Antrag auf MachbarkeitsstudieHambacher See könnte ein gigantischer Stromspeicher werden

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Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts bereiten am 08.11.2016 in Konstanz (Baden-Württemberg) unmittelbar am Ufer des Bodensees einen Kugelspeicher aus Beton vor, um diesen später im Bodensee für wenige Wochen zu Testzwecken zu versenken. Mit der Kugel, die einen Durchmesser von drei Metern hat, soll nach Institutsangaben getestet werden, ob sie unter Wasser als Energiespeicher dienen kann. Foto: Felix Kästle/dpa ++ +++ dpa-Bildfunk +++

Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts bereiten im November 2016 am Bodensee einen Kugelspeicher aus Beton vor, um ihn zu Testzwecken zu versenken. Mit der Kugel wurde getestet, ob sie als Energiespeicher dienen kann.

Auf dem 400 Meter tiefen Grund des geplanten Tagebausees sollen 500 Speichereinheiten immer dann Strom liefern, wenn er gebraucht wird.

Kann das Rheinische Revier nach dem Ende der Braunkohleförderung im Jahr 2030 das Problem der Energieversorgungssicherheit nicht bloß für das Rheinland, sondern rein rechnerisch für ganz Deutschland lösen? Könnte der Hambacher Tagebausee zum gigantischen Stromspeicher werden, weil auf seinem Grund 500 Kavernen, also Speichersegmente aus Beton stehen, die das weltgrößte Pumpspeicherkraftwerk antreiben?

Technologie in dieser Dimension noch nie umgesetzt

Die SPD-Fraktion im Landtag ist davon zumindest so weit überzeugt, dass sie die Landesregierung in einem Antrag auffordert, eine Machbarkeitsstudie für eine Technologie in Auftrag zu geben, die zwar nicht neu ist, aber in dieser Dimension noch nie umgesetzt wurde und das Speicherproblem lösen könnte.

„Der Hambacher See mit einer Tiefe von 400 Metern scheint dafür ideal“, sagt André Stinka, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD, und hat sich für diese Behauptung wissenschaftliche Expertise in Gestalt des Physikers und emeritierten Professors Horst Schmidt-Böcking an seine Seite geholt.

Sonnenkollektoren in der Manheimer Bucht: Der künftige Hambacher See im ehemaligen Braunkohlentagebau Hambach.

Sonnenkollektoren in der Manheimer Bucht: Der künftige Hambacher See im ehemaligen Braunkohlentagebau Hambach.

„Das ist ein ambitioniertes und einmaliges Infrastrukturvorhaben, das auf eine Umsetzbarkeit aus unserer Sicht genau zu untersuchen ist“, sagt Stinka. Der Tagebausee könne so viel Energie speichern, dass sich damit Nordrhein-Westfalen lückenlos und nachhaltig „ohne fossile Kraftwerke und Atomenergie versorgen lässt.“ Auch wenn die Sonne nicht scheint oder kein Wind weht.

Je tiefer das Gewässer, desto leistungsstärker sind die Speicher

Die konventionelle Technik eines Pumpspeicherkraftwerks, die auf einem großen Höhenunterschied zwischen beiden Speicherbecken beruht, wird dabei auf einen See übertragen. Die Kavernen auf dem Grund entsprechen dem unteren Becken, der sie umgebene See dem oberen. Der Wasserdruck in der Tiefe bietet den Widerstand, den andernfalls die Schwerkraft beim Hochpumpen in ein Oberbecken auf dem Berg leistet. Ein solch innovativer Speicher ist umso leistungsstärker, je tiefer das Gewässer ist.

Schmidt-Böcking und ein Forscherkollege haben seit 2011 ein Patent auf dieses Verfahren, das sich den Druckunterschied unter Wasser zunutze macht. Im November 2016 wurde im Bodensee in Kooperation mit dem Baukonzern Hochtief eine drei Meter große Betonkugel im Bodensee versenkt, um zu testen, ob das Verfahren tatsächlich funktioniert.

Das bedeutet: Bei einem Stromüberschuss wird Wasser nicht durch Rohrleitungen den Hang hinauf gepumpt, sondern aus den gefluteten Speichern auf dem Seegrund gegen den Wasserdruck des umgebenden Gewässers in diesen hineingepumpt. Bei Strommangel werden die Segmente geflutet und treiben dabei jeweils eine Turbine an – was bei einem Pumpspeicherkraftwerk durch den Rückfluss den Hang hinab geschieht.

Pro Zyklus könnten 450 GWh gespeichert werden

Das Hambacher Loch als riesiger Speicher für regenerative Energien ist aus ihrer Sicht ideal geeignet. Pro Zyklus des Herauspumpens und Einströmens sei eine Speicherung von bis zu 450 Gigawattstunden möglich. Der Strombedarf von Düsseldorf liegt bei rund neun Gigawattstunden in 24 Stunden, ein durchschnittlicher Chemiepark brauche sechs Gigawattstunden am Tag, so der Wissenschaftler.

Man müsse auch nicht 50 Jahre warten, bis der See vollgelaufen sei, sagt Schmidt-Böcking. In der Befüll-Phase könne man die Manheimer Bucht mit ihren 250 Millionen Kubikmetern Wasserinhalt als „provisorisches Oberbecken nutzen. Wir hätten dann einen vollständigen Kreislauf mit den Kavernen auf dem Grund und dem provisorischen Obersee.“ Die Kavernen auf dem Grund des künftigen Sees seien 120 bis 140 Meter hoch bei einem Durchmesser von 125 Metern. „Die können sofort nach dem Bau sofort genutzt werden, also schon im Jahr 2035.“

Der SPD gehe es darum, mit einer Machbarkeitsstudie grundsätzlich zu prüfen, ob ein Stromspeichersee im Tagebaugebiet technisch sinnvoll und umsetzbar ist. „Es ist unser Anliegen, ein klimaneutrales und möglichst kostengünstiges Energiesystem der Zukunft zu etablieren“, so Stinka. In NRW werden derzeit nur zwei kleine Pumpspeicherkraftwerke mit einer Speicherkapazität von 1,3 GWh betrieben.

Das NRW-Wirtschaftsministerium hatte bereits 2019 eine Studie zu den Potenzialen solcher Kraftwerke in den Tagebauseen in Auftrag gegeben. „Die Autoren weisen darin ausdrücklich auf die Option der Kavernenspeicher hin“, so Stinka. Die seien damals aber nicht Teil des Untersuchungsauftrags gewesen.

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