Alles droht ganz schnell vorbei zu sein, als man Franz 2017 die Diagnose Lungenkrebs mitteilt: Unheilbar, Metastasen. Nun bekommen er Lebenszeit geschenkt – von der Wissenschaft.
Krebsforschung Uniklinik Köln„Als sie mir den Studienausweis rüberschob, hab ich innerlich getanzt“

Der ehemalige Polizist Franz ist unheilbar an Lungenkrebs erkrankt. Nun nimmt er an der Uniklinik Köln an einer Studie teil, die ihm Lebenszeit schenkt. Für die Forschung ist er dankbar: „Es ist für mich gut zu wissen, dass die Wissenschaft immer noch ein Notbrett in Arbeit hat, auf das ich springen kann.“
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Als Franz im Juli 2017 den Orthopäden besucht, verschwendet er noch keinerlei Gedanken an den Abgrund. Irgendwo ganz weit hinten kann er das Lebensende freilich am Horizont sehen, „irgendwann stehen wir ja alle da und stürzen einer nach dem anderen runter“, so stellt sich Franz das zumindest vor. Aber erstmal spielt das ja nun wirklich keine Rolle. Franz ist schließlich erst 64 Jahre alt, er ist pensionierter Polizist aus dem Ruhrpott, reist gern um die Welt, er liebt schnelle Autos und noch mehr seine Elke, die „beste Frau meines Lebens“, wie er sie nennt. Um seinen Hals trägt er auch an diesem Tag beim Orthopäden ein goldenes Amulett mit ihren darin eingeprägten Gesichtszügen.
Rückenschmerzen also, Verschleißerscheinungen hat der Hausarzt das genannt. Der Orthopäde aber zögert, will es genauer wissen. Er röntgt, schiebt Franz in ein MRT – das Ergebnis katapultiert Franz aus dem schläfrig-gemütlichen Leben des Sommers plötzlich kilometerweit Richtung Horizont: Lungenkrebs, metastasiert, unheilbar, Endstadium. Der Abgrund reißt sein Maul auf, Franz blickt direkt hinein. „Mein Todesurteil“, sagt er. „Es war plötzlich komplett unklar, ob ich Weihnachten noch erlebe. Hätte ich doch nur noch drei Jahre, das habe ich damals gedacht.“
Vom Rand des Abgrunds Richtung Gran Canaria
Knapp acht Jahre später sitzt Franz mit seiner Elke in der Uniklinik Köln. Weißer Schnurrbart, Glatze, die blauen Augen funkeln vergnügt hinter randlosen Brillengläsern. Sein Handyalarm erinnert ihn daran, ein Döschen mit der Aufschrift „Nuvalent“ aus der schwarzen Lederjacke zu ziehen. Franz nennt sie die „Tablette des aufrechten Gangs“ und in der Tat hat ihr Wirkstoff wohl maßgeblich Anteil daran, dass er seit acht Wochen wieder vom Abgrund weglaufen kann. Blickrichtung: Gran Canaria, dort fliegen Elke und er jetzt spontan für eine Woche hin, schließlich hat der sehr schlanke und 1,90 Meter große Franz wieder zehn Kilogramm zugenommen, er kann wieder Treppen steigen, sogar aufs Rad schwingt er sich unbeschwert. „Ich fühle mich fit.“ Auch die behandelnde Fachärztin Dr. Lea Ruge ist zufrieden, die Tumormasse sei seit Behandlungsbeginn Anfang Februar um etwa ein Drittel geschrumpft. „Da sind wir ganz zuversichtlich“, sagt sie.
Wir wissen: Diese Krankheit hat ja kein Ende. Das Ende ist: Einer bleibt übrig
Damit, dass sie mit Franz bald die Sonne am Strand genießen kann, hatte Elke nicht mehr gerechnet, als mit dem zu Ende gehenden Jahr 2024 auch Franz Lebenszeit zu verrinnen schien. Nach drei medikamentösen Therapien waren die Metastasen in den Knochen immer wieder zurückgekommen, gegen den Befall der Leber konnten auch zwei Chemotherapien nichts mehr ausrichten. „Ich hatte Angst. Er lag am Boden, konnte sich kaum bewegen, das war dramatisch, ich kannte ihn so gar nicht.“ Sie haben das Drama über die Jahre in jeder erdenklichen Weise formuliert, sie lagen sich in den Armen, sie weinten, manchmal die ganze Nacht. „Wir wissen: Diese Krankheit hat ja kein Ende. Das Ende ist: Einer bleibt übrig“, sagt Franz. „Wir haben dauernd geredet, wir übten uns in Dankbarkeit: Was haben wir nicht alles erlebt? Wie toll sind die Kinder geraten? Was für ein Glück wir doch hatten. Und doch macht es ja gerade dieses Glück so unglaublich schwer, über den Abschied nachzudenken.“ Seine Stimme erstirbt, unterm Tisch drückt Elke seine Hand und angelt mit der anderen nach einem Taschentuch.
Eine Therapie aus den USA, ein Hinweis in Franz‘ Facebook-Gruppe und Elke klemmt sich hinter das Telefon. Eine Studie an der Uniklinik Köln verspricht Hoffnung, das Zeitfenster aber ist eng, „wenn alle Plätze belegt sind, dann schließt die Studie – und zwar weltweit“, sagt Ruge und: „Franz kam im letzten Moment.“

Elke begleitet ihren Mann durch die schwere Zeit der Krankheit. Sie hat auch zum Telefon gegriffen und für ihn einen Platz in der Studie ergattert.
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Seit der Diagnose sammelt das Ehepaar Momente, kleine wie große
Er ergreift die Chance, die da vor seinen Füßen liegt. „Als Frau Ruge mir hier den Studienausweis rübergeschoben hat, da hab ich innerlich getanzt“, sagt Franz. Am 5. Februar war das, Franz wird das nie vergessen. Natürlich wusste da noch niemand, ob und wie lange das neue Medikament wirken wird. Aber: „Wir haben Zeit geschenkt gekriegt“, sagt Elke und strahlt Franz von der Seite an. Eine Perspektive. Seit der Diagnose sammelten sie so viele Momente, kleine wie große: Die dicken Bohnen, die wieder schmecken. Die Business-Class-Tickets in die Dominikanische Republik, die sie sich im Angesicht der Endlichkeit einfach gönnten. Der Moment, als Franz mit seinem Porsche Turbo mit 324 Sachen sonntags um sechs Uhr morgens über die A2 bei Kamen flog. „Das ist natürlich bekloppt. Aber worauf sollten wir jetzt noch warten? Und in dieser ganzen schweren Zeit haben uns diese Momente auch immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht zaubern können.“

Lea Ruge, Fachärztin für Innere Medizin sagt, die Tumormasse sei seit Behandlungsbeginn Anfang Februar um etwa ein Drittel geschrumpft: „Da sind wir ganz zuversichtlich.“
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Während Franz sich seine Träume erfüllt, ackert in seinem Körper derweil die „Tablette des aufrechten Gangs“. Es ist ein neuer Tyrosinkinase-Inhibitor, kurz TKI. Auf Franz‘ Zellen sitzen entartete Rezeptoren, die ununterbrochen weiteres Wachstum in Auftrag geben. Es wuchert. „Das Medikament dockt an diesen Rezeptoren an und hindert sie daran, ihre Wachstumssignale weiterzugeben“, sagt Ruge. Franz hat ähnliche Medikamente schon früher genommen und sich dadurch immer wieder Zeit verschafft. Das Problem: Der Tumor lernt dazu und verändert seine DNA, damit der Schlüssel der Tabletten nicht mehr in ihr Schloss passt und sie ungehindert weiter ihre todbringenden Signale verbreiten können. Aber auch die Medizin lernt dazu, das aktuelle Studienmedikament ist bereits auf einige solcher verändernden Mutationen vorbereitet, lässt sich so schnell also nicht abschütteln.
Dass Forscher neue Wirkstoffe ertüfteln, beruhigt Patienten wie Franz. „Es ist für mich gut zu wissen, dass die Wissenschaft immer noch ein Notbrett in Arbeit hat, auf das ich springen kann.“ Umgekehrt bilden Studienteilnehmer wie Franz die Basis dafür, dass die Krebsforschung überhaupt so gut vorankommt. Dass man sich von der toxischen und unspezifischen Chemotherapie der 1980er Jahre zu einer weit besser verträglichen und zielgerichteten Therapie entwickeln konnte ist unter anderem zahlreichen Tumorproben von Patienten vor und während des Therapieverlaufs zu verdanken. Auf diese Weise können Resistenzen auf verschiedene Therapien weiter erforscht und adressiert werden.
In der Zukunft könnten Therapien immer passgenauer auf das Individuum abgestimmt werden, sagt Lea Ruge. „Der Schlüssel zum entarteten Rezeptor wird also immer genauer passen.“ Auch Franz hat hierzu beigetragen, indem er sich mehreren Tumorbiopsien unterzogen hat
Ein Wettlauf. Was Franz betrifft, so liegt die Forschung derzeit in Führung. Und der 72-Jährige ist bereit, um jeden Zentimeter Boden zu kämpfen. Schließlich ist da zum Beispiel der sechs Jahre alte Enkel, der seinem Großvater zum Vorlesen auf den Schoß klettert. Die Gitarre, die er jederzeit hervorholen und der er Melodien entlocken kann. Und natürlich Elke, sein „Glücksgriff“. Der Krebs, er habe ihm ein Stück Zukunft gestohlen, sicher. „Aber die Gegenwart, die gehört schließlich noch uns.“
Das Centrum für Integrierte Onkologie der Uniklinik Köln (CIO) lädt gemeinsam mit dem Westdeutschen Tumorzentrum der Uniklinik Essen am Montag, 31. März um 17 Uhr zum ersten „Onko-Talk NRW“ ein. Hier wird mit Ärztinnen und Ärzten, Forschenden, sowie der Wissenschaftsministerin Ina Brandes zum Thema diskutiert: „Warum ist Krebsforschung für Patienten wichtig?“
Die Veranstaltung findet statt im CIO, Gebäude 70, Kerpener Straße 62, Seminarraum 3/4 im Erdgeschoss. Um Anmeldung unter onko-talk@uk-koeln.de wird gebeten.