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FPÖ-Kanzler in Österreich?Rechtspopulistische FPÖ bekommt Auftrag zur Regierungsbildung

Lesezeit 4 Minuten
Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen (l) begrüßt den Chef der Freiheitlichen Partei (FPÖ) Herbert Kickl in seinem Büro in Wien.

Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen (l) begrüßt den Chef der Freiheitlichen Partei (FPÖ) Herbert Kickl in seinem Büro in Wien.

Drei Monate nach der Wahl scheint die FPÖ Chancen auf die österreichische Kanzlerschaft zu haben. Der Bundespräsident empfängt den FPÖ-Chef.

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat der rechtspopulistischen FPÖ offiziell den Auftrag zur Bildung einer Regierung erteilt. Das teilte das Staatsoberhaupt bei einer Pressekonferenz in Wien mit.

Kurz zuvor hatte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am späten Montagvormittag, 6. Januar, den rechtspopulistischen FPÖ-Chef Herbert Kickl empfangen. Es wurde damit gerechnet, dass das Staatsoberhaupt den Rechtspopulisten mit der Bildung einer Regierung beauftragt.

Gegendemonstrationen vor der Wiener Hofburg

Verhandlungen für die vom Staatsoberhaupt selbst favorisierte Bildung einer Dreier-Koalition von konservativer ÖVP, sozialdemokratischer SPÖ und liberalen Neos waren nach sechs Wochen an großen inhaltlichen Diskrepanzen gescheitert.

Vor der Wiener Hofburg, dem Sitz des Bundespräsidenten, versammelten sich Gegendemonstranten, der österreichische Rundfunk ORF berichtete unter Berufung auf die Polizei von rund 500 Teilnehmern.

Kickl selbst gab sich im Vorfeld des Treffens eher vage. „Manches scheint heute um einiges klarer zu sein als in den letzten Tagen, manches liegt noch im Ungewissen“, schrieb Kickl auf Facebook. Zugleich hielt er mit Blick auf die jüngsten dramatischen Entwicklungen fest: „Uns trifft keine Verantwortung für verlorene Zeit, für chaotische Zustände und den enormen Vertrauensschaden, der entstanden ist.“

Die FPÖ hatte die Parlamentswahl vor drei Monaten zwar klar gewonnen, war aber angesichts des Unwillens der anderen Parteien mit den Rechtspopulisten zusammenzuarbeiten, bei Koalitionsgesprächen zunächst übergangen worden. Die konservative ÖVP, bisher auf Gegenkurs zur FPÖ, kündigte an, nun doch für Bündnisgespräche mit der rechten Partei zur Verfügung zu stehen.

Erhebliche Diskrepanzen zwischen ÖVP und FPÖ bei EU-Politik

Bei einem Zustandekommen der Gespräche und einer Einigung wäre der Weg frei für den ersten Kanzler Österreichs aus den Reihen der FPÖ. Der 56-jährige Kickl, der sich im Wahlkampf als „Volkskanzler“ positioniert hatte, ist unter anderem bekannt für seine russlandfreundliche Haltung und eine äußerst strikte Migrationspolitik mit Abschiebungen im großen Stil.

Für etwaige Koalitionsgespräche von FPÖ und ÖVP zeichne sich eine große Übereinstimmung in der Wirtschafts-, Asyl- und Bildungspolitik ab, sagte die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle am Abend in der ORF-Nachrichtensendung „ZiB2“. Erhebliche Diskrepanzen seien dagegen bei der EU-, Außen- und Sicherheitspolitik zu verorten, sagte Hämmerle. 

Neuer ÖVP-Chef: Kickl ist „Sicherheitsrisiko“

Völlig offen seien auch gemeinsame Konzepte zur Bewältigung der tiefen Budgetkrise, sagte der Präsident des Fiskalrats Christoph Badelt im ORF. Es sei fraglich, ob ein neuer Kanzler von der FPÖ mit unpopulären Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen starten wolle, so Badelt weiter. „Wir wissen alle nicht, wozu die FPÖ, wenn es wirklich ums Budgetkonsolidieren geht, eigentlich bereit wäre.“ Österreich muss dringend sein Budget sanieren, um ein EU-Defizitverfahren zu vermeiden. 

Christian Stocker spricht auf einer Pressekonferenz.

Der neue ÖVP-Chef Christian Stocker gilt eigentlich als ein Kickl-Kritiker.

Nach dem Scheitern der Verhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos hatte Kanzler Karl Nehammer seinen Rücktritt angekündigt. Im Amt des Parteichefs folgte ihm interimistisch der bisherige ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. Dieser gehörte wie Nehammer bisher zu den schärfsten Kritikern Kickls, dem er unter anderem Regierungsunfähigkeit unterstellte. Er hatte den FPÖ-Chef auch als „Sicherheitsrisiko“ bezeichnet.

Zwischenzeitlich war auch ein Comeback von Ex-Kanzler Sebastian Kurz als Option für die ÖVP gehandelt worden. Am Sonntag wurde aber klar, dass der 38-Jährige, der inzwischen als Unternehmer erfolgreich ist, nicht als Nachfolger des aktuellen Kanzlers und ÖVP-Chefs Nehammer zur Verfügung steht, wie es aus seinem Umfeld hieß. 

Bundespräsident verweist auf Stimmungswandel

Die Entwicklung zugunsten der FPÖ gilt auch als ein Schlag für den Bundespräsidenten, der eine Dreier-Koalition ohne die Rechtspopulisten präferiert hatte. Nun gehe es aber darum, dass Österreich eine handlungsfähige und stabile Regierung erhalte, so das Staatsoberhaupt.

Zunächst wird Nehammer laut Van der Bellen noch kurze Zeit als Kanzler im Amt bleiben. Im Laufe der Woche werde die Kanzler-Nachfolge geregelt. Der neue Regierungschef oder die neue Regierungschefin wird bis zur Vereidigung der nächsten Regierung das Land führen. 

Das Staatsoberhaupt hatte in seinen Erklärungen immer wieder betont, das er „nach bestem Wissen und Gewissen“ darauf achten werde, dass die Grundpfeiler der Demokratie - er nannte den Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, freie, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft - weiter hochgehalten würden. (dpa/afp)