Wurden Beweise manipuliert, um den angeklagten Syrer zum alleinigen Täter zu machen? Der Verteidiger bringt neue Beweise in das Verfahren um den getöteten 20-Jährigen ein.
Wende im Fall Bad Oeynhausen„Sag ihm einfach, Du warst dabei – und alles war dieser Araber“
![ARCHIV - 17.12.2024, Nordrhein-Westfalen, Bielefeld: Einer der Angeklagten (l.) steht mit seinem Anwalt Burkhard Benecken beim Beginn des Prozesses um den Totschlag nach einer Abifeier in Bad Oeynhausen vor dem Landgericht. Angeklagt sind drei Männer. (zu dpa: «Aussage angekündigt: Prozess um Tod nach Abifeier in Bad Oeynhausen») Foto: Guido Kirchner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++](https://static.ksta.de/__images/2025/02/07/ed05e669-d7bd-455a-9987-67cd2a567d20.jpeg?q=75&q=70&rect=0,123,4000,2250&w=2000&h=1334&fm=jpeg&s=fc307b2c0a8226b7dd343b31bc043477)
Einer der Angeklagten (l.) steht mit seinem Anwalt Burkhard Benecken beim Beginn des Prozesses um den Totschlag nach einer Abifeier in Bad Oeynhausen vor dem Landgericht. Angeklagt sind drei Männer.
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Mit großer Spannung wurde die Aussage des Hauptangeklagten im Prozess um den Prügeltod des 20 Jahre alten Philipos Tsanis in Bad Oeynhausen erwartet. Sein Verteidiger Burkhard Benecken verlas im Gerichtsaal in Bielefeld eine lange Einlassung des 19 Jahre alten Syrers Mwafak S. Darin wartete die Verteidigung mit neuen Beweisen auf, die dem ganzen Verfahren eine überraschende Wendung geben könnten. Gleich zu Beginn zitierte der Anwalt aus einem Chatverkehr aus dem Kreis der beiden deutschen Mitangeklagten, der bislang nirgends in der Anklage auftauchte. „Sag ihm einfach, Du warst dabei – und alles war dieser Araber.“
Bisher schien der Fall laut Staatsanwaltschaft Bielefeld einfach zu sein: Beneckens Mandant Mwafak S. soll den jungen Tsanis im Kurpark in Bad Oeynhausen am 23. Juni 2024 aus nichtigem Anlass totgeschlagen haben. Auf der Anklagebank sitzen auch zwei Kumpels des Syrers. Wenige Stunden zuvor hatte man sich kennengelernt. Die neuen Freunde sollen ebenfalls auf Tsanis und einen Freund eingeschlagen haben. Bisher aber geht die Anklage davon aus, dass einzig die Attacke des Syrers mit Tritten gegen den Kopf des bewusstlosen jungen Mannes seinen Tod verursachte.
Die Einlassung die Verteidiger Benecken vor der Jugendstrafkammer vortrug, nährt jedoch Zweifel an der Schuldfrage. Der Anwalt sprach von manipulierten Beweisen, die den Fokus auf seinen Mandanten „mit Migrationshintergrund lenken sollten“. Nach Durchsicht der Aktenlage spreche jedoch vieles dafür, dass der Totschlag durch andere Täter erfolgte. „Mein Eindruck ist, dass Polizei, Staatsanwaltschaft, Teile der Medien und sogar Politiker bis hinein in den Bundestag auf den falschen Zug aufgesprungen sind. Tatsächlich stimmt dies nicht. Ich habe Philipos nicht umgebracht“, lautet der Vortrag des Hauptangeklagten.
Schnaps und Koks im Kurpark
Zunächst schilderte Mwafak S. das Tatgeschehen aus seiner Sicht. Mwafak nannte sich Yanis, er traf an jenem Abend neue Freunde auf einem Fest. Flaschen mit Hochprozentigem kreisten. Im Kurpark will er an der dreiköpfigen Gruppe mit Philipos vorbeigekommen sein. Angeblich erkannte der Angeklagte, dass die Jungs gerade eine Nase Koks vorbereiteten. Als Mwafak ebenfalls etwas schniefen wollte, sei er rüde zurückgewiesen worden. Ein Wort habe das andere ergeben, so die Aussage. Plötzlich sei Philipos mit seinen Freunden aufgestanden, die Jungs um Mwafak hätten sich ebenfalls aufgestellt. Es kam zu einer Schlägerei zwischen beiden Parteien.
Im Gerichtssaal räumter der Syrer ein, den jungen Philipos geschlagen zu haben. Sein Kontrahent habe aus der Nase geblutet - mehr nicht. Vor dem nächsten Schlag soll der 20-jährige Musiker geflüchtet, schließlich 20 Meter weiter gestolpert und mit dem Hinterkopf auf den Asphalt geschlagen sein. Danach habe er sich nicht mehr gerührt.
Später dann will Mwafak S. gesehen haben, dass sich ein oder zwei seiner Kumpels auf den wehrlosen Philipos zubewegten. Was dann geschehen ist, blieb am Freitagvormittag unklar.
Verteidiger legt Totschlagverdacht auf einen der deutschen Mitangeklagten
Die Schläger flohen vom Tatort. Bald danach will Mwafak S. einen Komplizen getroffen haben. Der habe nur etwas von „Scheiße gebaut“ gestammelt.
In dem Kontext lenkte sein Verteidiger Benecken den Totschlagsverdacht auf einen der beiden deutschen Mitangeklagten. Dabei zählte der Anwalt im Namen seines Mandanten etliche Indizien auf. So entdeckten die Ermittler zahlreiche kompromittierende Google-Recherchen nach dem Tod von Philipos beim mutmaßlichen Täter: Was ist der Unterschied zwischen Mord und Totschlag? Fotos löschen I-Phone. Ein weiterer Klick habe zur Frage geführt: Wenn man bei Mord als Zeuge aussagt, wann droht die Untersuchungshaft? Und zu guter Letzt: „Eingepisst nach Knock out“. Die letzte Abfrage bezog sich auf den Umstand, dass sich das Opfer auf dem Boden eingenässt hatte. Solche Dinge konnte nur ein Täter wissen, folgerte Anwalt Benecken. Der Mitangeklagte sie auch derjenige gewesen, der Mwafak S. im Verhör als Totschläger beschuldigt habe. Zudem habe der junge Deutsche versucht, sich bei einer Freundin ein Alibi für die Tatnacht zu beschaffen.
Am Ende wandte sich der angeklagte Syrer in seiner durch seinen Verteidiger verlesenen Einlassung gegen die Vorverurteilung. Hierfür zitierte er nochmals den Chat aus dem Kreis rund um die deutschen Mitangeklagten: „Sag ihm einfach Du warst dabei - und alles war der Araber.“ Diese Losung hätten der Vater des Opfers, aber auch die Polizei, die Staatsanwaltschaft, sowie die Medien sowie die Politik ungeprüft übernommen. „Es war alles dieser Araber.“
Nach dem Vortrag erhob sich der Ankläger und warf der Verteidigung falsche Unterstellungen vor. „Es war schwer erträglich, sich diese Einlassung mit haltlosen juristisch falschen Tatsachen anzuhören.“