Veranstaltung in Dortmund.

Die Aktionen fänden vor dem Hintergrund von zwei Jahre Ukraine-Krieg sowie des Gaza-Kriegs statt, sagte Kristian Golla vom Bonner Netzwerk Friedenskooperative, das die Ostermärsche bundesweit koordiniert. Es gehe um das Thema „Verhandeln statt Schießen“. Insgesamt werden zu den verschiedenen Aktionen an den Tagen um Ostern in NRW mehrere Tausend Teilnehmer erwartet. Getragen werden die Veranstaltungen häufig von örtlichen Friedensgruppen.

Auch in Bonn, Siegen, Hamm, Hemer-Iserlohn und Bielefeld sind am Samstag Veranstaltungen geplant. In Münster soll es eine „Friedens-Fahrrad-Demo“ durch die Stadt geben. Am Ostermontag ist auch in Krefeld eine Radtour geplant. (dpa)