Steigende Gewalt in Bussen, Bahnen und an Haltestellen: Insbesondere Übergriffe gegen Zugpersonal und sexuelle Delikte nehmen zu.
„Hemmschwelle für Gewalt sinkt“Immer mehr Straftaten im nordrhein-westfälischen ÖPNV

Bundespolizisten am Kölner Hauptbahnhof
Copyright: Bundespolizeidirektion Sankt Augustin
Als der Einbrecher in ein Café in der Zwischenebene der U-Bahnhaltestelle Neumark mitten in der Nacht entdeckt wurde, schnappte er sich die Kasse und türmte hoch in Richtung Straße. – In der Linie 17 belästigte ein Mann eine junge Frau sexuell, entblößte sich vor ihr. – Auf der Fahrt zur Haltestelle Rodenkirchen-Bahnhof wurde ein 23-Jähriger von zwei Unbekannten in ein Gespräch verwickelt. Als der Angesprochene ausstieg, folgten ihm die Männer. Einer der Täter trat das Opfer von hinten, sodass es zu Boden stürzte. Nach einem Handgemenge flohen die Angreifer mit dem Schlüssel und Bargeld des Geschädigten.
Dies sind drei der Übergriffe, die es in den vergangenen Monaten im Zusammenhang mit den Bahnen oder dem Umfeld der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) gegeben hat. Die Zahl der polizeilich erfassten Straftaten im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Nordrhein-Westfalen ist seit 2018 von 59.679 Fällen auf 95.887 Übergriffe im vergangenen Jahr gestiegen. Das entspricht einem Plus von fast zwei Dritteln.
ÖPNV-Umfeld: Straftaten an Bahnhöfen und Haltestellen haben sich seit 2018 verdoppelt
Dies ist einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage aus dem Düsseldorfer Landtag zu entnehmen. Die Zahl der registrierten Straftaten im ÖPNV-Umfeld, also im Bahnhof oder an Haltestellen, hat sich in den vergangenen sieben Jahren demnach von 20.556 auf 42.096 sogar verdoppelt. Lediglich 2023 hatte die Zahl der Übergriffe im ÖPNV (97.836) sowie in dessen Umfeld (46.197) noch leicht höher gelegen.
Einen drastischen Anstieg hat es den Angaben zufolge in den vergangenen Jahren auch bei den polizeilich festgestellten „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ gegeben. Kamen 2022 noch insgesamt 329 Sexualdelikte in Bussen und sonstigen öffentlichen Verkehrsmitteln vor, bei denen in 142 Fällen Kinder oder Jugendliche die Opfer waren, wurden im vergangenen Jahr 634 Übergriffe gezählt – 253 Mal wurden Kinder und Jugendliche belästigt oder missbraucht.
„Kontinuierlich sinkende Hemmschwelle für Gewalt“
„Respektlosigkeiten in der Gesellschaft nehmen zu“, sagte der NRW-Sprecher der Deutschen Bahn auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Mehr Konflikte und Übergriffe gibt es im öffentlichen Verkehr leider genauso, wie bei Polizeien, Feuerwehren, Rettungsdiensten und in Behörden mit Bürgerkontakt - wir beobachten ebenso wie die Behörden eine kontinuierlich sinkende Hemmschwelle für Gewalt.“
Im Bahnhof und im Bahnhofsumfeld würden „all jene Konflikte ausgetragen, die auch auf Plätzen, in Parkanlagen, in öffentlichen Einrichtungen und auf Straßen überall in Deutschland stattfinden“. Bundesweit seien rund um die Uhr etwa 6000 Beamte der Bundespolizei und 4500 Sicherheitskräfte für die DB im Einsatz. Für die Sicherheit der Kunden gebe die Bahn „jedes Jahr mehr als 200 Millionen Euro“ aus.
Bundesweit 11.000 Kameras an 750 Bahnhöfen
Vor allem Videotechnik soll bei der Sicherung helfen. „Aus tausenden Blickwinkeln überschauen die neuen, modernen Multisensor-Kameras den Alltag am Bahnhof und machen so das Reisen noch sicherer“, heißt es bei der Bahn. Bundesweit seien 11.000 Kameras an rund 750 Bahnhöfen im Einsatz, eine Verdopplung der Geräte im Vergleich zu 2012. „Außerdem hat die DB die Anzahl der Videokameras in ihren Regional- und S-Bahnzügen auf über 57.000 deutlich erhöht – mehr als 80 Prozent aller Nahverkehrsfahrzeuge verfügen damit über Videotechnik.“
Neben den Kunden ist auch immer öfter das nordrhein-westfälische Zugpersonal Ziel von Angriffen. Im vergangenen Jahr gab es mehr als 1300 Bedrohungen in Zügen, von denen sich die allermeisten gegen Kontroll- und Sicherheitskräfte richteten, wie aus dem Sicherheitsbericht 2024 für den Regionalverkehr in NRW hervorgeht. Das ist ein Anstieg um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Körperverletzungen im Regionalverkehr stieg von 823 auf 905 erfasste Taten. Meistens richteten sie sich ebenfalls gegen das Kontroll- und Sicherheitspersonal.
Ein trauriger Trend, der sich auch bundesweit zeigt. Demnach erstatteten im vergangenen Jahr 3151 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Bahn und externer Dienstleister Anzeige wegen Körperverletzung oder Bedrohungen. 2022 und 2023 lag die Zahl bei rund 2800 beziehungsweise 2750.
„Schwarzfahren darf nicht bagatellisiert werden“
Der Vorstandssprecher des einwohnerstärksten Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR), Oliver Wittke, führt den Anstieg bei Übergriffen auf Fahrpersonal auf einen „Verfall der Sitten“ zurück: „Das ist nicht die konkrete Wut über eine schlechte Leistung, das ist nicht die konkrete Wut über irgendein Ereignis, sondern das ist ein Stück weit Widerstand gegen Autoritäten.“
Um dem entgegenzutreten, müsse es „eine konsequente Ahndung von Übergriffen, Schwarzfahren und auch Anzeigen bei Beleidigungen von Zugpersonal“ geben. Zum Fahren ohne Ticket sagte Wittke: „Wir sind ausdrücklich dagegen, dass das bagatellisiert oder gar straffrei gestellt wird, denn das wäre eine Kapitulation vor dem Rechtsbruch.“ Die Abschreckungswirkung beim Schwarzfahren müsse erhalten bleiben.
Nur knapp die Hälfte der Fahrgäste fühlen sich sicher
Gleichwohl beruhigte VRR-Vorstandssprecher Wittke: „Bahnfahren in Nordrhein-Westfalen ist sicher - niemand muss Angst haben, egal wann er fährt.“ Unter zehn Prozent der Straftaten im öffentlichen Raum geschähen im Regionalverkehr oder an Bahnhöfen. Jeden Tag würden in NRW fast sechs Millionen Fahrgäste in Bahnen und Bussen befördert. Ganz anders sehe allerdings die subjektiv gefühlte Sicherheitslage aus, so Wittke: Nur knapp die Hälfte der Fahrgäste des ÖPNV fühlten sich sicher. (mit dpa)