Wer ist Thomas Kutschaty?Der höfliche Kandidat mit K.O.-Schlagkraft im Ring
- Als Thomas Kutschaty den Parteivorsitz übernahm, lag die SPD bei gerade mal 17 Prozent. Nach einer Aufholjagd, deutet sich nun ein Kopf-an-Kopf-Rennen für das Amt des Ministerpräsidenten an.
- Der 53-jährige Jurist aus Essen-Borbeck will am Ende vorne liegen.
- Seine Kindheit im Ruhrgebiet hat ihn geprägt. „Mein Vater hat mir vorgelebt, dass es wichtig ist, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Da kommt es bei allem Getöse darauf an, selbst das zu tun, was man von Anderen verlangt“.
- Ein Porträt
Düsseldorf – Ihn fröstelt schon, wenn er nur daran zurückdenkt. „Wir haben die Aufnahmen für den Wahlkampf natürlich zum Teil im Winter gedreht. Es war eisig, und ich hatte nur einen dünnen Pullover an“, erinnert sich Thomas Kutschaty, als er auf eines seiner Plakate blickt. Wer Ministerpräsident von NRW werden will, muss leidensfähig sein. Der Slogan der SPD-Kampagne lautet: „Mit Euch gewinnen wir das Morgen“. „Die Bilder beim Sonnenaufgang wurden in einem Essener Park aufgenommen. Das hat sich gelohnt. Denn dadurch ist das Sonnenlicht auf den Plakaten echt“, sagt Kutschaty und lacht.
Drei Monate später steht der Spitzenkandidat, erneut luftig gekleidet, an einem Stehtisch im Bistro „Blue Mojo“ in Lübbecke und pickt Pommes mit Mayo aus einer Pappschale. Kutschaty ist Vegetarier, deshalb hat er die Bratwurst, die der Ortsverein nach dem Wahlkampftermin am Markt auf den Grill gelegt hat, dankend abgelehnt. SPD-Ratsfrau Katia Bahari nutzt den Moment, um ein Selfie mit dem Spitzenkandidaten aufzunehmen. „Er hat in der Fragerunde mit den Bürgern auf alles eine Antwort gehabt“, sagt die Kommunalpolitikerin. „Das fand ich ganz erstaunlich.“
Die Genossin hat recht. Wenn es darum geht, was und wie die SPD alles besser machen will als die schwarz-gelbe Landesregierung, hat Kutschaty einen klaren Kompass. Bevor er auf die Bühne geht, informiert er sich zudem darüber, wo den Menschen vor Ort der Schuh drückt. In Lübbecke sorgen sich viele Menschen um ihre Gesundheitsversorgung, weil Klinikstandorte zusammengelegt werden sollen. Es gibt aber ganz auch spezielle Anliegen. Der Vertreter der Freien Wähler will wissen, wann Lübbecke sein altes Autokennzeichen „LK“ zurückbekommt.
Thomas Kutschaty wirkt freundlich
Kutschaty antwortet stets freundlich und ausführlich. Seine Stimme habe etwas Beruhigendes, findet ein Passant, der Kutschaty auf dem Markplatz zugehört hat. Er war durch den großen Wahlkampfbus auf den Besucher aus Düsseldorf aufmerksam geworden. „Ministerpräsident von morgen“, steht darauf.
Am Sonntag, 15. Mai, gegen 18 Uhr, wird es erste Hinweise darauf geben, ob das Ziel, Regierungschef von NRW zu werden, für Kutschaty in Erfüllung gehen kann. Derzeit ist er Wahlausgang völlig ungewiss. Es gibt ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD. Das ist für die größte Oppositionspartei in NRW ein beachtlicher Erfolg. „Man muss sehen, wo wir herkommen. Als ich den Vorsitz der Landespartei übernommen habe, lagen wir in den Umfragen bei 17 Prozent. Nach dieser Aufholjagd wollen wir auch vorne liegen“, sagt Kutschaty.
Nach der überraschenden Abwahl von Rot-Grün im Jahr 2017 war die SPD weiter abgestürzt. Die frühere Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ließ sich nicht mehr bei Parteitagen blicken und überließ die Neuaufstellung ihren alten Haudegen. Der damalige Fraktionschef Norbert Römer und Parteichef Mike Groschek begaben sich ins Hinterzimmer und zimmerten eine Lösung, bei der Kutschaty keine Rolle spielte.
Ihr Plan: Der Westfale Marc Herter sollte Fraktionschef werden, der Rheinländer Sebastian Hartmann Parteichef. Diese Lösung würde den Regionalproporz abbilden, hieß es. Die gleichmäßige Berücksichtigung der stärksten Regionen ist eine sakrosankte Regelung, die bei der SPD seit jeher für fragwürdige Personalentscheidungen herhalten muss.
Thomas Kutschaty wagte Neustart ohne die „Paten“
Allerdings hatten Krafts alte Häuptlinge die Rechnung ohne Kutschaty gemacht. Der wagte den Putsch gegen die Pläne, und trat bei der Wahl um den Fraktionsvorsitz gegen den Wunschkandidaten Herter an. Kutschaty gewann die Abstimmung – und konnte somit ein Zeichen für einen Neustart ohne die „Paten“ setzen. Nach dem Parteivorsitz zu greifen, traute er sich noch nicht. „Es war damals klug, die Aufgaben auf zwei Schultern zu verteilen“, sagt Kutschaty rückblickend.
So wurde zunächst Sebastian Hartmann neuer Chef der NRW-SPD. Der musste bei den Niederlagen bei der Europawahl und Kommunalwahl seinen Kopf hinhalten. Als sich die Frage stellte, wer denn nun Spitzenkandidat der SPD bei der Landtagswahl werden sollte, reklamierte Kutschaty den Anspruch ohne große Rücksicht auf die Befindlichkeiten Hartmanns für sich. Der hatte zwar vorher schon signalisiert, dass er dem Fraktionschef den Vortritt überlassen würde, aber das half ihm nicht. Als Kutschaty ankündigte, man müsse nun die Führung von Fraktion und Partei in eine Hand legen, waren Hartmanns Tag als Parteichef gezählt.
Wenn es darauf ankommt, kann der stets höflich auftretende Kutschaty im Ring eine Schlagkraft mit K.O.-Potenzial entwickeln. Er glaubt an sich selbst und kennt die Schwachstellen seiner Mitbewerber. „Mein Vater hat mir vorgelebt, dass es wichtig ist, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Da kommt es bei allem Getöse darauf an, selbst das zu tun, was man von Anderen verlangt“, sagt Kutschaty.
Ein Junge mit vielen Freiheiten
Thomas Kutschaty wächst in Essen-Borbeck auf, in der Eisenbahnersiedung. Der Junge hat viele Freiheiten. „Es gab nur eine Regel: Wenn die Lampen angehen, bist du wieder zu Hause“, erinnert sich der Spitzenkandidat. Sein Vater Hermann ist bei der Bahn, er arbeitet sich vom Fahrkartenverkäufer bis zum Leiter des Reisezentrums in Essen hoch. „Der Weg meiner Eltern macht mich stolz. Sie haben etwas aus sich gemacht. Das treibt mich an“, sagt Kutschaty.
Der junge Thomas ist zunächst viel in der katholischen Jugend unterwegs. In den 80er Jahren nimmt ihn der Vater zu einer Wahlkampfveranstaltung mit Willy Brand in die Gruga-Halle mit. Die Begegnung wird zum politischen Erweckungserlebnis. Kutschaty tritt bei den Jusos ein. „Da waren die unterschiedlichsten Typen dabei, die gute Ideen hatten. Da hielt man zusammen, so wie früher in der Pfarrjugend. Die Gemeinschaft war wichtig, und dass man etwas verändern konnte. Deswegen habe ich mich in die Bezirksvertretung wählen lassen.“
Als Kraft ihn fragt, greift Thomas Kutschaty zu
Eine steile Parteikarriere beginnt. Als Jurastudent wird Kutschaty Ortsvereinschef in Borbeck. 2005 zieht er in den Landtag ein. 2010 sucht Hannelore Kraft einen Justizminister für ihre Minderheitsregierung mit den Grünen. Die Kabinettsjobs sind nicht unbedingt heiß begehrt, weil niemand weiß, wie lange das Projekt der Minderheitsregierung gut gehen wird. Kutschaty hat nicht viel zu verlieren. Als Kraft ihn fragt, ob er dabei ist, greift er zu.
Sieben Jahre lang bleibt der heute 53-Jährige im Amt. Eine Zeit, in der er selten glanzvoll auffiel, aber in der er viel Erfahrung im Umgang mit Regierungsverantwortung sammeln konnte. Er ist kein Greenhorn, sondern mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) auf Augenhöhe, wenn es darum geht, einen Verwaltungsapparat zu führen. Allerdings ist der SPD-Frontmann vielen Wählern noch unbekannt. „Der geringe Bekanntheitsgrad von Herrn Kutschaty ist ein Problem für die SPD“, sagte der Düsseldorfer Politik-Professor Thomas Poguntke.
Dämpfer nach der Mallorca-Affäre
Nach der „Mallorca-Affäre“ der schwarz-gelben Landesregierung und dem Rücktritt von NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) sah es so aus, als ob die SPD im Wahlkampf den entscheidenden Sprung nach vorne machen könnte. Doch dann kam heraus, dass die SPD versucht hatte, die Tochter der Ministerin auszuspähen – ein herber Dämpfer. Zuletzt belastete die angebliche Putin-Freundlichkeit von SPD-Politikern den Wahlkampf. „Kutschatys stärkste Argumente – die Begeisterung für Scholz und das Bilden der SPD-geführten Ampelkoalition in Berlin – sind nicht nur verblasst, sondern haben sich geradezu ins Gegenteil verkehrt“, sagte der Bonner Politik-Professor Volker Kronenberg dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Die SPD will die Wahlparty am 15. Mai in den Düsseldorfer Rheinterrassen feiern. „Ich freu mich drauf“, sagt Kutschaty. Und für den Fall eines Triumphs wird es schöne Bilder fürs Familienalbum geben. Denn auch Kutschatys Frau Christina wird bei der Wahlparty mit dabei sein.