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Spuren weiter sichtbarEinen Monat nach dem Anschlag sucht Solingen wieder Normalität

Lesezeit 3 Minuten
Vier Wochen nach dem Anschlag in Solingen: Die meisten Blumen an der Gedenkstätte sind verwelkt.

Vier Wochen nach dem Anschlag in Solingen: Die meisten Blumen an der Gedenkstätte sind verwelkt.

Vor vier Wochen erschütterte der Anschlag auf das Solinger Stadtfest die Nation. Ein Besuch in einer trauernden Stadt, die einen Weg zurück in den Alltag sucht.

Der Fronhof in Solingen ist nun ein Platz mit hellem Boden, einen Monat nach dem Attentat. Dort, wo ein Mann drei Menschen mit einem Messer tötete und acht weitere verletzte, ist es jetzt ruhig und leer. Weg sind die Spuren des 23. August. Mit Wasser per Hochdruck entfernt. Dafür sind die Folgen sichtbar: Die Stelle vor der damaligen Bühne des Stadtfestes, das Anschlagsziel des Attentäters, ist heller im Vergleich zum restlichen Hof. Viel zu hell.

Am Vormittag öffnet Daniel Mandelka das Café Cramers am Fronhof, er stellt die noch leere Stühle auf den Platz. „Es herrscht viel Unsicherheit, die Stimmung ist gedämpft“, sagt er über das Leben in Solingen in der vergangenen vier Wochen. Ein paar Tage blieb der Platz nach dem Attentat abgesperrt, da war die Stelle noch dunkelrot.

Der Fronhof in Soligen vier Wochen nach dem Attentat während der 650-Jahr-Feier. Daniel Mandelka betreibt das Café Cramers auf dem Fronhof.

Der Fronhof in Soligen vier Wochen nach dem Attentat während der 650-Jahr-Feier. Daniel Mandelka betreibt das Café Cramers auf dem Fronhof.

„Was hier passiert ist, wird einem immer wieder ins Gedächtnis gerufen“, sagt Mandelka. So soll es auch sein: Eine Gedenkstätte hält er – wie viele andere Solinger – für angebracht. Aber nicht als Folgespur auf dem Boden: Mandelka wünscht sich, dass der Platz komplett gereinigt wird.

Der Fronhof in Solingen ist vier Wochen nach dem Attentat auf dem „Festival der Vielfalt“ teilweise gereinigt: Die Erinnerung an die drei Getöteten bleibt.

Der Fronhof in Solingen ist vier Wochen nach dem Attentat auf dem „Festival der Vielfalt“ teilweise gereinigt: Die Erinnerung an die drei Getöteten bleibt.

Der eigentliche Gedenkort, an dem Menschen am Morgen danach spontan Blumen und Kerzen ablegten, ist noch immer am anderen Ende des Fronhofs zu finden. Nur ist mittlerweile die Masse der Blumen welk und die mehr als hundert Kerzen ausgebrannt. „Viel ist nicht passiert“, sagt Philipp Müller vier Wochen nach dem abgebrochenen Stadtfest. Der Organisator der Jubiläumsfeier schickte vor einem Monat auf der wenige hundert Meter entfernten Hauptbühne die Besucher nach Hause und schaffte es dabei, eine Massenpanik zu verhindern. Jetzt sagt er: „Die Stadt versucht, zur Ruhe zu kommen.“

Solingen steht für gescheiterte Migrationspolitik – die Stadt will zur Ruhe kommen

Das ist nicht einfach, wo doch der Anschlag zu einer Verschärfung des Kurses der Berliner Politik in Sachen von Grenzkontrollen, Sicherheitspaketen und Abschiebungen beiträgt. Und er geschah ausgerechnet eine Woche vor der thüringischen und sächsischen Landtagswahl. „Solingen ist eine Metapher für eine gescheiterte Migrationspolitik geworden“, sagt Müller. „Aber das hat wenig mit Solingen zu tun.“ Solingen integriere Menschen wie die anderen NRW-Kommunen auch, nicht umsonst hieße das Stadtfest „Festival der Vielfalt“.

Solingen ist eine Metapher für eine gescheiterte Migrationspolitik geworden.
Philipp Müller, brach das Stadtfest nach dem Attentat ab

Gleichzeitig sind viele Fragen rund um die Tat, das Motiv und den mutmaßlichen Täter noch offen. Der 26-jährige Issa Al H. aus Syrien sitzt weiter in Untersuchungshaft. Am Gedenkort liegen einige Briefe aus, adressiert an die Gestorbenen, ihre Angehörigen, die Solinger oder Allah, einige unterzeichnet von Solinger Syrern. Müller sehe bei vielen Solingern eine andere Reaktion als in Berlin. Er berichtet von seinem Eindruck, seither mit mehr Menschen ins Gespräch gekommen zu sein. „Wir sind näher zusammengewachsen, wir haben uns mehr schätzen gelernt und mehr Vertrauen aufgebaut.“

Philipp Müller, Hauptorganisator der Jubiläums-Feier von Solingen, in der Nähe des Tatorts.

Philipp Müller, Hauptorganisator der Jubiläums-Feier von Solingen, in der Nähe des Tatorts (Archivbild).

Trauernde kommen an Solinger Gedenkort ins Gespräch

Müller sagt: „Wir müssen aus dem Anschlag lernen und mehr miteinander reden.“ Am Gedenkort passiert das bereits, noch immer zünden Passanten neue Kerzen an und legen frische Blumen zwischen die ausgetrockneten. Und wer kurz innehält, kommt miteinander ins Gespräch. Aussprechen hilft, sagt Müller. „Da ist jemand gekommen, hat Leute erstochen und andere habe das gesehen – das macht etwas mit einem.“ Er habe selbst psychologische Hilfe vom Opferschutz NRW angenommen.

Auch die Stadt arbeitet noch auf. Müller sagt klar: „Wir werden wieder feiern“. Die Frage sei, wie in Zukunft mit Veranstaltungen umgegangen wird. Waffenverbotszonen und Videoüberwachung sind Schlagwörter dieser bundesweiten Diskussion. Und Müller habe im Gespräch mit Solingern gelernt, dass sie sich mehr Polizeipräsenz wünschen. „Das steigert zwar das Sicherheitsgefühl“, sagt der Organisator, aber: „Gegen den Messermann machst du nichts.“ Müller fordert stattdessen gesellschaftliche Prävention: „Wir sind eine Stadt mit 140 Nationen und müssen schauen, dass wir miteinander zurechtkommen. Sonst grenzen wir potenzielle Attentäter immer stärker aus.“