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Streit um hohen RichterpostenVerfassungsgericht gibt Beschwerde von abgelehntem Bewerber teilweise Recht – Druck auf Limbach

Lesezeit 5 Minuten
Benjamin Limbach (Bündnis 90/Die Grünen), Justizminister von Nordrhein-Westfalen, steht bei einer Pressekonferenz vor denKameras.

Benjamin Limbach (Bündnis 90/Die Grünen), Justizminister von Nordrhein-Westfalen, steht bei einer Pressekonferenz vor den Kameras.

Die Besetzung des Chefpostens am Oberverwaltungsgericht Münster mit der Wunschkandidatin von Justizminister Limbach muss erneut geprüft werden.

Das Urteil der Opposition im Düsseldorfer Landtag für Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) fällt ähnlich klar aus wie der Spruch des Bundesverfassungsgerichts zur Affäre um die Besetzung des Präsidentenamts am Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster: Karlsruhe habe dem Minister eine „klare Klatsche“ verpasst, so FDP-Fraktionschef Henning Höne. Und die SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss zur „Besetzungsaffäre“ kündigte umgehend an, Limbach für die nächste Sitzung des Gremiums als Zeugen zu laden. Damit geht nicht nur die juristische, sondern auch die politische Aufarbeitung in die nächste Runde. Klar ist damit auch, was der frühere OVG-Präsident Michael Bertrams feststellt: Die rund dreijährige Vakanz an der OVG-Spitze bleibt wohl noch für längere Zeit bestehen. Und: Die von Limbach vorgesehene Kandidatin kommt vorerst nicht zum Zuge.

Genau darum dreht sich der langwierige Streit über einen der wichtigsten Posten in der Justiz des Landes. Ein Bewerber, seines Zeichens Richter am Bundesverwaltungsgericht, fühlte sich benachteiligt und behauptete, der Minister habe bei der Kandidatenauswahl die vom Grundgesetz vorgeschriebene Bestenauslese vernachlässigt und zugunsten einer Duz-Bekanntschaft politisch Einfluss genommen.

Limbach schlug Kandidatin für den Posten selbst vor

Nach Darstellung des Bundesverfassungsgerichts traf sich Limbach einige Wochen nach seinem Amtsantritt Ende Juni 2022 zum Essen mit einer Ministerialdirigentin aus dem Landesinnenministerium. Diese habe ihm gesagt, dass sie sich auf die Stelle am OVG bewerben wolle. Es gab außerdem zwei weitere Bewerber. Für alle wurden dienstliche Beurteilungen angefordert. Für die neue Kandidatin erstellte Limbach selbst eine sogenannte Überbeurteilung mit der Bewertung „hervorragend geeignet“. Er schlug sie dann für den hochrangigen Posten vor. Der Präsidialrat der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit stimmte zu.

Dagegen wandte sich der Mitbewerber. Der Justizminister habe in einem persönlichen Gespräch mit ihm von einem „Vorsprung“ der Konkurrentin gesprochen und ihm den Rückzug nahegelegt. Gleiches habe ihm ein hochrangiger CDU-Bundestagsabgeordneter in einem Telefonat zu verstehen gegeben: Koalitionskreise in Düsseldorf hätten sich auf die Frau mit CDU-Parteibuch verständigt. Zum Verlauf beider Gespräche gab der Jurist eidesstattliche Versicherungen ab.

Das Verwaltungsgericht Münster verbot dem Ministerium per Eilantrag vorläufig, die Stelle mit der von Limbach favorisierten Kandidatin zu besetzen. Das OVG änderte diese Entscheidung aber später. Der Vorwurf, das Ministerium habe das Besetzungsverfahren manipulativ gestaltet, sei haltlos, erklärte es. Daraufhin wandte sich der Bewerber an das Bundesverfassungsgericht. Dieses entschied nun, dass der Bewerber in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt worden sei. Das OVG habe den Sachverhalt, in dem die Opposition im Landtag einen Persilschein Limbachs sieht, nicht ausreichend aufgeklärt. Es habe nur darauf verwiesen, dass die behauptete Äußerung vom „Vorsprung“ der Kandidatin auf einer zulässigen Voreinschätzung beruhen könne.

SPD legt Limbach Rücktritt nahe

Deshalb muss sich ein anderer Senat des OVG nun erneut mit dem Fall befassen. Parallel dazu durchleuchtet ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Affäre. Zumal sich auch der Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski (CDU), in umstrittener Art und Weise in das Auswahlverfahren eingemischt haben soll. Für die Opposition steht der Verdacht im Raum, dass das CDU-Parteibuch und die Beziehungen der Bewerberin zu Limbach den Ausschlag bei der Besetzung gegeben hätten und nicht die fachliche Kompetenz. Die FDP-Fraktion sehe sich in ihrem Eintreten für einen Untersuchungsausschuss bestätigt, sagte ihr rechtspolitischer Sprecher Werner Pfeil. Viele Fragen, auch zur Rolle der Staatskanzlei NRW und der CDU auf Bundesebene, müssten beantwortet werden. „Dieser Skandal ist ein schwerer Schaden für den Rechtsstaat in NRW und ein fatales Signal an alle qualifizierten Bewerberinnen und Bewerber, die sich auf solche Spitzenpositionen bewerben.“

Die SPD-Fraktion legte Limbach erneut den Rücktritt nahe: „Das Eis, auf dem sich Herr Limbach bewegt, ist inzwischen so dünn, dass er Konsequenzen ziehen und den Weg für einen Neuanfang frei machen sollte“, sagte Vize-Fraktionschefin Elisabeth Müller-Witt. Ein Sprecher des Justizministeriums ordnete den Spruch aus Karlsruhe dagegen nicht als Niederlage ein: „Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung des höchsten Verwaltungsgerichts in Nordrhein-Westfalen allein wegen der Notwendigkeit weiterer gerichtlicher Aufklärung aufgehoben und die Verfassungsbeschwerde in allen übrigen Punkten nicht zur Entscheidung angenommen.“

Ex-OVG-Präsident: „An der Vorfestlegung des Ministers gibt es keinen Zweifel“

Tatsächlich hatte die Beschwerde in den Teilen keinen Erfolg, die sich gegen angebliche weitere Mängel des Auswahlverfahrens und die Begründung der Auswahl zwischen den Bewerbern richtete. Hier sah Karlsruhe einen Verstoß gegen die Verfassung nicht ausreichend dargelegt und nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an. Die sachliche Prüfung sei ohnehin Sache der Fachgerichte. Das Ministerium bekräftigte, es werde seine Position nun auch im nächsten Durchgang vor dem OVG „entschlossen vertreten und alles Notwendige zur weiteren Aufklärung beitragen“. Eine unzulässige Vorfestlegung Limbachs habe es nicht gegeben.

Das sieht Ex-OVG-Präsident Bertrams, der von 1994 bis 2013 auch an der Spitze des Verfassungsgerichtshofs für NRW stand, anders. Vom Urteil aus Karlsruhe zeigt er sich nicht überrascht. „Mit seiner Entscheidung hat das höchste deutsche Gericht in Erinnerung gerufen, dass das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern aus Artikel 33 des Grundgesetzes eine ergebnisoffene Ermittlung des fachlich besten Bewerbers verlangt“, sagt Bertrams im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die Ausführungen des OVG habe Karlsruhe als „verfassungsrechtlich nicht tragfähige Begründung“ bezeichnet.

Dem OVG schreibt sein ehemaliger Präsident ins Stammbuch, es hätte die vom unterlegenen Bewerber vorgetragenen Hinweise auf eine Vorfestlegung Kriterien aufklären und würdigen müssen. Stattdessen habe es die Ministerentscheidung mit der Begründung durchgewunken, es gebe keinen tauglichen Anhaltspunkt für eine Voreingenommenheit, sodass eine weitere Sachaufklärung unterbleiben könne. „An der Vorfestlegung des Ministers gibt es meines Erachtens keinen Zweifel“, sagt Bertrams. „Doch dies festzustellen, bleibt nunmehr einem anderen Senat im OVG vorbehalten.“