14 Menschen aus NRW, die ihr Leben riskiert haben, um anderen zu helfen, wurden mit der Rettungsmedaille des Landes ausgezeichnet.
Lebensretter aus NRW geehrtSie liefen ins Feuer, kämpften mit einem Messerangreifer und vertrieben eine Bulldogge
„Ja, klar“, sagt Michael Klein aus Leverkusen, als ob es ihm etwas peinlich wäre. „Sicher, das ehrt mich, auf jeden Fall, klar.“ Der 34-Jährige bekommt die Rettungsmedaille des Landes Nordrhein-Westfalen, verliehen vom Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) persönlich. Weil er bei einem Brand in dem Mehrfamilienhaus, in dem auch er gewohnt hat, mehreren Menschen vermutlich das Leben gerettet hat. „Die ganze Resonanz darauf, auch das hier, das überrascht mich schon sehr“, sagt er. „Ich habe doch nur getan, was selbstverständlich ist, was jeder gemacht hätte.“
14 Personen werden am Freitag in Düsseldorf geehrt, vor historischer Kulisse des Ständehauses der Landeregierung. Zwei davon beispielsweise haben Menschen nach einem schweren Unfall auf der Autobahn aus ihren Fahrzeugen gezogen und so deren Leben gerettet. Zwei andere haben einen Mann vor dem Ertrinken im Dortmund-Ems-Kanal bewahrt und ein weiterer sorgte durch sein Einschreiten dafür, dass ein Messerattentäter in Mülheim an der Ruhr nach einem ersten Angriff nicht noch andere Opfer fand.
Kushtrim Hetemi aus Würselen riskierte am 27. Juli 2021 sein Leben, um eine suizidgefährdete Frau zu retten, die mit den Händen an einer Autobahnbrücke hing. Der Heizungsbauer, der die Situation zufällig beobachtete, wickelte einen 20 Meter langen Füllschlauch mehrfach um seine Taille, das andere Ende verknotete er am Geländer. Dann kletterte er über den Brückenrand und hielt die Frau so lange fest, bis die Feuerwehr unten auf der Autobahn ein Sprungtuch aufgefaltet hat.
Die brennende Tür eingetreten
Was Michael Klein aus Leverkusen für selbstverständlich hält, ereignet sich in der Nacht zum 27. Mai 2021 im Leverkusener Stadtteil Steinbüchel. Es ist ein lauter Knall, kurz nach Mitternacht, der den Mann aus dem Schlaf reißt. „Ob was explodiert ist?“, denkt er schlaftrunken und schaut aus dem Fenster. Als er nichts Verdächtiges entdeckt, sich wieder hinlegt und wegdöst, schrillen die Brandmelder in seiner Wohnung.
„Rauch und Brandgeruch, das war das Erste, was ich wahrgenommen habe“, erzählt Klein, der im Straßenbau arbeitet. Um dem Qualm zu entgehen, wirft er sich auf den Boden und robbt auf allen Vieren in Richtung Wohnungstür. Der heute 34-Jährige wohnt im zweiten Stock eines zweistöckigen Miethauses. Als er in den Hausflur stürmt, ruft sein direkter Nachbar um Hilfe.
Einer ist aus dem Fenster gesprungen
Weil er das Handy in seiner Wohnung zurücklassen musste, bittet Klein zunächst einen anderen Bewohner der Etage, den Notruf anzurufen „Sag‘ denen, dass es hier im zweiten Obergeschoss brennt, dass eine Person vermutlich noch in der Brandwohnung ist und das Haus jetzt evakuiert wird“, instruiert er den unter Schock stehenden Mann.
Klein ist seit 2003 bei der Freiwilligen Feuerwehr in Leverkusen, kennt sich mit Feuer etwas aus. „Vielleicht ist das der Grund, wieso ich so schnell ins Handeln gekommen bin“, sagt er: „Aber wer weiß das schon, das kann man schwer sagen, denn Profi in solchen Dingen bin ich sicher nicht.“ Mit Wucht tritt er an jenem Abend die Tür des um Hilfe rufenden Anwohners auf, der plötzlich still ist. Um sich zu retten, ist der Mann aus dem Fenster gesprungen, wird sich später herausstellen.
Aus seiner Wohnung jedenfalls züngeln Flammen. Und dichter, giftiger Rauch droht den Hausflur zu wattieren, als die auch innen schon brennende Tür aus den Angeln gebrochen wird. Klein schiebt sie sofort wieder zurück, um den Brandherd zu verschließen. Dann stürzt er laut schreiend ein Stockwerk tiefer. Er macht Lärm, damit alle im Haus aufwachen, hämmert so lange gegen die sechs Wohnungstüren, bis jemand aufmacht.
„Raus, sofort raus!“
„Raus, sofort raus!“, sagt er dann. Wer erstmal geschockt stehen bleibt, der wird von Klein gepackt und in Richtung Treppenhaus geschoben. Sechs Personen und eine Katze stehen vor dem Gebäude, als wenige Minuten später die Feuerwehr mit 29 Fahrzeugen und 59 Helfern anrückt. „Wir haben uns umarmt, manche haben geweint“, erzählt Klein: „Und einige haben sich bedankt, dass ich so schnell reagiert habe.“
„Sie haben Ihr eigenes Leben riskiert, um das anderer Menschen zu retten“, sagt Hendrik Wüst bei der Ehrung im Ständehaus: „Sie haben Herausragendes geleistet, sind ein Vorbild für uns alle.“ Die Rettungsmedaille sei die seltenste, die im Land vergeben werde. „Sie wurde seit 1951, also in 73 Jahren, nur 1.391-mal verliehen“, so der Ministerpräsident.
Jochen Naßmacher versucht, einen Messerangreifer aufzuhalten
Jochen Naßmacher, Tankstellen-Pächter aus Lengerich, stürmt sofort los, als eine seiner Kassiererinnen am 30. November 2022 von einem Mann mit einem Messer bedroht wird. Um die Frau, die auch seine Lebensgefährtin war, zu schützen, packt er den Täter von hinten. Der aber kann sich losreißen, hebt die 15 Zentimeter lange Klinge und sticht immer wieder auf den am Boden liegenden Pächter ein.
In dem Moment kommt zufällig ein Streifenwagen der Polizei zur Tankstelle. Der Beamte stürmt mit Pistole in den Verkaufsraum, setzt Pfefferspray ein und fordert den 44-Jährigen vergeblich auf, das Messer wegzuwerfen. Schließlich schießt er. Getroffen von fünf Projektilen in Oberarm und Oberkörper sackt der Angreifer zusammen.
Das Leben des psychisch kranken Täters, der etwa ein Jahr später zu vermutlich lebenslanger Sicherungsverwahrung verurteilt wird, wird im Krankenhaus gerettet. Jochen Naßmacher stirbt zwei Tage nach dem Angriff. Zu zahlreich waren die Stiche, vor allem im Bauch, die Ärzte konnten nicht mehr helfen.
Der Attentäter überlebt, der Retter nicht
Zur Beerdigung kommen über 1000 Menschen, die Tat hat weit über Lengerich hinaus für Bestürzung und Anteilnahme gesorgt. „Wenn ihr bei Nacht in den Himmel seht, wird es euch sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihm wohne und lache“, schreibt eine Trauernde in Gedanken an den Verstorbenen, für den eine Trauerseite im Internet eingerichtet wird. Eine andere fügt hinzu: „Du hinterlässt eine große Lücke, aber auch einen wunderbaren Sohn, dem du viel gegeben und gelehrt hast. Wir werden für ihn da sein und ihm zur Seite stehen. Mit ihm lebt ein Teil von Dir weiter.“
Jochen Naßmacher wurde nur 54 Jahre alt. „Eine posthum verliehene Medaille wie diese kann Ihren Schmerz sicher nicht lindern, aber wir alle können Ihrem Vater, Ihrem Bruder ein ehrendes Andenken bewahren“, sagt Ministerpräsident Wüst, als der Sohn und der Bruder des Verstorbenen dessen Auszeichnung entgegennehmen.
Der Hund, der seine Halterin angegriffen hat
„Mut ist die Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten Situation seine Angst zu überwinden“, schreibt der Duden: „Es ist die Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält.“
Es ist schon dunkel, als Günter Wagner aus Blankenheim am 19. Dezember 2021 zur Tankstelle fährt. Noch weit weg im Scheinwerferlicht sieht er jemanden auf dem Boden liegen. „Ich habe gedacht, da ist einer überfahren worden, und der Autofahrer ist dann einfach abgehauen”, erzählt der 68-Jährige. Als er näher kommt, glaubt er zunächst nicht, was er sieht. Ein großer Hund sitzt neben der regungslosen Frau, hat sich in ihre linke Schulter verbissen und zerrt an ihr.
Die außer Kontrolle geratene Spanische Bulldogge, etwa 60 Kilo schwer und muskelbepackt, erschreckt Wagner zutiefst. Er hupt, aber der Hund reagiert nicht. Dann überlegt der Landwirt, ob er den Angreifer überfahren kann. Aber der ist zu nah an der Frau dran, hat sich jetzt sogar auf ihren Rücken gesetzt.
„Was machst du jetzt?“, fragt Wagner sich, Panik steigt auf. „Ich hatte eine tierische Angst, das können Sie mir glauben“, erzählt er. „Ist das richtig, wenn du aussteigst? Gefährdest du damit dein eigenes Leben?“ All' diese Gedanken sind es, die schrill rot in seinem Gehirn aufleuchten, während sein Herz in der Brust Alarm pocht.
Mit Kunststoffkanistern auf die rasende Bulldogge eingeschlagen
Wagner aber tut es trotzdem, er steigt aus. „Ich glaube, ich hätte es mir nie verziehen, wenn ich das nicht gemacht hätte.“ Er greift sich zwei leere Hartplastikkanister von der Ladefläche seines Wagens. Jetzt oder nie, denkt er, und drischt mit den Kanistern auf das wütende Tier ein. Wieder und wieder, zwanzig oder dreißig Mal, bis er außer Puste ist. Doch der Hund reagiert nicht, verbeißt sich weiter in sein Opfer.
„Was soll ich nur machen?”, fragt Wagner sich. Noch einmal tief Luft geholt, dann drischt er dreimal mit voller Kraft auf die Bulldogge ein. Ein letzter, verzweifelter Versuch. „Da hat das Tier abgelassen, ist einen Schritt zurück getreten und hat mich fixiert”, erzählt der Rentner. „Ich habe gedacht, jetzt musst du standhaft bleiben, sonst fällt der Köter auch über dich her.” Der Blankenheimer bleibt stehen, schlägt die Kanister lautstark vor seiner Brust zusammen und schreit den Hund an. Der weicht einen Schritt zurück, fixiert sein Gegenüber aber weiterhin, bis er dann endlich wegläuft.
Ein Moment, den Wagner wohl nie vergessen wird. Noch Wochen später wird er sich nachts umdrehen, aus Angst, verfolgt zu werden. Die Frau, die er gerettet hat, besucht ihren Retter drei Monate nach dem Angriff. Sechs Operationen habe sie bereits hinter sich, demnächst sei noch eine weitere an dem damals zerfetzten Arm geplant, erzählt sie. Und dass die Bulldogge ihr gehörte und dass sie keine Erklärung dafür habe, warum das Tier so ausgerastet sei.