Der endlose NSU-ProzessBeate Zschäpe spielt auf Zeit
München – Sind nicht längst alle Fotos geschossen? Alle sich wiederholenden Szenen Dutzende Male im Bild festgehalten? Zum Beispiel wie Beate Zschäpe den fensterlosen Bunker des Münchner Oberlandesgerichts betritt, zielstrebig auf ihren Platz zugeht und ihren Laptop auspackt. Und wie sie dann den vor einem Jahr nach dem Zerwürfnis mit ihren Alt-Anwälten als weiterer Pflichtverteidiger ins Verfahren gekommenen Mathias Grasel begrüßt.
Manchmal schäkert sie auch mit ihm, wie sie es früher mit Vorgänger Wolfgang Heer tat, den sie heute kaum noch eines Blickes würdigt. Jedes Mal, wenn Fotografieren und Filmen erlaubt ist, bauen sich die Bildreporter vor der Anklagebank auf, als sei eine Sensation zu erwarten. Dabei macht der im Mai 2013 eröffnete NSU-Prozess kaum Fortschritte. An diesem Mittwoch wird er nach vier Wochen Sommerpause fortgesetzt. In gleicher Besetzung, wie der Vorsitzende Richter Manfred Götzl korrekt und ganz ohne Hintersinn feststellen wird.
Anfang August, es ist der 304. Tag in diesem Verfahren, war wieder so ein Fototermin. Die Hauptangeklagte ist im körperbetonten schwarzen Hosenanzug mit weißer Bluse erschienen, als müsse sie gleich bei einem Meeting die neuesten Zahlen für einen Geschäftsbericht vortragen. Doch es herrscht Business as usual, und das bedeutet: Sie wird schweigen, wie sie es seit mehr als drei Jahren tut. Frau Zschäpe, lässt ihr einziger Wahlverteidiger Hermann Borchert wissen, werde sich „zu gegebener Zeit“ schriftlich äußern.
Viele Fragen seien für Wahrheitsfindung unerheblich
Seit Anfang Juli sieht sie sich durch die Nebenklage mit einem Katalog von mehr als 300 Fragen konfrontiert. Das lässt Verteidiger Heer noch mal zur alten Hochform auflaufen: Er kanzelt einen Großteil der Fragen als unzulässig oder als nicht zur Sache gehörig ab. Der Mann, den Zschäpe ebenso wie seine Kollegen Sturm und Stahl mehrfach erfolglos versucht hatte loszuwerden, handelt offenbar aus eigener Initiative. Es sei für die Wahrheitsfindung völlig unerheblich, welche Kameraden aus der rechten Thüringer Szene an Rudolf-Heß-Gedenkmärschen teilgenommen haben. Die Nebenklage möchte auch erfahren, ob Zschäpe Rechte an einer Autobiografie oder an einem Exklusiv-Interview verkauft hat, und wenn ja an wen. Und ob sich dadurch ihr „restriktives Aussage-Verhalten“ erklären lasse. Heer rügt die Fragenflut als „überschießende Aufklärung“. Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann lobt den Strafsenat für dessen Geduld, die freilich nicht unendlich ist, wie der Vorsitzende Götzl, der lautstark aus der Haut fahren kann, gelegentlich durchaus deutlich zu verstehen gibt.
Wie hat die Terrorzelle ihre Mordopfer ausgewählt?
Eine ganz zentrale Frage ist bislang unbeantwortet: Wie hat die Terrorzelle ihre Mordopfer ausgewählt? Auch wenn es erklärtermaßen nicht die Absicht des Gerichts ist, die Unterstützer-Szene des NSU-Trios in allen Facetten auszuleuchten: Götzl hat das Informationsbedürfnis der Opfer-Vertreter über weite Strecken unterstützt. Immer in der vagen Hoffnung, dass sich durch Zeugen-Befragungen dem prozessrelevanten Bild Zschäpes und ihrer Kumpane vielleicht doch noch das eine oder andere Mosaiksteinchen hinzufügen lassen könnte. In diese Richtung geht auch der inständige Appell von Bundesanwalt Herbert Diemer an Alt-Verteidiger Heer, die beanstandeten Fragen bitte, bitte doch zuzulassen, „sonst kommen wir aus der Endlosschleife der Befragung nicht heraus“. Das schriftliche Frage-und-Antwort-Spiel, bei dem Zschäpe praktisch das Tempo bestimmt, sei eine „spezielle, von der Angeklagten herbeigeführte Ausnahmesituation“.
Mitangeklagter steht auch im Fokus
Im Fokus vor der Sommerpause – und vermutlich wieder von Mittwoch an – steht aber der Mitangeklagte Ralf Wohlleben, den die Bundesanwaltschaft als „steuernde Zentralfigur“ einstuft, weil er als Beschaffer der Ceska-Pistole gilt, mit der neun Kleinunternehmer mit türkischen und griechischen Wurzeln erschossen wurden. Hingerichtet. Weil ihm vermutlich eine lange Haftstrafe droht, geht seine zunehmend nervöse Verteidigung die Anklagevertreter massiv an. „Gespeist aus Verfahrensmacht und Arroganz“ der Bundesanwaltschaft, erklärt Anwalt Olaf Klemke, werde seinem Mandanten kein faires Verfahren ermöglicht. Entlastende Vernehmungsakten würden zurückgehalten. Seine Rüge soll auch die Verhandlungsführung der Richter treffen, die er jetzt mit spöttischem Unterton als „Hoher Senat“ anspricht. Gleichzeitig versucht er verzweifelt, Zeugen aufzubieten, die den wegen Beihilfe zum neunfachen Mord angeklagten Ex-NPD-Funktionär entlasten sollen.
Das verfängt nicht so recht, auch wenn der frühere Staatsschutz-Chef bei der Jenaer Polizei Wohlleben als Zeuge attestiert, ihm sei es um einen „gepflegten Umgang mit den Behörden“ gegangen. Er sei „clever genug“ gewesen, sich aus Straftaten herauszuhalten. Zu einer Anzeige wegen Volksverhetzung habe es „nie gereicht“. Auch nicht, als der gelernte Fachinformatiker mit einem rechtsradikalen Flyer mit einem „Fliegenden Teppich“ („Flieg zurück in den Orient!“) in Verbindung gebracht wird. Der pensionierte Kommissar nennt das Machwerk „grenzwertig“. Man habe seinerzeit ermittelt – gegen Unbekannt. Und dann geht es kurz vor der Sommerpause noch um ein ominöses Foto, das Wohlleben im Schlafanzug zeigen soll. Zu sehen ist ein Pyjama mit dem zynischen Aufdruck „Eisenbahn-Romantik“, darunter sind Bahngleise zu erkennen und das Eingangstor des Konzentrationslagers Auschwitz. Witzig fänden das gewiss die Wohlleben-Unterstützer, die demnächst sicher noch mal vor dem Oberlandesgericht aufmarschieren und wieder „Freiheit für Wolle“ schreien werden.
Bislang wurden mehr als 500 Zeugen vernommen
Seit Mai 2013 müssen sich Beate Zschäpe und vier mitangeklagte mutmaßliche Terrorhelfer vor dem Oberlandesgericht München wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verantworten. Ihnen werden die Ermordung von neun türkisch- und griechisch-stämmigen Gewerbetreibenden und einer Polizistin, zwei Sprengstoffanschläge sowie 15 Raubüberfälle zur Last gelegt.
Der Hauptangeklagten Zschäpe wird außerdem vorgeworfen, das Haus in Zwickau, in dem sie zuletzt gewohnt hatte, angezündet zu haben. Falls das Gericht der Bundesanwaltschaft folgt und sie als Mittäterin verurteilt, obwohl ihr in keinem Fall ihre Anwesenheit am Tatort nachgewiesen werden konnte, droht ihr lebenslange Haft. Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben, der die Tatwaffe besorgt haben soll, muss mit einer langen Haftstrafe rechnen. Mehr als 500 Zeugen sind bereits vernommen worden.