Den Kommunen entstehen Schäden in Millionenhöhe, wenn Kindergeld für Kinder bezahlt wird, die es nicht gibt. Jetzt soll eine Task Force ermitteln.
Schäden in MillionenhöheBei Sozialbetrügern in NRW klingelt jetzt die Polizei
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Bei einer Meldekontrolle durch verschiedene Behörden am Problem-Hochhaus „Weißer Riese“ in Duisburg stehen Polizisten vor dem Hochhauskomplex.
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Der „Weiße Riese“ türmt sich auf 20 Etagen empor und beherbergt 320 Wohnungen im Duisburger Stadtteil Hochheide. Das Hochhaus gilt als unsicher, der Paketzusteller DHL weigerte sich, Boten ins Haus zu schicken. Die Polizei ist häufig dort, um Streit zu schlichten. Neuerdings sind auch Fahnder im Einsatz, die vom Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf im Rahmen des Modells „Missimo“ koordiniert werden. „Es geht darum, Sozialbetrügern das Handwerk zu legen“, sagt Kriminaloberrat Sebastian Goebels im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Oft werden Leistungen für Personen bezogen, die an den gemeldeten Adressen nicht mehr wohnhaft sind.“
„Missimo“ ist eine Abkürzung, die für „Sozialleistungsmissbrauch im Zusammenhang mit Problemimmobilien“ steht. In vielen NRW-Kommunen entsteht den öffentlichen Haushalten jährlich ein Schaden in siebenstelliger Höhe durch erschlichene Auszahlungen. „Zum Teil warben kriminelle Banden auf Dorfplätzen in Südosteuropa ganz offen Menschen an, die nach Deutschland reisen sollten, um Sozialleistungen zu beantragen“, sagt Sebastian Goebels. „Waren die Anträge gestellt, wurden die Menschen wieder nach Hause geschickt. Die Leistungen flossen oft auf die Konten der Strippenzieher.“
Mehr als 500 Millionen Euro Kindergeld gehen ins Ausland
Eine besonders beliebte Einnahmequelle für Kriminelle ist der Betrug beim Kindergeldbezug. Die Bundesarbeitsagentur hat nach eigenen Angaben im Jahr 2024 mehr als 500 Millionen Euro Kindergeld ins Ausland überwiesen. Das fließt dann, wenn die Kinder in den Herkunftsländern – zum Beispiel bei ihren Großeltern - leben, während die Eltern in Deutschland sozialversicherungspflichtig tätig sind.
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Der Missbrauch des Kindergeldanspruchs wird auch durch den Umstand erleichtert, dass es in Deutschland keine Kita-Pflicht gibt. So bleiben viele Kinder, die bei den Kommunen gemeldet sind, aber längst woanders leben, oft bis zur Einschulung unter dem Radar der Behörden. Bislang gab es vielerorts keinen Austausch zwischen den Schulen und den Familienkassen. „Wir haben jetzt viele neue Kommunikationswege geschaffen, durch die wir Hinweise auf verdächtige Fälle bekommen“, sagt LKA-Dezernatsleiter Goebels. Nimmt ein Kind, für das Kindergeld gezahlt wird, nicht an der Schulanmeldung teil, schrillen die Alarmglocken.
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Sebastian Goebels ist Leiter des polizeilichen Teils von „Missimo“. Er sagt: „Wir haben jetzt viele neue Kommunikationswege geschaffen, durch die wir Hinweise auf verdächtige Fälle bekommen.“
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Auch die Jugendämter können zum Teil dazu beitragen, Sozialbetrügern auf die Spur zu kommen. Beispielsweise kann es ein Indiz für Sozialbetrug sein, wenn Kinder nicht an den empfohlenen Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen. Es gibt jedoch keine gesetzliche Pflicht, einen Kinderarzt aufzusuchen. Allerdings sollten die Jugendämter zumindest einmal bei den Familien nachfragen, warum man nicht zur Untersuchung gegangen ist. Bislang haben sich viele Mitarbeiter keine Gedanken darüber gemacht, dass solche Informationen auch für den Fiskus relevant sein könnten.
Genau hinzuschauen lohnt sich. Allein in Krefeld wurden bei der ersten Stichprobe Fälle aufgedeckt, die zu einem Schaden von mindestens 1,7 Millionen Euro geführt haben. Auch in Gelsenkirchen wurden weit mehr als hundert Verstöße festgestellt. In Wuppertal kam ein sechsstelliger Schadensbetrag für den Steuerzahler ans Licht.
Bei Kontrollen in Duisburg wurden 71 Kinder und 49 Erwachsene ermittelt, die dort nicht wohnten. Auch in Leverkusen, Düren, Solingen, Herne und Castrop-Rauxel hat „Missimo“ Sozialbetrügern das Handwerk gelegt. Die Aktionen werden unter Federführung der Kommunen durchgeführt. Das LKA begleitet die Aktionen.
Das erfolgreiche Modell aus NRW hat mittlerweile bundesweites Interesse erregt. Das Düsseldorfer LKA hat das Konzept in Hessen und Bremen vorgestellt, auch nach Baden-Württemberg gab es Kontakte. NRW-Innenminister Herbert Reul überzeugen nicht nur die hohen Kosteneinsparungen: „Viele Bürger sind mit dem Staat unzufrieden, weil sie meinen, er würde zu wenig gegen die Menschen unternehmen, die es sich in der Hängematte bequem machen, während sie jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen.“ „Missimo“ zeige, dass der Staat wehrhaft gegen Sozialbetrüger vorgehe, die versuchten, das Leistungssystem auszutricksen. „Insofern ist das auch eine vertrauensbildende Maßnahme“, sagte der CDU-Politiker aus Leichlingen unserer Zeitung.
Der vorsätzliche unberechtigte Kindergeldbezug wird strafrechtlich wie eine Steuerhinterziehung geahndet. Es drohen hohe Geldbußen und Haftstrafen bis zu fünf Jahren. In Köln können die Kontrollen in diesem Jahr starten.